Der Laleh-Park in Teheran ist Anziehungspunkt für Verliebte. Auf vielen der bunten schaukelnden Bänke sitzen Händchen haltende Pärchen. Mütter und Großmütter spielen mit Kindern. Auf einer ausgetrockneten Wiese lagert eine Gruppe von Freundinnen: Zwei Mädchen verhüllen Kopf und Körper mit dem Tschador, eine trägt den Hidschab in Form eines grellbunten Kopftuchs farblich abgestimmt mit Sneakers und Handtasche, eine hat ihre übergroße Bluse um die Taille gerafft und zeigt – verbotenerweise – doch Figur, die fünfte bändigt die Lockenpracht nur mühsam mit einem kokett in den Nacken gerutschten lila Schal. Mindestens zwei der jungen Frauen laufen Gefahr, jederzeit und überall von den Sittenwächtern gestellt und abgeführt zu werden – da würde dann selbst das übliche laute Kreischen, um auf die Situation aufmerksam zu machen, nichts mehr helfen.
Über den Alltag in der Diktatur reden auf einschlägigen Auslandsreisen vornehmlich Frauen mit Frauen. Zum Beispiel beim Empfang in der Residenz des deutschen Botschafters in der Islamischen Republik Iran. Männer hören, wenn überhaupt, höflich zu, wenn berichtet wird, dass Schwangere – sogar Verheiratete – ohne Angabe von Gründen fristlos entlassen werden können, dass der Innenminister mit einem Amtsenthebungsverfahren bedroht ist, weil er nicht gegen Leggins vorgeht, dass im familiären Streitfall die Aussage eines Mannes so viel zählt wie die Aussagen von zwei Frauen, dass führende Frauenrechtlerinnen ohne Prozess in Haft sitzen im berüchtigten Evin-Gefängnis, in dem seit Jahrzehnten gefoltert und gemordet wird. Das wird jetzt geschlossen, erzählt eine Mitarbeiterin der Außenhandelskammer. Was allerdings nichts mit einer Verbesserung der Standards zu tun hat, sondern damit, dass der Ursprung des Riesenkomplexes die Villa eines früheren Premierministers und gescheiterten Reformers ist. Das Viertel drum herum im Norden Teherans soll zu alter Blüte wiederauferstehen und Touristen anlocken. Da stört eine Haftanstalt, die nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen zu den schlimmsten auf dem Globus zählt.
Erst kommt das Geld, dann kommt die Moral
"Wirtschaftsdelegationen rate ich: Gehen Sie in ein Gefängnis", sagte Martin Lessenthin, der Sprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, kürzlich in einem Interview. Ein Rat, der regelmäßig ausgeschlagen wird. Wenn Mittelständler und die sie begleitenden Politiker auf Rechte und Sicherheit pochen, dann haben sie nicht Moral im Blick, sondern ihre Investitionen. "Wir haben keine Möglichkeit, auf Unternehmer bei der Auswahl ihrer Geschäftspartner entsprechend einzuwirken", wusste einst der ehemalige Europaminister Willi Stächele (CDU) um die Möglichkeiten seiner Landesregierung. Da hatte Baden-Württemberg schon gut zwei Jahrzehnte erfolgreiche außenwirtschaftliche Erfahrungen mit Potentaten und autoritären Regimen. Da war längst klar, dass gesellschaftlicher Fortschritt kein Exportartikel ist, der Traum von Wandel durch Handel ausgeträumt.
Winfried Kretschmann fährt Mitte Oktober nach China, sechs Kabinettsmitglieder und eine sehr große Delegation in seinem Schlepptau. Das Riesenland sei "ein Markt gerade für ökologisch orientierte Produkte", sagt der Ministerpräsident. Denn: "Auch ein kommunistischer Funktionär muss schlechte Luft atmen, und das behagt ihm nicht." Einem wie Qiufa Chen, zum Beispiel. Den neuen Gouverneur der Partnerprovinz Liaoning hat Kretschmann schon Mitte September im Stuttgarter Neuen Schloss zum Antrittsbesuch empfangen, um die Bedeutung "unserer höchst lebendigen Partnerschaft" zu unterstreichen: "In den Anfangsjahren unserer Zusammenarbeit, Anfang der Achtzigerjahre, war noch nicht ersichtlich, welch beeindruckende Erfolgsgeschichte die chinesische Wirtschaft noch schreiben würde."
1 Kommentar verfügbar
Klaus
am 30.09.2015Auch das Geschäft funktioniert doch ehrlich am besten.
Warum glaubt da niemand dran? Aber an Krieg und Lüge?
Den menschlichen Offenbarungseid haben wir schon lange abgelegt. Wir in Stuttgart auf jeden Fall.