Baden-Württemberg novellierte gerade seine Landesbauordnung (LBO). Der Aufschrei war groß nicht nur in der Opposition. Und selbst in den vergangenen Hitzewochen ist die Einsicht keineswegs überall gewachsen. Konservative Verbandsvertreter wettern weiter gegen die neue Vorgabe, Dächer und Fassaden zu bepflanzen. Hausbesitzer mit und ohne CDU-Parteibuch laufen Sturm gegen das "ideologiegetriebene Vorhaben". Die Handwerkskammer kritisierte die Regelung "bis ins Detail". Die "Welt" mokierte sich über die "absurde Efeu-Novelle", die FAZ erläuterte, bisher habe das Gesetz jedem Bauherrn in Baden-Württemberg freigestellt, "ob er ein Parkidyll oder eine Betonwüste schaffen möchte". Womit jedoch ausdrücklich nicht für die neue Verordnung argumentiert wird, sondern dagegen.
Seit 1. März ist die ohnehin eher weiche Muss-Vorschrift in Kraft, die verlangt, Neubauten zu begrünen, wenn "ihre Beschaffenheit, Konstruktion und Gestaltung es zulassen", wenn die Maßnahme "wirtschaftlich zumutbar ist" und eine Bepflanzung der Grundstücke drum herum "nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich". CDU-Politiker polemisieren dennoch dagegen, allen voran Spitzenkandidat Guido Wolf. Der hat aus dem Thema einen Baustein für seinen Standardreden gebastelt. "Wir wollen nicht immerzu umerzogen werden von dieser Besserwisser-Partei", schimpft er landauf, landab auf die Grünen, die den Bürgern sogar "in die Gestaltung von Fassaden oder Dächern hineinquatschen wollen".
Der Nutzen von Dachbegrünungen ist hinreichend belegt
Sie wollen? Sie sollten, unbedingt. Regionale, nationale und internationale Untersuchungen belegen die Bedeutung von Dachbegrünungen. Es gibt positive Kosten-Nutzen-Rechnungen, etwa aus Düsseldorf, und eine Vielzahl von Beispielen nicht nur im alten Babylon. In den Siebzigerjahren kam ein Landrover auf den Markt, ausgestattet für Expeditionen in Hitzeregionen, mit einem "Tropical Roof", jenem weißen Blechdach über dem eigentlichen Autodach, um die Sonneneinstrahlung abzumildern. Die Hersteller von Carports werben längst nicht mehr nur damit, dass Autos im Winter nicht vom Schnee freigeschaufelt werden müssen, sondern mit jenem Effekt, den jeder ermessen kann, der in den vergangenen Wochen in der Stuttgarter City in sein unverschattet geparktes Auto einstieg.
Und noch ein Selbsttest ist allen Zweiflern anempfohlen. Über eine Wiese im Talkessel ist ein Spaziergang selbst bei 38 Grad barfuß ohne Weiteres selbst dann möglich, wenn sie vertrocknet ist – über den angrenzenden geteerten Fußweg eher nicht. Dazu sitzen in der Region Global Player, darunter ZinCo in Nürtingen, eine Firma, die bereits seit Anfang der Siebzigerjahre(!) erfolgreich Dächer in Oasen verwandelt.
"Eine zusätzliche 'Dachhaut' in Form einer begrünten Fläche schützt vor der direkten Beeinflussung durch Wind und Wetter, die Hitze im Sommer und der Frost im Winter erreichen die Fläche darunter gar nicht oder nur gebremst, und die Räume darunter sind auf natürliche Art temperiert", schreibt das Umweltbundesamt (UBA). Gerade bei Starkregenfällen werden von Trocken- oder Halbtrockenrasen – von allen anderen Vorteilen abgesehen – bis zu 30 Prozent des Wassers gespeichert, statt Gullys überlaufen zu lassen.
In Stuttgart ist die Dachhaut schon lange Standard. Bereits vor fast hundert Jahren, weiß Rainer Kapp vom Amt für Umweltschutz, war Stadtklimatologie ein Thema, was an der Lage lag. Eine "wirklich gute Statistik" zum zusätzlichen Grün an Häusern werde allerdings nicht geführt. In den aktuellen Bebauungsplänen sind 1,5 Quadratkilometer vorgeschrieben, 200 000 Euro zur Förderung einschlägiger Projekt stehen Jahr für Jahr zur Verfügung. Das UBA lobte schon 2009 die realisierten Vorhaben auf einer Fläche vergleichbar mit jener der Wilhelma. Fachleute können sich eine Vervielfachung auf fünf Quadratkilometer vorstellen.
5 Kommentare verfügbar
Roland Beck
am 28.08.2015Schade dass Herr Wolf fahrlässig auf Kosten der Gesundheit der…