Nun gilt in Stuttgart das ungeschriebene Gesetz, dass Bürgermeisterposten nach Parteienproporz im Gemeinderat vergeben werden. Dafür lassen sich Gründe anführen: Garantiert die Regelung doch, dass sich der Wählerwille auch in der Führungsetage des Rathauses abbildet. Ein Bürgermeister mehr steht den Grünen insofern zweifelfrei zu. Ihr Fraktionsvorsitzender Peter Pätzold, früher einmal Mitarbeiter Frei Ottos, ist Architekt. Seine Nominierung liegt auf der Hand, auch wenn die grünen Ratsfrauen zunächst Gabriele Munk ins Spiel brachten, auch sie eine Architektin.
Stuttgart braucht städtebauliche Visionen
Die enge Verbindung von Rathausfraktionen und Bürgermeister, verbunden mit traditionell langen Amtszeiten – Hahns Vorgänger Hannsmartin Bruckmann war 22 Jahre im Amt –, birgt allerdings auch die Gefahr, dass die demokratischen Kontrollmechanismen nicht greifen. Die Baulobby hat einen berechenbaren Ansprechpartner, den sie, wenn es ein Ortsansässiger ist, schon kennt und dem jedenfalls die eigene Partei nicht an den Karren fahren wird. Einige der angesehensten Stuttgarter Architekten, darunter Peter Conradi, Werner Sobek, Arno Lederer und Fritz Auer, haben daher gleich nach Bekanntgabe von Hahns Rücktritt ein offenes, bundesweites Verfahren gefordert. Der künftige Baubürgermeister brauche "die Fähigkeit, Visionen zu entwickeln, wie Stuttgart sich in naher und ferner Zukunft städtebaulich positionieren wird".
Eine Ausschreibung hat es nun gegeben. Sieben trockene Zeilen im "Amtsblatt" und im "Staatsanzeiger", wie Conradi kritisiert. Ganze sieben Kandidaten haben sich gemeldet, von denen vier rechtlich nicht den Voraussetzungen entsprachen und nach weiterer Prüfung schließlich nur noch Pätzold übrig geblieben ist. Conradi hält dieses Verfahren für provinziell. Viele andere Städte leisten sich Findungskommissionen, die sich bei der Auswahl viel Mühe geben, betont er. Berlin berief 2007 die Architektin Regula Lüscher aus Zürich, Freiburg 2011 Martin Haag aus Kaiserslautern.
Als leuchtendes Beispiel gilt Jörn Walter in Hamburg, vormals Leiter des Stadtplanungsamts Dresden, der mit der Hafen-City und dem "Sprung über die Elbe" viel vorangebracht hat. Selbst in Ulm gab es 27 Bewerber. Drei kamen in die Endausscheidung, schließlich machte der 44-jährige Tim von Winning, vorher Mitarbeiter des Tübinger Baubürgermeisters Cord Soehlke, das Rennen. Soehlke selbst hatte sich vor seiner Nominierung als Leiter des Stadtsanierungsamts mit der Entwicklung der Tübinger Südstadt viel Lorbeer verdient.
Conradi: Die Stadt muss Bauvorhaben stärker lenken
Makulatur ist nun also der Vorschlag der Stuttgarter Architektenkammer, alle Kandidaten zu einer Podiumsdiskussion zu laden. "Dieses Veranstaltungsformat haben wir schon vor den Wahlen zum Oberbürgermeister und zum Gemeinderat mit großer Resonanz durchgeführt", hatte die Kammer geschrieben. Auch die Idee, dann wenigstens Pätzold öffentlich zu befragen, stieß auf wenig Gegenliebe. "Es ist eigentlich weniger die Verwaltung", sagt Thomas Herrmann, der Vorsitzende der Kammergruppe Stuttgart-Ost, "in erster Linie sind es die Parteien im Gemeinderat, die sich darüber einig sind, dass es so ablaufen soll."
Aber Diskussionsbedarf bleibt. Conradi hat bereits Anfang April ein Papier verfasst, in dem er unter anderem einen Gestaltungsbeirat, eine kleinteilige Stadtplanung mit dem Ziel sozialer Durchmischung, eine stärkere Lenkung von Bauvorhaben durch das Instrument des städtischen Grundeigentums, verbindliche Zeitpläne zum Abbau der Feinstaubbelastung und intelligente Verkehrssysteme anstelle neuer Straßen fordert.
Manches davon ist bereits auf offene Ohren gestoßen. Konzeptvergaben beim Verkauf städtischer Grundstücke, nicht nach Höchstpreis, sondern nach vorgegebenen Kriterien, hat der Gemeinderat jüngst befürwortet. Die Idee eines Gestaltungsbeirats, zusammengesetzt aus auswärtigen Architekten und Stadtplanern, wie es ihn in vielen anderen Städten längst gibt, stößt zumindest bei Pätzold und Oberbürgermeister Fritz Kuhn auf offene Ohren. Doch es bleibt eine enorme Bürde an Altlasten.
Die Liste von Altlasten für den neuen Baubürgermeister ist lang
Die Liste ist lang und Pätzold nicht zu beneiden. Soeben stellt sich heraus, dass der Rosensteintunnel einen zweistelligen Millionenbetrag mehr kostet. Weitere 40 Millionen für mehr Autoverkehr, der doch um 20 Prozent zurückgehen soll? An Beschlüssen, die der Gemeinderat bereits vor Jahren gefällt hat, wird die Stadt, und wird auch der Baubürgermeister noch viele Jahre zu knabbern haben. Allen voran Stuttgart 21.
459 Millionen Euro hat die Stadt 2001 in Schienengrundstücke investiert. 270 Millionen soll nun der Rosensteintunnel kosten, mehr als die Hälfte davon entfällt auf die Stadt. Dazu 40 Millionen für den Cannstatter Güterbahnhof, 50 Millionen für den städtischen Anteil an der Fildermesse sowie viele kleinere Posten: Woher kommt dieses ganze Geld? Immer hat die Stadt auch Grundstücke verkauft. In der Summe halten sich Einnahmen und Ausgaben in den letzten fünfzehn Jahren fast die Waage.
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Ulrich Frank
am 02.06.2015