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Quo vadis, Baubürgermeister?

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Am Ende ist Peter Pätzold (Grüne) nun doch der einzige Kandidat für den Posten des Stuttgarter Baubürgermeisters. Vielleicht nicht die schlechteste Wahl, wenn auch das Findungsverfahren an Offenheit zu wünschen übrig lässt. Die Stadt scheut die Diskussion. Dabei gibt es viel zu besprechen.

Stuttgart bietet ein verheerendes Bild, über das Stadtplaner bundesweit den Kopf schütteln. In der Mitte ein riesiges Loch, die größte Baustelle Europas, der Schlossgarten kaputt und der Bahnhof, einst eines der Wahrzeichen der Stadt, demoliert. Das muss einem eine Stadt erst mal nachmachen. An die 20 Baublöcke im Stadtzentrum wurden in den letzten zwanzig Jahren ausgebeint oder gleich abgerissen und neu bebaut. Sehenswertes ist dabei nicht herausgekommen, nur graue Investoren-Architektur. Darunter auch zwei riesige Shoppingmalls, die den Einzelhandel der ganzen Region in Bedrängnis bringen. Feinstaubhauptstadt sowieso, seit Beginn der Messungen, kein Ende in Sicht. Und die weniger wohlhabende Bevölkerung wird durch explodierende Mieten zunehmend aus der Stadt vertrieben.

So präsentiert sich das Erbe Wolfgang Schusters, der all diese Entwicklungen mit großem Einsatz vorangetrieben hat. Aber seine Amtszeit als Oberbürgermeister 1997 bis 2013 fällt eben auch fast genau mit der des SPD-Baubürgermeisters Matthias Hahn zusammen. Der ist seit 1996 im Amt und tritt nun Ende August vorzeitig zurück.

Manche sagen, Hahn war zu weich, er habe sich gegen Schusters Eskapaden nicht wehren können. Andere – so die Architektenkammer – kritisieren, dass mit Hahn ein Jurist und kein Architekt den Posten bekleidete. Nicht alles geht indes auf Schusters Konto. Hahn hat selbst Führungsschwäche gezeigt – oder hinter verschlossenen Türen gemauschelt. Zuletzt 2013, als das Baurechtsamt einer Bauvoranfrage stattgab, am Westbahnhof einen OBI-Baumarkt zu errichten: gegen einen einstimmigen Beschluss des Gemeinderats, der nur bereits ein paar Jahre zurücklag. Ein seit 120 Jahren ortsansässiger kleinerer Baumarkt musste kapitulieren. Hahn will von nichts gewusst haben. Aber er trägt die Verantwortung.

Investoren bevorzugt behandelt?

Es ist nicht der einzige Fall, in dem der Verdacht aufkam, ein Investor würde bevorzugt behandelt. In Erinnerung bleibt etwa der Fall des Feuerbacher Schoch-Areals, das eine Gruppe um den späteren Bürgermeisterkandidaten Jens Loewe 2009 erworben hatte. Das Gelände war kontaminiert, die Stadt machte von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch und übergab an einen Großinvestor. Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft <link http: www.bvmw-schweiz.ch newsr streitumschoch-areal.s.html _blank>sprach von Enteignung.

Nun gilt in Stuttgart das ungeschriebene Gesetz, dass Bürgermeisterposten nach Parteienproporz im Gemeinderat vergeben werden. Dafür lassen sich Gründe anführen: Garantiert die Regelung doch, dass sich der Wählerwille auch in der Führungsetage des Rathauses abbildet. Ein Bürgermeister mehr steht den Grünen insofern zweifelfrei zu. Ihr Fraktionsvorsitzender Peter Pätzold, früher einmal Mitarbeiter Frei Ottos, ist Architekt. Seine Nominierung liegt auf der Hand, auch wenn die grünen Ratsfrauen zunächst Gabriele Munk ins Spiel brachten, auch sie eine Architektin.

Stuttgart braucht städtebauliche Visionen

Die enge Verbindung von Rathausfraktionen und Bürgermeister, verbunden mit traditionell langen Amtszeiten – Hahns Vorgänger Hannsmartin Bruckmann war 22 Jahre im Amt –, birgt allerdings auch die Gefahr, dass die demokratischen Kontrollmechanismen nicht greifen. Die Baulobby hat einen berechenbaren Ansprechpartner, den sie, wenn es ein Ortsansässiger ist, schon kennt und dem jedenfalls die eigene Partei nicht an den Karren fahren wird. Einige der angesehensten Stuttgarter Architekten, darunter Peter Conradi, Werner Sobek, Arno Lederer und Fritz Auer, haben daher gleich nach Bekanntgabe von Hahns Rücktritt ein offenes, bundesweites Verfahren gefordert. Der künftige Baubürgermeister brauche "die Fähigkeit, Visionen zu entwickeln, wie Stuttgart sich in naher und ferner Zukunft städtebaulich positionieren wird".

Eine Ausschreibung hat es nun gegeben. Sieben trockene Zeilen im "Amtsblatt" und im "Staatsanzeiger", wie Conradi kritisiert. Ganze sieben Kandidaten haben sich gemeldet, von denen vier rechtlich nicht den Voraussetzungen entsprachen und nach weiterer Prüfung schließlich nur noch Pätzold übrig geblieben ist. Conradi hält dieses Verfahren für provinziell. Viele andere Städte leisten sich Findungskommissionen, die sich bei der Auswahl viel Mühe geben, betont er. Berlin berief 2007 die Architektin Regula Lüscher aus Zürich, Freiburg 2011 Martin Haag aus Kaiserslautern.

Als leuchtendes Beispiel gilt Jörn Walter in Hamburg, vormals Leiter des Stadtplanungsamts Dresden, der mit der Hafen-City und dem "Sprung über die Elbe" viel vorangebracht hat. Selbst in Ulm gab es 27 Bewerber. Drei kamen in die Endausscheidung, schließlich machte der 44-jährige Tim von Winning, vorher Mitarbeiter des Tübinger Baubürgermeisters Cord Soehlke, das Rennen. Soehlke selbst hatte sich vor seiner Nominierung als Leiter des Stadtsanierungsamts mit der Entwicklung der Tübinger Südstadt viel Lorbeer verdient. 

Conradi: Die Stadt muss Bauvorhaben stärker lenken

Makulatur ist nun also der Vorschlag der Stuttgarter Architektenkammer, alle Kandidaten zu einer Podiumsdiskussion zu laden. "Dieses Veranstaltungsformat haben wir schon vor den Wahlen zum Oberbürgermeister und zum Gemeinderat mit großer Resonanz durchgeführt", hatte die Kammer geschrieben. Auch die Idee, dann wenigstens Pätzold öffentlich zu befragen, stieß auf wenig Gegenliebe. "Es ist eigentlich weniger die Verwaltung", sagt Thomas Herrmann, der Vorsitzende der Kammergruppe Stuttgart-Ost, "in erster Linie sind es die Parteien im Gemeinderat, die sich darüber einig sind, dass es so ablaufen soll." 

Aber Diskussionsbedarf bleibt. Conradi hat bereits Anfang April ein Papier verfasst, in dem er unter anderem einen Gestaltungsbeirat, eine kleinteilige Stadtplanung mit dem Ziel sozialer Durchmischung, eine stärkere Lenkung von Bauvorhaben durch das Instrument des städtischen Grundeigentums, verbindliche Zeitpläne zum Abbau der Feinstaubbelastung und intelligente Verkehrssysteme anstelle neuer Straßen fordert.

Manches davon ist bereits auf offene Ohren gestoßen. Konzeptvergaben beim Verkauf städtischer Grundstücke, nicht nach Höchstpreis, sondern nach vorgegebenen Kriterien, hat der Gemeinderat jüngst befürwortet. Die Idee eines Gestaltungsbeirats, zusammengesetzt aus auswärtigen Architekten und Stadtplanern, wie es ihn in vielen anderen Städten längst gibt, stößt zumindest bei Pätzold und Oberbürgermeister Fritz Kuhn auf offene Ohren. Doch es bleibt eine enorme Bürde an Altlasten. 

Die Liste von Altlasten für den neuen Baubürgermeister ist lang

Die Liste ist lang und Pätzold nicht zu beneiden. Soeben stellt sich heraus, dass der Rosensteintunnel einen zweistelligen Millionenbetrag mehr kostet. Weitere 40 Millionen für mehr Autoverkehr, der doch um 20 Prozent zurückgehen soll? An Beschlüssen, die der Gemeinderat bereits vor Jahren gefällt hat, wird die Stadt, und wird auch der Baubürgermeister noch viele Jahre zu knabbern haben. Allen voran Stuttgart 21.

459 Millionen Euro hat die Stadt 2001 in Schienengrundstücke investiert. 270 Millionen soll nun der Rosensteintunnel kosten, mehr als die Hälfte davon entfällt auf die Stadt. Dazu 40 Millionen für den Cannstatter Güterbahnhof, 50 Millionen für den städtischen Anteil an der Fildermesse sowie viele kleinere Posten: Woher kommt dieses ganze Geld? Immer hat die Stadt auch Grundstücke verkauft. In der Summe halten sich Einnahmen und Ausgaben in den letzten fünfzehn Jahren fast die Waage.

Das bedeutet aber, dass städtische Grundstücke im Wert von rund 850 Millionen Euro verkauft worden sind. Und zwar ohne Konzeptvergabe, immer an den Meistbietenden. Klar, dass dies die Grundstückspreise in die Höhe treibt. Klar auch, dass der Meistbietende nicht unbedingt Sozialwohnungen erstellt. Die Stadt hat ihren Gestaltungsspielraum aus der Hand gegeben. Für 850 Millionen hätte sie eine Menge Sozialwohnungen bauen können.

Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, lässt es sich schwer wieder herausholen. Das Mietpreisniveau wird nicht wieder fallen, nicht in einer Marktwirtschaft, nicht solange Wohnungen fehlen. Der Rückbau des Hauptbahnhofs und die großzügigen Investitionen in den Autoverkehr, etwa mit dem Rosensteintunnel, lassen sich in keiner Weise mit den Sonntagsreden zur Deckung bringen, die eine Stärkung des Umweltverbunds oder eine Reduzierung des Autoverkehrs verkünden. Die Gelder müssten anders verteilt werden. Darüber entscheidet der Gemeinderat, aber der Baubürgermeister muss Konzepte und Vorlagen erarbeiten. 

Das historische Gedächtnis der Stadt verschwindet

Was in den letzten 20 Jahren in Stuttgart passiert ist, kam nach Krieg und Wiederaufbau einer dritten Zerstörung gleich. In einigen Fällen waren es nichtssagende Nachkriegsbauten, aber in anderen auch stadtbildprägende oder historisch wertvolle Gebäude wie das letzte Weinbauernhaus im Hospitalviertel. Stück für Stück verschwindet so unwiederbringlich etwas vom historischen Gedächtnis der Stadt. Wenn die Villa Berg, trotz grober Veränderungen in der Nachkriegszeit eines der herausragenden Baudenkmale, weiterhin vor sich hin gammelt, obwohl längst die Ergebnisse einer mustergültigen Bürgerbeteiligung vorliegen, von privater Seite aus mit viel Engagement durchgeführt: Wie verhält es sich dann mit der Politik des Gehörtwerdens? 

Bei der Villa Berg hat sich die Stadt selbst in eine Zwangslage gebracht, indem sie auf ihr Vorkaufsrecht verzichtet und die Immobilie einem privaten Investor überlassen hat. Aber genau an solchen Fällen, wo Bürger selbst die Initiative ergreifen und nicht von oben herab eine Beteiligung inszeniert wird, wird sich in Zukunft erweisen, ob die Stadt in der Lage ist, wirklich eine Politik auf Augenhöhe zu betreiben. Der Baubürgermeister kann diese Frage nicht allein beantworten. Aber er gibt in der Stadtentwicklung die Richtung vor.

Es wäre an der Zeit, dass sich die Richtung in Stuttgart ändert. Weg von der autogerechten Stadt, weg vom Ausverkauf städtischen Eigentums und hin zu einer kleinteiligen, menschen-, also fußgängerfreundlichen Stadt auch für Anwohner mit niedrigen Einkommen.


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7 Kommentare verfügbar

  • Ulrich Frank
    am 02.06.2015
    Antworten
    Eine welke Pflanze bekommt keinen Preis, da kann sie noch so grün aussehen. Den Vorkommentator/innen kann leider nur zugestimmt werden. Für das städtebauliche Umsteuern wäre von den Grünen eine Extra-Anstrengung zu erwarten. Und Initiative von der Art, wie sie Fritz Kuhns Amtsvorgänger an den Tat…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 6 Stunden
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