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Totholz für Touristen

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Noch in diesem Jahr wird der Landtag ein Gesetz zur Bildung eines Nationalparks im Schwarzwald verabschieden. Grün-Rot will damit einen Schlussstrich unter den heftigen Streit ziehen. Die Diskussionen über den Praxistest der "Politik des Gehörtwerdens" ist aber noch längst nicht beendet.

Mal angenommen, alles wäre andersherum: Ein schwarzer Ministerpräsident würde niederkartätscht von grünen Kommunalpolitikern, von Förstern, Wald- und Sägewerksbesitzern samt einer instrumentalisierten örtlichen Bürgerschaft. Der Globus von Baden-Württemberg wäre längst aus seinen Angeln gehoben. Weil aber Grün-Rot regiert, halten die Widersacher fast alles für vertretbar in ihrem Kampf gegen den Nationalpark Schwarzwald. Was immer tiefere Gräben zwischen Gegnern wie Befürwortern aufreißt und doch grundsätzlich nichts ändert: Das Vorhaben wird auf jeden Fall durchgesetzt.

Mediatoren und Konfliktforscher aus der ganzen Republik interessieren sich für den Wald, der mit so vielen Stereotypen aufwarten kann, vom Bollenhut bis zur Kuckucksuhr, vom Kirschwasser bis zur gleichnamigen Klinik. Und für den Praxistest der "Politik des Gehörtwerdens". Infoflyer und Postkarten landen in 120 000 Haushalten, immerhin 2000 kommen zurück, es gibt mehr als 150 Veranstaltungen; der Risiko- und Kommunikationsforscher Ortwin Renn leitet ein Bürgerforum mit 350 Teilnehmern; sieben Arbeitskreise befassen sich mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten; 1600 konkrete Fragen werden Basis eines 1200 Seiten starken, die Pro-Argumente stützenden Gutachtens und alle Aktivitäten gemeinsam Grundlage für einen Gesetzestext, in den – bevor er endgültig ins Parlament kommt – auch noch Rückmeldungen und Anregungen aus der Anhörung eingearbeitet sind. "Mir ist nicht bekannt", sagt Thomas Waldenspuhl, im Ministerium Ländlicher Raum zuständig für das Projekt, "dass es jemals in Deutschland einen ähnlich intensiven Dialog gegeben hat."

Mit der Einbringung des Gesetzentwurfs im Landtag setzt die Regierung den Schlussstein. Im Bemühen, den ersten Nationalpark im Südwesten, der in landesweiten Umfragen eine große Zustimmung erfährt, auf jeden Fall in dieser Legislaturperiode unumkehrbar zu machen. Und weil die Befürworter ohnehin darauf bauen dürfen, dass sich allein in Deutschland seit Jahren in inzwischen 15 Regionen immer gleiche Abläufe nachvollziehen: Zuerst wird die Idee geboren, die Natur gänzlich sich selber zu überlassen, Betroffene sind skeptisch, dann wird Protest laut, häufig geleitet sowohl von wirtschaftlichen wie von (partei-)politischen Interessen. Die ältesten Blaupausen vergilben in der Library of Congress in Washington: "Anfangs mussten die Naturschützer gegen erheblichen Widerstand kämpfen; Industrielle fürchteten um ihren Zugang zu Wasser- und Holzschätzen; Bürger und Politiker störten sich an dem großen Einfluss der Regierung." Das war 1872, und es ging um den ersten Park seiner Art weltweit im Yellowstone-Gebiet.

Jeder Euro Investition kommt doppelt zurück

In der Bundesrepublik können die Bayern das längste Lied singen vom Ärger und der Überwindung des Widerstands. Unter vielen anderen hat die Konrad-Adenauer-Stiftung jede Menge Rahmendaten zum ersten Nationalpark der Republik im Bayerischen Wald gesammelt. Strukturpolitische Erwägungen waren ein mitentscheidendes Gründungskriterium vor gut 33 Jahren. Und die Hoffnungen gingen in Erfüllung: die Besucherzahl liegt inzwischen im Durchschnitt bei rund 2,5 Millionen, wobei etwa ein Drittel allein wegen des Nationalparks anreist. Die Übernachtungszahlen haben sich vervielfacht. Nicht weniger als 4500 Arbeitsplätze stehen mit dem Nationalpark in Zusammenhang. Rund 1300 davon entstanden im Laufe der Zeit neu. Auch Kosten und Nutzen sind belegt: Jeder Euro, den der Freistaat in den Nationalpark Bayerischer Wald investiert, wird durch die privaten Ausgaben der Besucher und Besucherinnen mehr als verdoppelt.

Es liegen so viele Erfahrungen vor aus Ost und West, von der Müritz oder aus der Eifel, aus den Vorpommerschen Bodden oder dem Hamburgischen Wattenmeer, aus Berchtesgaden oder dem Harz, dass Wissenschaftler schon lange rätseln, wieso eigentlich die Pro-Argumente oft nur die im Wesentlichen bereits aufgeschlossenen Teile der Bevölkerung erreichen. Der Biologe im Ministerpräsidenten hat eine Erklärung: Die Unordnung im Wald sei unheimlich, mutmaßt Winfried Kretschmann. Außerdem erschließe sich dem Unkundigen die elementare Bedeutung von Artenschutz und Biodiversität für die Erde mitnichten von selbst und deshalb auch nicht, "wie wichtig es ist, dass Käfer in stehendem Totholz einen neuen Lebensraum finden". 

Totholz. Eine jener Vokabeln, die Stimmung machen sollen in Baiersbronn und in Freudenstadt, in Bad Wildbad, Seewald oder Enzklösterle. Eine Vokabel der milderen Art. Da sind noch ganz andere Eisen geschmiedet. "Wenn Ignoranz wehtun würde, müsste Bonde den ganzen Tag schreien", so giftig kommentieren Gegner im Internet Finanzierungspläne des grünen Ressortchefs. Und den Ministerpräsidenten verblende natürlich die Macht. Bei Veranstaltungen sind gellende Pfeifkonzerte für Nationalparkbefürworter Routine. Widersacher betreten Podien nicht, auf denen Befürworter Platz genommen haben. Der ehemalige ZDF-Moderator Alexander Niemetz wirft den Grünen "Tugendterrorismus" vor. CDU-Fraktionschef Peter Hauk zeichnet das Bild von den "entvölkerten Dörfern". Und er nutzt die ihm als Förster zugesprochene Kompetenz für weit hergeholte Sorgen, etwa die "um die Existenz des Homo sapiens im nördlichen Schwarzwald". Was selbst SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel, der den Naturschutz nicht grundsätzlich im Tornister hat, fest an die Seite der Grünen treibt. "Sie hauen solche Hämmer raus", knöpft er sich Hauk im Landtag vor, "nur um die sachliche Diskussion zu stören."

Zu wenig Zeit genommen im Vorfeld

Womit allerdings auch das größte Versäumnis der verantwortlichen Befürworter beschrieben ist. Bei Amtsantritt hatte Alexander Bonde, der Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, zwar die Pläne der Vorgängerregierung in der Schublade gefunden, angestoßen noch vom einstigen CDU-Umweltminister Erwin Vetter Anfang der Neunziger. Eine Anleitung zum Umgang mit der Zivilgesellschaft war nicht dabei. Bonde, der sich – lange vor der Bundestagswahlniederlage seiner Partei – für Schwarz-Grün in Stellung brachte, ist dazu gar kein Experte, nicht für Naturschutz und nicht für Bürgerbeteiligung. Der Super-Realo war einst Haushaltsexperte der Grünen im Bundestag.

Fachleute sind sicher, wäre der Dialogprozess über die Einrichtung eines Großschutzgebiets auf hundert Quadratkilometern oder 0,3(!) Prozent der Landesfläche ohne jede Inanspruchnahme von privatem Grund und Boden professioneller gestartet worden, könnte ihn der Ministerpräsident eher als gelungenes Beispiel für seine "Politik des Gehörtwerdens" verbuchen. So aber gilt einer von Kretschmanns Lieblingssätzen: "Nach der Kirche ist man immer klüger." Und vor dem Kirchgang nahm sich der grüne Teil der Landesregierung zu wenig Zeit. Um die Verfahrensregeln zu durchdenken, um zu definieren, wo die größten Gefahren lauern, um den Widerstand und das Radikalisierungspotenzial zu lokalisieren. Oder um sich sachkundig zu machen, was Konfliktforscher zu bieten haben und welche Rahmenbedingungen unerlässlich sind.

Denn nach der reinen Mediatorenlehre müsste es eigentlich immer weitergehen mit der Suche nach einem Ausgleich der widerstreitenden Interessen – bis er gefunden ist. Immerhin hat in zentralen Gemeinden die Bürgerschaft mit bis zu 87 Prozent gegen das Projekt votiert. Ohne rechtliche Zuständigkeit, aber in breiten Kampagnen halb informiert, immer unterstützt von den Sägern und den Jägern, vom Adel, von Teilen der CDU und vor allem der FDP. Letztere definierte Bürgerbeteiligung kurzerhand um, erklärte Kritiker und Skeptiker zu Experten und machte monatelang Stimmung dafür, die Entscheidung allein den direkt Betroffenen zu überlassen. Natürlich in der Hoffnung auf ein Nein – und in einem Verfahren, dem die Liberalen bei Stuttgart 21 niemals zugestimmt hätten. 

Revanche für den Protest gegen Stuttgart 21?

Überhaupt die Parallelen. "Zu den aktiven Kritikern gehört auch eine Gruppe, die den Widerstand gegen den Nationalpark als politische Revanche für den Widerstand gegen den Tiefbahnhof Stuttgart 21 inszeniert", heißt es in einer Masterarbeit zum Thema. Verfasst hat sie Waldtraud Ulshöfer, veröffentlicht wurde sie im Mai 2013 an der Universität Hagen. Die Gruppe protestiere mit Plakaten, die grafisch den Protestplakaten gegen S 21 gleichen. Ihr polemisches Hauptargument laute, dass ein Nationalpark eine abgesperrte Wildnis sei, die den Menschen ihre Freiheit nehme, weil sie keinen Zugang mehr zum Wald hätten, nicht mehr Ski fahren, Pilze und Beeren pflücken oder spazieren gehen könnten. Und weiter: "Die Gruppe verpönt den Nationalpark als großflächiges kostspieliges Versuchslabor für eine radikale Naturschutzideologie."

Verpönt, verhöhnt, verhetzt – es wird noch einige Zeit weitergehen in dieser Tonlage, wie nicht zuletzt die Internetseiten der Gegner belegen. Bis sich irgendwann so ganz allmählich auch im Schwarzen Wald durchsetzt, was rund um den Globus hundertfach Realität ist: Spätestens nach 25 Jahren will keiner mehr dagegen gewesen sein oder jedenfalls fast keiner.

Im Sommer 2012 war Alexander Bonde, der mit seiner Familie in Baiersbronn lebt und vielen persönlichen Angriffen tief unter die Gürtellinie ausgesetzt ist, auf Urlaub in Österreich. Im Nationalpark Hohe Tauern, "einem weltweit beachteten Experiment der Integration von Anliegen des Naturschutzes und der Nutzung als Erholungsraum, in der ökologischen Zielsetzungen und ökonomischer Basis gleichermaßen nachgekommen wird", so Geografen an der Uni Salzburg. Dort mussten nicht weniger als tausend Privatwaldbesitzer und drei Bundesländer unter einen Hut gebracht werden. Salzburg, Kärnten und Tirol gemeinsam sind heute auf rund sechs Prozent der Fläche als Großschutzgebiet ausgewiesen. Darin liegt mit der Großglockner-Querung eine der meistbefahrenen Alpenstraßen und obendrein eines der größten Skigebiete Europas, mehr als 300 Dreitausender und 500 Bergseen. Allein gezielte Angebote, Führungen und Ausstellungen ziehen mehr als eine Million Touristen im Jahr an. Das Konzept, lobt Bonde, "vertraut auf die Verantwortung der Besucher fürs Ganze". Und es verzichtet selbst im 1200 Quadratkilometer großen Kernareal auf jede Form von Verbotstafel. "Denn der Mensch", heißt es in einem Flyer, "ist ein vernunftbegabtes Wesen." Auch im Schwarzwald.


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9 Kommentare verfügbar

  • gguen
    am 12.11.2013
    Antworten
    A. Bonde, lebt in Baiersbronn,
    und möchte gerne ein grünes Prestigeobjekt durchsetzen,
    um sich zu profilieren, da er gerne seinen Chef Kretschmann nach
    dessen Abgang beerben würde.

    Welche eine Ironie, dass der "grüne Basisdemokratie an Volkes Ohr, s.o., also in der Gemeinde lebt, die am…
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