Als hätte es noch eines weiteren Beweises bedurft, wie schlecht es der Presse geht, Robin Halle hat ihn erbracht. Der stellvertretende Chefredakteur der "Schwäbischen Zeitung" muss an diesem Abend alles alleine machen. Begrüßen, schreiben, fotografieren, verabschieden. Zum Glück ist das für den 54-Jährigen keine Bürde, weil er als Allzweckwaffe auch alles kann.
Der frühere Sportredakteur ("Ich bin völlig unpolitisch") kann Speed-Dating-Termine moderieren, 25 Kilo in zwölf Monaten abnehmen und darüber schreiben, die besten Tipps für Kreuzfahrten geben, weil er schon 54 Mal mit der Aida unterwegs war, den VW-Vorstand zum Lohnverzicht auffordern, über die Kraft von Allerheiligen nachdenken – und er kann Heribert Prantl empfangen. Es sei ihm eine "große Ehre", die "Verkörperung des deutschen Haltungsjournalismus" im Haus zu haben, sagt Halle am 30. Oktober im Ravensburger Verlagshaus der "Schwäbischen Zeitung", und er sagt es so bestimmt, dass man versucht ist anzunehmen, dass der Star-Kolumnist der "Süddeutschen Zeitung" einer der ihren ist.
Das erstaunt, ist es doch noch nicht lange her, dass das oberschwäbische Traditionsblatt schwer in Verschiss geraten war. Die Süddeutsche, die FAZ, die "Zeit", der SWR, Kontext und die taz, alle hatten über einen Rechtsruck der "Zeitung für christliche Kultur und Politik" (Eigeneinschätzung) berichtet und dafür viele Beispiele angeführt. Selbst die CDU zeigte sich entsetzt. Professor Prantl wiederum, 71, hoch dekoriert, wird bundesweit als oberster journalistischer Hüter des Rechtsstaats und seiner Grundrechte betrachtet. Gemeinhin wird er als linksliberal bezeichnet.
Nun ist einzuräumen, dass sich unter dem Begriff der Haltung ein sehr unterschiedliches Völkchen versammeln kann, auch die "Schwäbische Zeitung", deren Haltung neuerdings darauf hinausläuft, die AfD zum neuen Normal zu machen, eine rechtsextreme Partei, die Prantl seit fünf Jahren verbieten will. Also erhebt sich die Frage: Wie kommt er dorthin?
Eingeladen hat ihn der Verein "Tavir", ein Zusammenschluss von Bürgerinnen und Bürgern in Ravensburg, die sich dem Kampf gegen Antisemitismus, Hass und Hetze verschrieben haben. Gefördert werden sie vom Bund mit dessen Programm "Demokratie leben", gewünscht haben sie sich einen Vortrag zum Thema "Widerstand – gestern und heute". Prantl hat zugesagt. Und sehr schnell auch die "Schwäbische Zeitung", die "Tavir"-Sprecher Mehmet Aksoyan nebenbei mit ins Boot geholt hat, was ihm im Nachhinein leichte Bauchschmerzen bereitet. "Zwiespältig" sei's, meint er, hier die Diskussion um den Rechtsruck, dort die flächendeckende Werbeplattform, zu der er keine Alternative sieht. Ob's der Botschaft guttut? "Wir müssen nochmals darüber diskutieren", sagt er.
Der Starkolumnist ist gut fürs ramponierte Image
Der Presse-Monopolist hat derlei Probleme nicht. Er macht daraus ein eigenes Event, wie man es eben so macht, wenn man eine hippe Marketingabteilung hat. "Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den ihr um euer Herz gelegt habt" – die Mahnung der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" schmückt die Einladung. Als Veranstalter grüßt "Schwäbisch Media", der Eintritt ist frei, das online gebuchte Ticket ist per Smartphone vorzeigbar, das ramponierte Image aufgehübscht.
Fortan empfängt Prantl besorgte Post von irritierten Menschen, die von ihm wissen wollten, ob er wisse, in welchem Umfeld er sich bewege? Auch Kontext fragt. Der Vorgang habe ihn "einigermaßen überrascht", schreibt er zurück, engagiert worden sei er von "Tavir", die "Schwäbische" habe sich offensichtlich "draufgesetzt", die Veranstaltung in ihrem Medienhaus biete ihm jetzt aber die Gelegenheit, sich zu dem "einschlägigen Thema" zu äußern. Das tut er dann auch. In wohlgesetzten Worten.
Er stellt es in seiner Rede, 20 Seiten lang, voran, 200 Gäste lauschen. Ausgangspunkt ist Chrysostomus Zodel (der den Verfasser dieser Zeilen einst eingestellt hat), ein knochentrockener katholischer Allgäuer, aber kein Reaktionär oder gar ein Rechtsextremer. Zodel war Chefredakteur der "Schwäbischen", 25 Jahre lang bis 1988, hat das Monopolblatt zu einem Organ gemacht, von dem man wusste, dass es schwarz und verlässlich war. Prantl nennt ihn einen Wertkonservativen, dessen Zeitung aus diesem Fundus schöpfte, Heimat und Halt im Allgäuer Leutkirch hatte. Er hofft, dass diese Prägung den Umzug nach Ravensburg "überdauert hat und überdauert", und schließt die Vorrede mit einem Satz von Zodel, den er nie vergessen habe: "Rechtsextremismus ist Gotteslästerung".
Bei Idealisten hängt die Latte eben hoch, die Realisten springen locker unten durch beziehungsweise gehen gar nicht an den Start. Im Klartext: Der neue Ober-Chefredakteur von allen Zeitungen des Schwäbischen Verlags, Head of Editorial Board Gabriel Kords, ist nicht da, der Ober-Geschäftsführer von allen Unternehmungen, CEO Lutz Schumacher, auch nicht. Ob sie im Business-Jet unterwegs sind, ihre Besitztümer in Mecklenburg-Vorpommern inspizierend, ob sie von Chrysostomus Zodel jemals etwas gehört haben, ob ihnen Leutkirch irgendetwas sagt, ist an diesem Abend nicht zu erfahren.
Vize Robin Halle, also ein Unter-Chefredakteur, vermag ihren Aufenthaltsort auch nicht zu orten, beteuert gegenüber dem Kontext-Berichterstatter jedoch, dass das Fliegen günstiger sei als das Fahren und er im Übrigen bisher nur einmal an Bord gewesen sei.
Einer leistet Widerstand. Er kündigt das Abo
Schön wär's nun gewesen, wenn eifrig debattiert worden wäre. Prantl hatte die Vorlage geliefert mit dem leicht modifizierten Titel "Vom großen, vom kleinen und vom falschen Widerstand" und betont, dass auch der kleine ein "demokratischer Wirkstoff" sei, so er kreativ, produktiv und friedlich geleistet würde. Das könne er für sich in Anspruch nehmen, wagt sich ein älterer Herr vor und sagt, er habe die "Schwäbische Zeitung" gekündigt, weil sie nicht mehr so sei, wie sie einmal war.
7 Kommentare verfügbar
MO
vor 3 WochenNach zweimaliger Lektüre des Artikels frage ich mich das tatsächlich immer noch.
Ich frage mich, wie Tavir e.V. die "Veranstaltungszügel" derart an die…