Schwierige Geschichte. Stefan zieht eine rote Gauloise aus der Schachtel, bestellt einen Cappuccino, am Stuttgarter Marienplatz spielen Kinder, der Dezember ist warm. Er stellt keine Fragen, er muss antworten. "Wie geht's dir jetzt, Rentner Siller?" Zwiespältig sei's, sagt er. Einerseits gut, nicht mehr funktionieren zu müssen, anderseits schlecht, weil die Arbeit fehlt. Er hat ja keinen Scheißjob gemacht. 30 Jahre lang mit Leuten reden und damit Geld verdienen, das ist ein Privileg.
Jetzt heißt es aufpassen. Nicht bis mittags im Bett liegen, danach saufen und danach wieder ins Bett legen. Siller (65) hat Spaß an seiner Arbeit gehabt, aber er ist kein Spaßvogel.
Hunderte von Postings, "so heißt das doch, oder?", auf Facebook hat er zum Abschied gekriegt. Der Sender hat sie ihm geschickt, weil Siller nicht auf Facebook ist. Alle haben sie ihm nachgeweint. Er werde fehlen, haben sie geschrieben, die Stimme, die Gespräche, das Flapsige, Schnoddrige, Humorvolle, Tiefgründige. Er habe sie durchs ganze Leben begleitet, als morgendliche Konstante, so lange, dass sie glaubten, das bleibe für immer so. Im Mediensprech würde man das einen Anchorman nennen. Im normalen Leben einen vertrauten Freund.
Siller hat's gelesen. Er grinst und sagt, wenigstens habe ihn "keiner zur Hölle" gewünscht. Das ist Humor aus Ostwestfalen, wo er aufgewachsen ist, wo der Grünkohl wichtiger ist als Glamour. Dort hat er Briefmarken gesammelt, den Kriegsdienst verweigert und bei der "Neuen Westfälischen" in Bielefeld, einem SPD-Blatt, volontiert. Wer das überlebt, ist gestählt für den Überlebenskampf, sozialkritisch getragen von Hannes Wader, ebenfalls Bielefeld. Richtig Politik gab's dann beim Studium in Berlin, Karl Marx und so, Schwierigkeiten beim SFB und 1978 eine Chance beim damaligen SDR, der sogar einen Werner Schretzmeier, den heutigen Theaterhauschef, ausgehalten hat.
Es ist schwierig, die Welt zu verbessern
Von 1987 an hat er "Leute" moderiert, von zehn bis zwölf, im Wechsel mit Wolfgang Heim (60), seinem Kollegen, mit dem er zu einem Duo wurde, das fast schon eheähnliche Züge trug. Natürlich nur beruflich. 2950 Gespräche mit Großen und Kleinen. Die Promis hat er durchbefragt, von Adorf über Merkel bis Willemsen, die Unbekannten, wie Lisa Müller aus Illingen, die mit 14 Hure wurde, oft spannender gefunden. Und hängen geblieben sind Leute wie Willi Hoss, der linke Betriebsrat bei Daimler, aber auch Manfred Rommel, der Stuttgarter Alt-OB – und Stuttgart 21. Nach den Sendungen mit Bahnchef Rüdiger Grube und Widerstandsvater Gangolf Stocker ist aus dem "feurigen Befürworter" ein "absoluter Gegner" geworden. "Ich habe gelernt, dass alles erstunken und erlogen war", sagt er, und reihte sich bei den Demos ein.
"Unterhaltung mit Haltung" wollte er machen. Das ist ihm gelungen. Er gehörte nicht zu jenen Moderatoren, die morgens schon auf Speed zu sein scheinen, das Grau zum Blau aufmotzen, die gute Laune quälen, bis einem wirklich elend ist. Siller hat sich die Welt angeschaut, wie sie ist, den Schweizer Philosophen Jean Ziegler ins Studio geladen und ihn erklären lassen, "warum wir die kannibalische Weltordnung stürzen müssen". Weil jedes Kind, das verhungert, ermordet wird, hat der Globalisierungskritiker gesagt, und so ging es auch über den Sender.
8 Kommentare verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 16.01.2016Naja, Mann kann es so und so betrachten!
Betrachten wir uns also meinen SWR-Kollegen Stefan Siller, der sich, in der persönlichen Begegnung im SWR-Gebäude, beständig freundlich lächelnd -auch verbal freundlich- zeigte (August 2000 bis Dezember 2009).
Nun ist dies mit wenig…