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Gott zahlt keine Rente

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Arm im Alter, dagegen hilft nur der Kapitalmarkt – so wird es den Jungen Tag für Tag eingebläut. Von der Politik und vor allem von der Versicherungslobby. Nobert Blüm erklärt, warum das ein Irrweg ist.

Es ist die besondere Kunst des ausgebufften Lobbyismus, seine Interessen unter einem Wust von Sach- und Fachbegriffen zu verstecken. Wenn dann noch die Bewunderung der Unkundigen für die vermeintliche Intelligenz der angeblich Sachverständigen hinzutritt, haben die Geldprofiteure schon gewonnen. Sie verstecken "Geld" hinter "Geist", jedenfalls dem, was die "Sachverständigen" dafür ausgeben.

Demgegenüber gilt es die Kraft des gesunden Menschenverstandes zu mobilisieren, die seine Ziele gemäß der aufklärerischen Maxime formuliert: "Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!"

Das Ziel einer Alterssicherung für alle basiert auf der einfachen Wahrheit: "Immer versorgen die Jungen die Alten." Das war schon in der Eiszeit so und wird auch noch so bleiben, wenn Menschen den Mars besiedeln. Und kein System – ob umlagefinanziert oder kapitalgedeckt – kann diese Wahrheit wegrationalisieren. Die einzige Alternative dazu ist das alte Eskimo-Verfahren: Die Alten aufs Eis schieben.

Drei Generationen bilden die Solidarität

Bei Licht betrachtet müssen allerdings die Jungen auch die noch Jüngeren versorgen, nämlich ihre Kinder. Die Generationensolidarität ist also dreigliedrig. Wobei keine Generation, wenn es gerecht zugeht, überfordert wird. Denn auch die Jungen werden einmal alt, und die Alten waren einmal jung. So gleicht sich die Umverteilung im Generationenvertrag aus.

Im "Schatzkästlein eines rheinischen Hausfreundes" von Johann Peter Hebel wird das Rentensystem ganz einfach erklärt. Der Bauer beschreibt dem erstaunten Fürsten seine Einkommensverteilung. Ein Teil nimmt er, um Kredit zu gewähren, und mit einem anderen Teil bezahlt er seine Schulden, und einen Teil behält er schließlich für sich. "Wie das?" sprach der Fürst, der dieses Lebensgesetz der Generationensolidarität so wenig verstand wie die Neoliberalen. Die Erklärung für das bäuerliche Gesetz der Generationensolidarität ist einfach: Der Bauer gewährt seinen Kindern Kredit, indem er sie durchfüttert, und zahlt bei seinen Eltern die Schulden ab für das, was er von ihnen bekommen hat. Das ist das ganze Geheimnis des uralten Generationenvertrags.

Die Illusion der Selbstversorgung

In Deutschland propagierten die Jungliberalen dagegen einst den Slogan: "Jede Generation sorgt für sich selber." Der Spruch ist reif für den Nobelpreis "politische Dummheit". Ich habe noch kein Baby gesehen, das sich selber stillt und wickelt. Von der Wiege bis zur Bahre sind wir auf andere angewiesen. Am stärksten zu Beginn und am Ende des Lebenslaufs.

Die "neoliberalen Kapitaldecker" suggerieren eine Selbstvorsorge, die es realwirtschaftlich nicht gibt. Vielleicht konnte man noch in biblischen Zeiten Korn in sieben fetten Jahren speichern, um es in den mageren sieben Jahren zu verbrauchen. Unter den Bedingungen der modernen Gesellschaft ist dies allerdings eine Illusion. Alle Ansprüche der Jungen sind an die Entwicklung des Sozialprodukts in der Zukunft geknüpft, in der sie sie realisieren wollen. Es wird aber immer nur der Kuchen gegessen, der jetzt gebacken wird.

Das Kapital ist nur so viel wert, wie es im Zeitpunkt der Inanspruchnahme genutzt wird und dadurch Rendite für die Renten abwerfen kann. Eine Aktie eines Unternehmens ist zum Beispiel im Zustand einer Insolvenz wenig wert. Die Immobilie die keine Mieter findet, bringt keine Einnahmen.

Arbeit ist der Schlüssel der Alterssicherheit

Am Schicksal der Arbeit hängt zu guter Letzt jeder Sozialstaat. Zwar hat die Kapitaldeckung gegenüber dem arbeitsbezogenen Umlegeverfahren den Vorteil, dass sie nicht auf das nationale Quellgebot der Einnahmen angewiesen ist, sondern weltweit anlegen und abschöpfen kann. Doch diese Stärke verwandelt sich, wie die letzten Jahre jedem vor Augen geführt haben, in ein elementares Debakel. Kapitaldeckung ist nämlich von den Turbulenzen der globalen Finanzmärkte abhängig.

Das weltweite Erwachen

Weltweit kamen die kapitalgedeckten Systeme ins Schleudern und viele privaten Rentenversicherungen brachen wie Kartenhäuser zusammen, darunter das Mustermodell der Chicago Boys, nämlich Chile, das mit Pinochet auf die Verheißung der Kapitaldeckung hineingefallen war. Am Ende mussten die neoliberalen Finanzsysteme, von denen die Kapitaldeckung ein Teil ist, mit viel, viel Geld aus der Misere gezogen werden. Von den Staaten, deren Rentenversicherung die "Privatisierer" ersetzen wollten.

Wer 2015 noch Kapitaldeckung als Rettung der Rentenversicherung anpreist, muss entweder dumm oder böswillig sein (oder er hat die letzten zehn Jahre auf einem Eisberg ohne Funkverbindung aus der Welt gelebt).

Kapitaldeckung und Demografie

Auch auf die demografische Entwicklung hat die Kapitaldeckung keine ausreichende Antwort. Wenn die Zahl der Beitragszahler zurückgeht, muss die Privatversicherung reagieren wie die Sozialversicherung, denn beide erhalten ihr Geld nicht vom lieben Gott, sondern von Beitragszahlern. Die Privatversicherung muss Beiträge erhöhen oder Leistungen kürzen.

Die Zahl der Geburten ist beim Umlageverfahren für die Alterssicherung weniger ausschlaggebend. Wichtiger ist die Zahl derjenigen, die in Lohn und Brot stehen, sowie die Entwicklung deren Produktivität. Selbst wenn die Zahl der Geburten ansteigt, aber nicht die Zahl der Erwerbstätigen, ist für die Rente noch nichts gewonnen. Und selbst wenn die Zahl der Erwerbstätigen sinkt, aber ihre Produktivität steigt, ist das ein Gewinn für die Rentenversicherung. Das ist eben der Vorteil des Umlagesystems. Es ist von der Entwicklung des Wohlstands der Menschen und ihrer Arbeit und nicht von der Flatterhaftigkeit des Kapitals abhängig.

Der Zusammenhang von Geburtenzahl und Produktivität wird durch einen Blick zurück plausibel: 1900 ernährte ein Bauer in Deutschland drei Nichtbauern. Hundert Jahre später waren es 80. Jetzt müssten wir nach der demografischen Kopfzahltheorie alle verhungert sein. Sind wir aber nicht! Und zwar deshalb nicht, weil die Ergiebigkeit der landwirtschaftlichen Arbeit gestiegen ist. Wenn also das Ergebnis der Arbeit dank technischen Fortschritts zum Beispiel zehnmal so hoch ist wie in den Jahren, in denen die Geburtenzahl höher lag, kann der Beitragszahler auch zehnmal mehr Alte als damals ernähren.

Wenn die Geburtenzahl der entscheidende Faktor der Alterssicherung wäre, müssten etwa die Kongolesen und die Amazonasbewohner eine hervorragende Alterssicherung besitzen. Dort ist die Geburtenrate hoch. Die Alterssicherung ist niedrig, weil ihre Arbeit nicht produktiv genug ist und so das Ergebnis der Arbeit zum Teilen zu wenig hergibt.

Die Wahrheit: Beiträge steigen

Allerdings gehört zum neuen Wohlstand, dass der Arbeitnehmer mehr von seinem Arbeitsergebnis abgeben und höhere Beiträge zahlen muss. Es verbleibt ihm dennoch ein höherer Wohlstand, weil sein Lohn auch gestiegen ist. Trotz höherer Beiträge steigt das verfügbare Einkommen. Meine Eltern hatten mit 10 Prozent Rentenbeitrag weniger Geld für sich als ihre Enkel mit rund 20 Prozent Rentenbeitrag.

Wozu Geld für Hedge-Pensionsfonds etc.?

Sollen die Arbeitnehmer mit ihren Beiträgen auch noch ihre Metzger finanzieren, die mit ihren Spekulationen die reale Wirtschaft ruinieren? Die großen Pensionsfonds jedenfalls haben viele Arbeitsplätze mit ihrem Finanzgebaren kaputtgemacht.

Arbeit als Zentrum der Gesellschaft

Die Chancen der Arbeit entscheiden über die Chancen der Alterssicherung. Das ist die einfache Wahrheit, die dem Rentensystem zugrunde liegt. Eine Gesellschaft, deren Angelpunkte die Arbeit bietet, ist menschenfreundlicher als eine Wirtschaft, die sich nur um das Kapital dreht.

Die Bedeutung des Kapitals nimmt im Zeitalter der Informatik rapide ab. Innovation und Wissen werden wichtiger als Kapital. Allerdings wandelt sich der Arbeitsbegriff. Arbeit ist nicht nur die alte Lohnarbeit. Auf die Veränderung der Arbeit muss das Rentensystem reagieren.

Die Grundsatzfrage: Zukunft der Arbeit

Es geht bei der Alternative "Kapitaldeckung oder Umlage" nicht nur um eine Rentenfrage, sondern um eine Werteentscheidung, welche die Zukunft der Gesellschaft prägt. Eine Wirtschaft, deren Angelpunkt die Arbeit ist, bietet mehr Chancen zur Menschenfreundlichkeit als eine Gesellschaft, in der sich alles ums Kapital dreht.

Resümee: Kapitaldeckung – eine Sackgasse

Kapitalgedeckte Privatversicherung hat keine ausreichende Antwort auf das Risiko der Arbeitslosigkeit, der Erwerbsunfähigkeit, Krankheit – und keinen Sinn für Familie. Ihr fehlt dafür der Mechanismus des Solidarausgleichs.

Deutschland macht miserable Erfahrungen mit der Riester-Rente. Der Kater folgt noch, wenn die heutigen Beitragszahler in die Rente kommen. Dann werden sie feststellen, dass die Riester-Rente das Loch nicht schließt, das sie mit der von ihr bewirkten Senkung des Rentenniveaus in das gesetzliche Rentensystem gerissen hat. Hauptgewinner sind die Versicherungskonzerne.

Niedrigere Rente für mehr Beiträge

Am Ende der Riester-Rente steht das paradoxe Ergebnis: niedrigere Alterseinkommen und höhere Beiträge. Diese "Verrücktheit": Mehr "Beitrag" für weniger "Rente" kommt auch deshalb zustande, weil die "Verwaltungskosten" der Privatversicherung (15 bis 25 Prozent) sehr viel höher sind als jene der staatlichen Rentenversicherung (1,5 Prozent). Die staatlichen Zuschüsse zur Riester-Rente werden von den Kosten der Verwaltung und der Rendite aufgefressen, welche die Versicherungskonzerne für sich abzweigen. Hinzu kommt, dass die Arbeitnehmer den Beitrag zur Riester-Rente allein zahlen. Der Arbeitgeberbeitrag ist entfallen.

Kapitalgedeckte Alterssicherung ist kein Ersatz für die solidarische Rente. Die Privatversicherung kann die Sozialversicherung ergänzen, aber nicht ersetzen. Mit der Kapitaldeckung steckt die Rente in der Sackgasse.

 

Norbert Blüm (79), war von 1982 bis 1998 Arbeitsminister in der Regierung Kohl. Der gelernte Werkzeugmacher wurde in der eigenen Partei gerne als Herz-Jesu-Marxist belächelt. Stets mit ihm verbunden bleibt der Spruch: Die Rente ist sicher. Blüm schreibt Bücher, unter anderem zusammen mit Kontext-Autor Peter Henkel.


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39 Kommentare verfügbar

  • eraasch
    am 07.03.2015
    Antworten
    Noch ein Punkt:
    Neben der unstrittigen Tatsache, das eine Umlagefinanzierte Rente unkaputtbar ist, wenn sie gerecht und breit aufgestellt ist (es sei denn die Gesellschaft hört kollektiv auf zu wirtschaften), darf man auch nicht aus den Augen verlieren, daß Geld und Kapital als Wertanlage…
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