Die Eckpunkte der neuen Struktur: Eine "flexible Gemeinschaftsredaktion", die aus neun Ressorts besteht, liefert künftig die Inhalte für beide Zeitungen und produziert die Seiten in einem gemeinsamen Newsroom. Getrennt bleiben allein die Chefredaktionen, kleine Teams für die Titelseiten, Artdirektionen sowie insgesamt zwölf exklusive Autoren, die die inhaltliche Profilierung beider Blätter gewährleisten sollen. Neu gegründet wird das Ressort "Multimediale Reportage", in dem Reporter gemeinsam mit Videoredakteuren und Webdesignern Inhalte für die digitalen Kanäle erstellen.
Die Chefredakteure machen mit - ohne Begeisterung
Die Chefredakteure beider Titel haben das Fusionsprogramm maßgeblich mitentwickelt, wenn auch nicht aus Begeisterung. Sie sehen allerdings, dass auch in der wirtschaftsstarken Stadt Stuttgart Anzeigengeschäft und Auflagen bröckeln. Die Gesamtauflage von 470 000 Exemplaren, die in der aktuellen SWMH-Pressemitteilung stolz präsentiert wird, steht ohnehin nur auf dem Papier. Darin enthalten sind die Auflagen der Partnerzeitungen, die aus Stuttgart den Mantel beziehen, aber ansonsten eigenständig arbeiten, vor allem in der lokalen Vermarktung. Für die beiden Stuttgarter Blätter weist die ivw-Statistik im ersten Quartal 2015 zusammen 155 000 Abos aus - vor zwei Jahrzehnten lag die "Stuttgarter Zeitung" allein in dieser Größenordnung.
Als Schwachpunkt der derzeitigen Struktur haben Geschäftsführer und Chefredakteure die Tatsache ausgemacht, dass die Redaktionen nach wie vor stark auf die Printausgaben konzentriert sind. Die Digitalisierung der Mediennutzung ist denn auch ein zentrales Argument für den neuen Weg: Joachim Dorfs, Chefredakteur der "Stuttgarter Zeitung", gibt als Ziel vor, "die Informationsbedürfnisse unserer Leser künftig besser von morgens früh bis in den späten Abend auf unterschiedlichen Kanälen zu befriedigen". Und sein Kollege von den "Nachrichten", Christoph Reisinger, will Kräfte freisetzen, "die wir in die quantitative und qualitative Ausweitung des Digitalangebots investieren können".
Investieren will SWMH-Chef Rebmann in der Tat auch: Zehn bis fünfzehn Stellen für "neue Aktivitäten und die Sicherung der Qualität" sollen neu geschaffen werden. Im Vordergrund steht allerdings das Sparen: 30 bis 35 Stellen fallen in den Redaktionen weg. Das finanzielle Ziel dürfte sich folglich auf eine Kostensenkung in der Redaktion von etwa zwei Millionen Euro belaufen. Diese Vorgabe ist nicht eben rabiat, die neue Gemeinschaftsredaktion soll immerhin 240 Vollzeitstellen umfassen. Auch bei der Umsetzung will man offenbar gemäßigt vorgehen: Der Personalabbau soll über freiwillige Abfindungsangebote, nicht über betriebsbedingte Kündigungen erfolgen. Und die Gelegenheit, mit der Gründung der Gemeinschaftsredaktion den Tarifvertrag zu verlassen, bleibt ungenutzt - betriebswirtschaftlich eine teure Entscheidung, die Rebmann als Vizepräsident des Zeitungsverlegerverbandes BDZV politisch allerdings kaum anders treffen konnte.
Die Stuttgarter Revolution wirkt im bundesweiten Vergleich nicht einmal besonders revolutionär. Bei DuMont Schauberg arbeitet die DuMont Redaktionsgemeinschaft seit Jahren aus einer Hand für die Abotitel "Berliner Zeitung", "Kölner Stadtanzeiger" und "Mitteldeutsche Zeitung". Nach wie vor ist auch die "Frankfurter Rundschau" an den Verbund angegliedert. Madsack hat im vergangenen Jahr das Redaktionsnetzwerk Deutschland gegründet, eine Gemeinschaftsredaktion, die von Hannover aus fast zwanzig Titel aus einer Hand beliefert und deren Mantelseiten produziert. Bei Funke in Essen wird mit Hochdruck an der gemeinsamen Mantelredaktion für die Titel der Gruppe (unter anderem "WAZ", "NRZ", "Berliner Morgenpost", "Hamburger Abendblatt") gearbeitet. Nun eben auch Stuttgart?
Die "Nachrichten" werden zur Light-Version der "Zeitung"
Tatsache ist, dass sich auch in Stuttgart seit den Zeiten des Eugen Kurz vieles geändert hat. "Stuttgarter Zeitung" und "Stuttgarter Nachrichten" haben bereits seit 1979 mit "Sonntag Aktuell" eine gemeinsame siebte Ausgabe für die Abonnenten (die allerdings gerade zur Disposition steht), Beilagen werden gemeinsam produziert, die "Nachrichten" können auf regionale Inhalte der "Zeitung" zugreifen, die Onlineangebote beider Titel enthalten bereits weitgehend identische Inhalte.
10 Kommentare verfügbar
Markus Fehring
am 19.06.2015Ein kurzer Blick ins Impressum würde genügen, um zu sehen, dass der Mantel der NWZ nicht von den Stuttgarter Nachrichten geliefert wird (wurde er auch noch nie), sondern von der Ulmer Südwestpresse. So wie seit Anfang der 70er. Da wurde nämlich tatsächlich der Göppinger Mantel…