Auf dem dramatischen Höhepunkt seines Lebens warf sich Rolf Nesch 1943 in Oslo vor eine Straßenbahn. Er war Kriegsgegner. Zehn Jahre zuvor, gleich 1933, war er nach Norwegen emigriert. Doch nun hatten die Nazis das Land okkupiert. Im Alter von 50 Jahren drohte er erneut zum Kriegsdienst eingezogen zu werden. Er hatte im Ersten Weltkrieg gedient – das wollte er nicht noch einmal mitmachen. Der Künstler überlebte, doch die linke Körperhälfte blieb zeitlebens beeinträchtigt. Drei Jahre später wurde er norwegischer Staatsbürger.
Seine ersten Prägungen erfuhr Nesch in seinem Geburtsort Oberesslingen, dann ab dem siebten Lebensjahr in Heidenheim, als Teenager in einer Dekorationsmaler-Ausbildung und an der Stuttgarter Kunstgewerbeschule. Doch erst im Kunststudium in Dresden begann sich sein künstlerisches Talent zu entfalten. Er wurde Meisterschüler von Oskar Kokoschka, besuchte 1924 Ernst Ludwig Kirchner in Davos und zog 1929 nach Hamburg. Dass er nach Norwegen emigrierte, lag auch daran, dass er Edvard Munch verehrte. Doch der zeigte sich wenig interessiert an dem neu zugewanderten Deutschen.
"Prägungen und Entfaltungen" nennt das Kunstmuseum Stuttgart eine Ausstellung, die Nesch zwei jüngere, heutige Künstler:innen gegenüberstellt. Was sie verbindet, ist eine Flucht- und Migrationsbiografie. Und dass sie sich wie Nesch, der sich als Kosmopolit verstand und heute zu den bedeutenden Künstlern Norwegens zählt, nicht auf ihre geografische Herkunft festlegen lassen.
Fünfzig Jahre nach seinem Tod widmet auch die Villa Merkel in Esslingen Nesch eine kleine Ausstellung. Sebastian Schmitt, der die Städtische Galerie seit zwei Jahren leitet, hält Nesch für einen der bedeutendsten Künstler der Vor- und Nachkriegszeit, vergleichbar etwa mit Willi Baumeister. Die Villa Merkel besitzt immerhin die drittgrößte Sammlung seiner Werke, nach dem Nationalmuseum Oslo und dem Kunstmuseum Stuttgart. Schmitt war hocherfreut, als das Kunstmuseum nach Leihgaben anfragte, und beschloss, Nesch in zwei Räumen der Villa ebenfalls eine kleine Ausstellung zu widmen. Bereits 1975 und 1993, zum 100. Geburtstag, hatte es hier große Einzelausstellungen gegeben.




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