KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Nachbarschaftsstreit wird zu Kunst

Kein Frieden der Hütte

Nachbarschaftsstreit wird zu Kunst: Kein Frieden der Hütte
|

Datum:

Eine Provinzposse mit Nachspiel: Der kuriose Streitfall um eine halbe Hütte in Donzdorf führt erst zur künstlerischen Intervention eines Bildhauers, dann inspiriert er eine Regisseurin des Theaters Lindenhof in Melchingen zu einem Schwank.

"Schwabenland ist Hüttenland", erzählt Andreas Geiger, während die Kamera durch den Ort fährt. "Das Wichtigste ist dem Schwaben ja sein Häusle – aber das Zweitwichtigste: seine Hütte. Und jeder, der in Donzdorf ein bisschen was auf sich hält, besitzt ein Stückchen Land mit einer Hütte. Die Hütten werden von Generation zu Generation weitervererbt, so wie der kostbare Familienschmuck, den auch keiner mehr braucht."

Auch Andreas Geiger hat eine Hütte geerbt. Für ihn bedeutete das ein wenig die Wiederentdeckung der Heimat. Für einen anderen nicht: Geigers Hütte steht zu zwei Dritteln auf dem Besitz eines begüterten Nachbarn. Der erhob Anspruch auf das Bauwerk, zeigte sich kein bisschen kompromissbereit. Es kam zum Streit, der Streit kam vor Gericht.

Andreas Geiger ist Filmemacher. In seinem Heimatort Donzdorf, einer Kleinstadt im Kreis Göppingen am Rande der Schwäbischen Alb, ist auch das international große Musiklabel Nuclear Blast zu Hause. 2005 bereits drehte Geiger die Dokumentation "Heavy Metal auf dem Lande", der das Label in seinem Umfeld porträtiert. 2018 dann verarbeitete er in seinem Film "Halbe Hütte" die eigenen Erlebnisse: den bizarren Zank um wenige Meter Erdboden, die Mühlen der Bürokratie, die Fallstricke des Rechts und ein wenig auch die Donzdorfer Ortsgemeinschaft und ihre Charaktere.

"Ich bin doch nicht die Krim"

Er selbst geht im Film umher, beschaut die Hütte, ist froh, sie geerbt zu haben, findet über sie einen neuen Bezug zu Familie und Herkunft – und erhält Post. Von eben jenem Unternehmer, der erklärt, die Hütte stehe größtenteils auf seinem Grund und Boden und gehöre deshalb ihm. "Ich bin doch nicht die Krim, du Putin!", denkt sich Andreas Geiger im Film da ganz leise.

Erst glaubt der Erbe der Hütte noch, all dies sei kein Problem. Dann zeigt sich: Das ist es doch. Es folgen Gespräche mit dem Bürgermeister, dem Anwalt, dem Bauamt – ein Karussell, das sich dreht und dreht, aber keine Freude macht. Erbaut wurde die Hütte vom Großvater, der in den Krieg zog und nicht wiederkehrte. Er hielt sich nicht korrekt an die Grenzmarkierungen vor Ort, ignorierte sie oder interpretierte sie falsch – nicht anders als viele andere Hüttenbauer in anderen Orten: Hütten, die nicht exakt den baurechtlichen Vorschriften entsprechen, finden sich überall im Land, Schrebergärten, die vor Jahrzehnten entstanden, nach eigenen Regeln wuchsen. Zumeist werden sie von den Kommunen stillschweigend geduldet.

Aber wehe, wenn der Unternehmer kommt! Der, ein durchaus angesehener Herr, kaufte in Donzdorf großflächig Land auf und erklärte es zu seinem privaten Waldgebiet. Die Hälfte der Hütte, die Andreas Geiger geerbt hatte, okkupierte er kurzerhand, stellte eigene Geräte darin auf und untersagte den Zutritt.

Der Nachbar der Hütte ist nicht der einzige konsequente Privatier im Umfeld. Ein ähnlich umgänglicher Zeitgenosse ist Besitzer einer Burg und befindet sich im Rechtsstreit mit der Stadt Donzdorf. Andreas Geiger und ein Freund gehen im Film bei ihm vorbei, auf einem Weg, der öffentlich sein sollte, aber durch ein Tor gesichert ist. Sie begegnen dem Eigentümer des Tors und werden von ihm gebeten, das Gelände zu verlassen.

Vom Nachbarn derweil werden alle Kommunikationsversuche zur Hüttensache abgewiegelt. Andreas Geiger versucht noch, auf einer Jagdgenossenversammlung persönlich mit ihm ins Gespräch zu kommen – vergeblich. Geigers Wiese, auf der die Hütte steht, den Schinderwasen, würde der Unternehmer jedoch gerne kaufen. Das macht er klar.

"So sind se, die neuen Ländlords"

"Es gibt Leute", sagt Andreas Geiger im Film, "für die bedeutet Heimat vor allem halt Eigentum. Dass mir und vor allem meinem Vater die Hütte auch emotional was bedeutet, kann er gar nicht nachvollziehen." Und: "Gemeinden müssen an private Investoren verkaufen. Immer mehr Land geht der Allgemeinheit verloren. Das ist Geopolitik auf dem Lande." Ein Freund des halben Hüttenbesitzers bringt es auf den Punkt, im Dialekt: "So sind se, die neuen Ländlords!"

Andreas Geiger suchte in seiner Not zuletzt einen Geistlichen auf. Der Pfarrer konnte nicht wirklich helfen. Die Kunst aber schon: Werner Meyer, zu jener Zeit noch Leiter der Kunsthalle Göppingen, machte Geiger auf eine Gesetzeslücke aufmerksam und riet zur Umwandlung der Hütte in ein Kunstwerk. In diesem Fall nämlich käme das Urheberrecht des Künstlers ins Spiel – und Nachbarn wären, gegebenenfalls, vorerst einmal machtlos.

Thomas Putze, Bildhauer und Performancekünstler, einst selbst ein Student der Theologie, kam und schnitt in Donzdorf mit der Motorsäge eine heilige Familie aus Holz und stellte sie in die Hütte hinein. Alle Figuren, bis auf das Jesuskind, spaltete er entlang jener Linie, die die Besitzgrenze in der Hütte markiert. Ein großes Krippenfest fand statt, im Dezember 2017, Publikum kam. Die Hütte, nun Kunstwerk, war bis auf Weiteres gerettet. "Für mich", sagt Thomas Putze rückblickend, "war das ein schönes Projekt. Es hat alles berührt – persönliche, gesellschaftliche, politische, existenzielle Fragen."

Die Hütte kommt auf die Bühne

Der künstlerische Nachhall auf eine Provinzposse war damit noch nicht zu Ende. Im Frühjahr 2025 feierte am Theater Lindenhof in Melchingen ein Bühnenstück Premiere, das die Hütte zum Thema macht. Regisseurin Edith Ehrhardt sah Andreas Geigers Film und ließ sich inspirieren. "Halbe Hütte" wird vom Theater Lindenhof auch in der Spielzeit 2025/26 aufgeführt – ein Schwank mit skurril, aber doch liebevoll gezeichneten Figuren, eine Farce, mit der das Theater unterm Albtrauf dem Begriff "Heimat" auf ganz eigene Weise nachgeht. Die Schauspieler – Berthold Biesinger, Hannah im Hof, Rino Hosennen, Linda Schlepps und Luca Zahn – spielen den Irrsinn auf dem Lande mit toller Übertreibung, kuriosen Regieeinfällen und viel echtem Gefühl für die geteilte Erde. Auf der Bühne wird fleißig gegackert und geschnaubt. Die Bühnenwände besitzen Klappen, die sich öffnen, aus denen kurz und knapp der Postbote hervorschaut, Aktenberge auf die Bühne kippen, Anwälte hervorgeschossen kommen, Landvermesser erscheinen oder in denen ein alter Traktor dampft.

Die "Halbe Hütte" ist mittlerweile also fast schon prominent. Sie ist auffindbar mit diversen Navigationsgeräten. Aber eine Sehenswürdigkeit, ein Bauwerk, das die Landschaft prägt oder bedeutsam Kultur und Geschichte der Schwäbischen Alb repräsentiert, das ist sie gewiss nicht. Wer es auf sich nimmt, den digitalen Karten zu folgen, zu Fuß hinaufsteigt ins Hochland über Donzdorf, im Frühling über den ergrünenden Schinderwasen stakst, der wird vor einem streng vernagelten Holzhaus stehen. Kein Scharnier dort will sich rühren. Dem Wanderer, der das Auge ans Astloch presst oder durch eine trübe Scheibe ins Innere späht, offenbart sich nichts als ein wenig staubiges Gerät im Dunkeln. Von einer Heiligen Familie keine Spur.

Einsturzgefahr – Nachbar verhindert Sicherung

"Seit 2020", dies teilt die Gemeinde Donzdorf knapp und trocken zur Lage mit, "besteht für die Hütte eine behördliche Nutzungsuntersagung, da sie aus Sicherheitsgründen als einsturzgefährdet gilt. Aus diesem Grund ist sie abgesperrt, um auch Dritte am Betreten zu hindern." Der Starrsinn des Unternehmers hat auch zur Folge, dass weitere Maßnahmen zur Sicherung der Hütte unterbleiben müssen. Sie wird verfallen. Die Krippenfiguren, die Thomas Putze schuf, wurden verkauft, verschenkt oder weiter verarbeitet. Nur der Esel, sagt Putze, stünde noch bei ihm im Atelier.

Ist das der letzte Akt der Posse? Wie zufrieden der Herr, dessen Name in Film und Theaterstück durch ein frohes Zwitschern ersetzt wurde, mit der Entwicklung ist, das weiß nur er selbst. Da er sich weigerte, seine Hälfte der Hütte gegen Einsturzgefahr zu sichern, prozessierte die Stadt Donzdorf gegen ihn, ging bis vors Bundesverfassungsgericht, gewann. Andreas Geiger derweil zuckt längst mit den Schultern: "Ich habe gelernt, anders mit Konflikten umzugehen und habe meinen Frieden mit der Hüttensache gemacht", sagt er.

Der Wanderer, auf seinem Weg zurück ins Dorf, wird allerdings zu seiner Rechten und seiner Linken viele weitere Hütten erblicken. Tadellos, sauber und gepflegt oder schon leicht verwittert schauen sie zwischen Büschen und Bäumen hervor. Sie wirken unversehrt – aber wer weiß: Vielleicht wurde die eine oder andere von ihnen ebenfalls ein wenig jenseits einer Grenze gesetzt, vielleicht wird eines Tages ein anderer "Ländlord" kommen, um sie zu zerbrechen.

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


0 Kommentare verfügbar

Schreiben Sie den ersten Kommentar!

Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!