Sein Umfeld beglückt er gerne mit aufwändig gestalteten Postwurfsendungen. Zeitungsausschnitte mit den Worten "Fettiges Gold" sind dann etwa auf das Kuvert geklebt oder "heiter bis ernst". Im Umschlag steckt oft ein Gedicht von ihm, eingerahmt von aus Zeitungen und Magazinen kopierten Bildern und Texten. Sehr liebevoll selbst gebastelt – und in der digitalen Welt betont aus der Zeit gefallen. Jetzt kommt endlich wieder einmal ein größeres Publikum in den Genuss des Werkes von Bernd Harlem Fischle: Gerade hat der selbsternannte Eckkneipen-Poet mit "Der Sound der Nacht" einen neuen Gedichtband herausgegeben.
Das 170-Seiten-Bändchen ist aufgemacht wie die sehr persönlichen Briefe an seine Freunde: Schwarzweiß-Fotografien werden mit Gedichten kombiniert. Oft sind schwarze Musiker zu sehen, manchmal abgerissene Gestalten, Kneipenszenen inmitten von Suff und Exzess, meist wird auf den Bildern viel gequalmt. Oft sind es untergegangene Welten aus längst vergangenen Epochen der 50er oder 60er Jahre. Manchmal Charles Bukowski oder Jack Kerouac, offenbar die geistigen Helden von Harlem Fischle. Und wohl eine Reminiszenz an seine Jugend, der Dichter ist Jahrgang 1951.
In seinen Gedichten treibt er "als einziger Rentner ohne Blog (…) durch den dunklen Block. Auf der Suche nach der nächtlichen Mittagspause (…) Verdorben durch Kreditkarten schlich ich mich ins nächste Bahnhofslokal". In seinen Versen nimmt Harlem Fischle Alltagsbeobachtungen vor, hinter und unter dem Tresen auf, verdreht sie, vertrasht sie und kommentiert sie. Immer im engen Gedankenaustausch mit seinem ständigen imaginären Begleiter Blondsy, dem Mann mit dem goldenen Rollator. "Erstaunliches las ich an der WC-Wand, auf der sich ein Fan der Stuttgarter Kickers verewigt hat: Wir haben den besseren Koks als der Scheiss-VfB. Blondsky, der Mann mit dem goldenen Rollator konterte wortspielerisch: Dafür haben die Blauen aber keinen Torriecher mehr und die Fans haben die verdammte Nase voll von der fünften Liga." In den Fußballkosmos verlegt Harlem Fischle seine Szenerien oft, immerhin kickte er selbst sehr lange in der Jugend des VfB Stuttgart, dem er sich bis heute kritisch verbunden fühlt. Der im Stuttgarter Osten aufgewachsene Lyriker lebt seit Jahrzehnten in Bad Cannstatt am Seelberg. Fischle: "Der Soulhill war seit Jahrzehnten ein Reservat der Unauffälligen jenseits von Homeoffice und Plattformartisten."
Eckkneipentheke mit wilden zahmen Kreaturen
Angenehm ist die Perspektive von Harlem Fischle, seine solidarische Zugewandtheit zu den Deklassierten der Vororthinterhöfe und verrauchten Pinten "mit den trotzigen Gesichtern, aber voll Hoffnung auf die große Liebe". Obwohl der einst als Sozialarbeiter in der Stuttgarter Jugendgerichtshilfe tätige Lyriker die große Welt gesehen hat: Er lebte in den 80er Jahren rund ein Jahr im New Yorker Stadtteil Harlem, woher auch sein Künstlername rührt. Seit Anfang der 80er Jahre veröffentlicht er auch in losen Folgen seine Gedichte, immer mit einer großen Portion Dadaismus.
Eine ganz besondere künstlerische Qualität erreicht das Werk von Harlem Fischles jedoch erst durch eine spezifische ästhetische Ebene. Der Stuttgarter Schriftsteller Peter O. Chotjewitz hat die Vorgehensweise des "waschechten Wortakrobaten" einmal so beschrieben: "Nicht Ironie, Besinnlichkeit und schwarzer Humor sind seine Fermente, sondern Ingrimm. Harlem geht den Schritt weiter, der ihn zum sprachexperimentellen Autor macht. Er schneidet den Wörtern die Bäuche auf und präsentiert die in ihnen enthaltenen Wörter. Er entschleiert ihre Doppelbedeutungen, Paradoxien und Widersprüche. So beginnen die Sätze zu flirren, ihre sprachliche Gestalt rückt sie ins Museum der modernen Poesie."
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