Eigentlich spielt Raphael Sachs Bratsche im SWR-Symphonieorchester. Heute ist er gemeinsam mit dem Fotografen Andree Kaiser bei sich zuhause im Freiburger Stadtteil Wiehre Gastgeber eines ungewöhnlichen Konzertes. Ein Künstler und ein Zuhörer treffen bei den "1:1 Concerts" für zehn Minuten aufeinander.
Keiner kennt den anderen. Auch das Konzertprogramm ist unbekannt. Man soll sich bei diesem musikalischen Blind Date eine Minute in die Augen schauen, bevor die Musik beginnt, steht in den Erklärungen, die bei der Anmeldung per Mail verschickt werden. Nicht sprechen und nicht klatschen, lauten weitere Vorgaben. Raphael Sachs gibt den Platzanweiser und führt mich durch das Hinterhofatelier vorbei an Schwarz-Weiß-Porträts von Peter Maffay und Udo Lindenberg zu einem frei stehenden Sessel. Dann fällt die Tür ins Schloss und ich bin allein.
Nur eine Harfenistin sitzt stumm im Nebenraum, wie ein Gemälde, eingerahmt von einem Vorhang. Ein vorsichtiges Lächeln, das sie erwidert. Ein langer, intensiver Blickkontakt, ehe die Musikerin ihren Kopf zu den Noten wendet und beginnt, mit fließenden Bewegungen die Saiten zu zupfen. Die gleichmäßigen Arpeggien lassen die Gedanken frei. Die Musik beruhigt und wärmt. Ein letzter, dankbarer Blick – dann verlasse ich den geschützten Raum und blinzle in die Sonne.
Erst in die Augen schauen, dann spielen
"In a Landscape" von John Cage hat Ursula Eisert für mich gespielt, erfahre ich durch den Zettel, den der Gastgeber mir reicht. Eine Aufforderung zur Spende an den Nothilfefonds für freischaffende Musiker und die Möglichkeit, schriftlich ein Feedback zu verfassen, beschließen dieses besondere Konzertformat. Auch bei der Harfenistin haben die Konzerte Spuren hinterlassen. Der lange Blickkontakt sei ungewohnt, aber nicht unangenehm, sagt sie.
Im Januar ist Eisert zum letzten Mal mit dem Orchester aufgetreten. "Das Spielen fehlt mir sehr. Dieses Konzert ist eine wunderbare Möglichkeit, mit unserem Publikum in Kontakt zu bleiben. Mir gefällt der konzentrierte Rahmen. Man hält Innenschau – das passt gut zur allgemeinen Situation." Auch Gabi Dierdorf von der Kulturliste Freiburg ist in den Innenhof gekommen, um sich das exklusive Konzert anzuhören. Die Geigerin Margaret MacDuffie spielt für sie. "Das geht sehr tief", sagt Dierdorf, "besonders intensiv empfand ich den Übergang vom Blickkontakt in die Musik."
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