"Es begab sich aber zu der Zeit...", so beginnt der Vater nun, wie jedes Jahr, seinem Sohn eine Geschichte vorzulesen, die seit zweitausend Jahren immer wieder nachgedruckt wird und den Erzähler Lukas und seinen Ko-Schreiber Matthäus zu Bestsellerautoren gemacht hat. Jetzt aber passiert etwas Unerhörtes in dieser besinnlichen Kleinfamilie, die traditionell Union wählt. Der Sohn muckt nämlich auf: "Nein, Papa, nicht schon wieder! Das ist doch eine blöde Geschichte, die geht jetzt gar nicht mehr!" Der Vater aber macht unbeirrt weiter: "...dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde..." – "Hah! Globale Volkszählung, so ein Quatsch..." – "Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war." – "Weihnachten in Syrien! Ja, die spinnen doch!"
Der Vater erzählt trotzdem weiter, wenn auch ein bisschen eingeschüchtert, und er kommt jetzt an die Stelle mit der Maria, die quasi ein Gründungsmythos für das christliche Abendland ist und dessen Betreuerin, die CDU: "Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge." Aber nun legt der Sohn sowas von los: "Ich kann's nicht mehr hören! Dieses sentimentale Wohnungsnot-Gesabbel! Ist doch klar, dass in Bethlehem zur Weihnachtszeit alles voll ist, Hotels, Hostels, Absteigen und Airbnb, das regelt halt der Markt! Diese Maria und dieser keusch mittrottelnde Josef, die sollen doch froh sein, dass sie ganz ohne Voranmeldung überhaupt noch den letzten Krippenplatz gekriegt haben!" In Stuttgart, ereifert sich der Sohn, da sehe das ganz anders aus, "da geht es nämlich geordnet zu, da muss man sein Kind schon vor der Empfängnis anmelden, egal ob die unbefleckt geplant ist oder nicht."
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