Manchmal ist die Kunst, die verdichten und dramatisieren sollte, noch seichter als die missionsgemäß aufzuhübschende Realität. Wie gerade im Studio des Mannheimer Nationaltheaters. Auf der sparsam bestückten Bühne banalisieren ausdauernd acht Mittelklasse-Erwachsene mittleren Alters, mittlerer Weltoffenheit, mittlerer Perspektiven – und diese Grundkonstruktion vermag, es kann nicht verwundern, beim Zuschauer kaum Interesse zu wecken. Was Regisseurin Friederike Heller aber nicht daran hindert, ihre Uraufführung von Anja Hillings "Wie kann ich dich finden, zu mir ziehen und überreden zu bleiben" auf zwei Stunden auszudehnen. Und so bahnt sich das Verhängnis seinen Weg. Immer da, wo Hilling die realen Zumutungen jeder Existenz streift – das, was Hoffnung, gar Utopie grau und traurig werden lässt –, versenkt sie im nächsten Augenblick den aufkeimenden Konflikt in einem verbalen Kokettierschleier, dreht aus heraklitischem Pathos wort- und gestenreiche, aber wahrheitsleere Pirouetten.
Der Abend wäre gänzlich umsonst, gäbe es nicht Larissa Aimée Breidbach und ihre Figur Calista. Sie agiert zurückhaltend, setzt dem Grellen, Anbiedernden, Gefallsüchtigen der Vorlage zuverlässig den Reiz der Verknappung entgegen. Man hat den Eindruck: Da spielt jemand, der weiß, dass Worte einen Hof brauchen, sollen sie mehr als sich selbst benennen, dass Sätze ohne Resonanzraum keine Irritationen auslösen, sondern glatt bleiben. Weitgereist sei ihre Figur, behauptet das Stück, und vielleicht weil das nicht nur für die Rolle, sondern auch für ihre Darstellerin gilt, mutiert in den wenigen guten Momenten dieser Inszenierung der Mannheimer Theateralltag zu etwas Vorzeigbarem: zu einem täuschend leichten Sprung aus eben diesem.
Dass die 34-Jährige überhaupt auf der Bühne steht, ist nicht selbstverständlich. Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater kam aus Burkina Faso, und vom Idealbild des blonden deutschen Gretchens ist Breidbach deshalb weiter entfernt, als es der Karriere förderlich ist. Auch wenn die Funktionäre von Theater- und Kinoszene in offenen Briefen, Interviews und Sonntagsreden gerne und ständig anderes behaupten – Chancengleichheit gibt es nicht. Geht es darum, farbige Schauspieler zu engagieren, fehlt es meist an gutem Willen und selten an Ausreden.
Schwarz schminken statt farbige Darsteller suchen
Wie im Dezember 2011, als das Deutsche Theater (DT) in Berlin für das Stück "Clybourne Park" eine weiße Darstellerin schwarz schminken wollte – eine auch als "Blackfacing" bekannte Praxis –, woraufhin der texanische Autor des Stückes Bruce Norris dem Theater die Aufführungsrechte entzog. Intendant Ulrich Khuon behauptete, keinen Farbigen für die Rolle gefunden zu haben – obwohl bereits damals nur wenige Kilometer vom eigenen Haus entfernt das von Lara-Sophie Milagro gegründete afrodeutsche Ensemble "Label Noir" residierte, das sicherlich zu jeder Hilfestellung bereit gewesen wäre, sofern es der DT-Chef nur vertrauensvoll kontaktiert hätte. In einem Interview mit der 3sat-Sendung "Kulturzeit" verbat sich Khuon, der seine Karriere in Konstanz begann und inzwischen zum Präsident des Deutschen Bühnenvereins aufgestiegen ist, Kritik an seiner Besetzungspolitik. Denn Darsteller spielten nur, sie seien nicht. Im Jahr zuvor hatte er noch das Gegenteil behauptet und in einem Gastbeitrag für das Branchenblatt "Theater heute" den Trend zu mehr Authentizität, das Einbinden von Migranten begrüßt ("Der partizipative Ansatz, die interkulturellen Fremdheitserfahrungen in die Theater quasi authentisch hineinzutragen (…), das ist eine richtige Antwort auf dieses Defizit."). Wer erklären will, warum zivilisatorischer Fortschritt in der Bühnenlandschaft mitunter von jeder Schnecke deklassiert wird, dem sei diese Episode empfohlen.
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Susanne Jallow
am 13.10.2017