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Ein kleines Wunder

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Das hätte sich auch die Regisseurin nicht träumen lassen: Der Rabbi läuft und läuft und läuft. Über einen Dokumentarfilm, dem trotz einem bescheidenen Budget und einem ebensolchen Hauptdarsteller ein gänzlich unbescheidener Erfolg beschieden ist.

Eine kleine filmische Dokumentation über einen Rabbi, der im Februar die Neunzig überschreitet, läuft jetzt schon seit 28 Wochen, hat bisher über 25 000 Besucher in Deutschland angezogen und eröffnet jetzt noch in London und Wimbledon das renommierte britische jüdische Filmfestival. Wenn das kein Wunder ist. Fast immer dabei ein höchst bescheidener kleiner Mann mit Hütchen, dem es nie langweilig geworden ist in seinem abwechslungsreichen, vielschichtigen Leben. Menschen jeden Alters hören dem weißhaarigen Wortzauberer gebannt zu, wenn er von den "Dingen des Lebens" (so ein Buchtitel ) erzählt, sie lassen sich einfangen vom Charisma dieses Mannes, wenn er als Rabbi Wolff seinen ganzen alterslosen Charme auf der Leinwand entfaltet. Am 16. November erlebt er im Stuttgarter Haus des Dokumentarfilms in Anwesenheit der Regisseurin Britta Wauer eine neue Aufführung.

Wenn ein mit Millionen finanzierter Hollywoodfilm weltweit die Kassen füllt (oder auch nicht), ist das keine große Überraschung. Und wenn ein finanziell gut gespickter Naturfilm Kasse macht, ist auch das keine Sensation. Wenn aber ein Film mit der schmalen Ausstattung von schätzungsweise 30 000 Euro monatelang in kleinen und manchmal etwas größeren Filmkunststudios wie etwa in Berlin oder Hamburg spielt, manchmal sogar seit Beginn bis zum heutigen Tag durchgängig, dann ist das auf dem umkämpften Marktsegment der Dokumentarfilme, wie Regisseurin und Produzentin Wauer meint "eine kleine Sensation".

Britta Wauer, Regisseurin des Erfolgsfilms "Rabbi Wolff" und Grimme-Preisträgerin, weiß auch nach Monaten gemeinsamer Gespräche und Auftritte noch nicht hundertprozentig genau, was den Erfolg des Filmes ausmacht, der sich auch in ihrer Branche herumgesprochen hat. Natürlich auch – und vor allem – dank der weltoffenen Art des bescheidenen William Wolff.

Nun hat sich die Berliner Filmemacherin zwar auf ein mutiges, aber nicht allzu gewagtes Projekt eingelassen. Denn sie kannte ihren Rabbi von einem vorhergehenden dokumentarischen Film über den jüdischen Friedhof Weißensee in Berlin ("Im Himmel, unter der Erde"), mit William Wolff als eine Art irdischer Fremdenführer im Reich der toten Seelen. Und ebenfalls kannte sie seine Lebensgeschichte. Er war als Kind jüdischer Eltern von Berlin über Holland nach London emigriert, machte dann Karriere als Journalist, besann sich relativ spät seiner jüdischen Wurzeln und ließ sich zum Rabbiner in London ausbilden. In mehreren englischen Gemeinden machte er sich als ausgleichender Prediger und Seelsorger einen Namen. Dieser Tage kehrt er in seine alte Gemeinde in Wimbledon zurück, um in seinen Rabbi-Film einzuführen.

Auch in Wimbledon ist er in guter Erinnerung geblieben, wie überall, wo er als Rabbi oder als Journalist gewirkt hat. Als er mit 72 Jahren gefragt wurde, ob er in Ostdeutschland die nach der Wende darniederliegenden jüdischen Gemeinden in Schwerin, Wismar und Rostock übernehmen und Landesrabbiner von Mecklenburg-Vorpommern werden wolle, da zögerte er nicht lange. William Wolff liebt solche Herausforderungen, "Wenn mir etwas langweilig wird, dann suche ich mir etwas Neues". Dabei wusste er genau, dass er in den vorwiegend mit russischen Rückwanderern besetzten jüdischen Gemeinden als englisch geprägter Rabbi kein leichtes Spiel haben würde. Also lernte er, so gut es ging in seinem Alter, eine neue Sprache und hielt auch Predigten auf Russisch. Das machte ihn zu einem hochgeachteten, vielfach ausgezeichneten Mann im Land.

Das bewahrte ihn aber nicht davor, dass, als vor einem Jahre seine Vertragsverlängerung anstand, manche in seiner Gemeinde meinten, der Rabbi sei zu alt und nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Er musste gehen, erhält aber Ehrensold und durfte sich auch eine Grabstätte aussuchen. Wie bitter ihn das getroffen hat, zeigen bewegende Szenen im Film.

Doch ein Rabbi Wolff trägt nicht nach. Er ist immer noch ein gern gesehener Gast in seinen alten Heimatgemeinden, erzählt Regisseurin Britta Wauer. Und er ist immer noch ehrenhalber Landesrabbiner von Mecklenburg-Vorpommern. Dass der Film "Rabbi Wolff" so einen bemerkenswerten Erfolg hat, kommt auch ihr und der ganzen Filmcrew zugute. Denn nach dem deutschen Filmförderungsgesetz wird ein Dokumentarfilm, der die Besucher-Marke von 25 000 erreicht, mit dem Grundstock für die nächste Filmförderung belohnt. Aus der Sicht eines Hollywood-Produzenten mag das Kleingeld sein. Aber es hilft, die Produktion hochklassiger Filme in Deutschland am Laufen zu halten.

 

Info:

Der Film "Rabbi Wolff. Ein Gentleman vor dem Herrn", wird in Anwesenheit der Regisseurin Britta Wauer am Mittwoch, dem 16. November 2016 um 19.30 Uhr im Kulturpark Berg im Haus des Dokumentarfilms in Stuttgart-Ost, Teckstrasse 62 gezeigt und diskutiert.


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