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Guter Vorsatz für 2026

Seid wie Söder!

Guter Vorsatz für 2026: Seid wie Söder!
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Wir kennen Markus Söder als Lachnummer. Aber wir kennen ihn. Das allein ist in der Mediendemokratie mehr wert als jedes Sachargument. Denn gegen die Dummheit der Deutschen ist kein Kraut gewachsen. Da hilft nur Wurst, meint unser Kolumnist.

Beginnen wir mit der Betrachtung der Wirklichkeit: Der bayerische Boulettenbomber Markus Söder ist ein rindsradikaler, mettextremistischer T-Bone-Terrorist, der mit seiner Gulaschnikow specktakuläre Moussakamassaker anrichtet, bei Instagram seine Innereien nach außen kehrt und uns pulled-pork-populistisch mit Pökelpöbeleien vollsülzt, um sich nachgerade gichtgierig zu gerieren als eingefleischter Rippchenrebell im Dienst der Volkswurstschaft. Sein Geist ist schwach und sein Fleisch noch schwächer. Und doch frage ich hier und heute in aller Öffentlichkeit: Macht Schwartensender Söder damit alles richtig?

Woher dieser zugegebenermaßen zunächst abwegig erscheinende Gedanke rührt, führe ich wohl besser ein bisschen aus. Deutschlands bekanntester Fleischfresser saß neulich beim personifizierten journalistischen Qualitätsverlust Caren Miosga. In seinem Glas befand sich rote Flüssigkeit – vermutlich Rinderblut, weil ihm Wasser zu vegan ist. Wie im vorangegangenen Absatz subtil suggeriert, hält Söder bekanntlich wenig von der Devise "Nichts schmeckt so gut, wie sich Klimaschutz anfühlt". Irgendwer muss die zwei Millionen Viecher, die in Deutschland jeden Tag weggemetzgert werden, schließlich verputzen.

Richtig gelesen: zwei Millionen jeden Tag. Allein Tönnies vergast in Rheda-Wiedenbrück täglich bis zu 28.000 Schweine. Dabei hat es sich auch im Schweineland Deutschland herumgesprochen, dass es nicht nur im globalen Kampf gegen den Treibhauseffekt hilft, sondern auch der persönlichen Salubrität zum Vorteil gereicht, hin und wieder Kartoffeln statt Kalb zu verkasematuckeln: Der Durchschnittsdeutsche vertilgt heute "nur" noch 53 Kilo Fleisch pro Kalenderdurchgang. Im Rekordjahr 1987 waren es noch 100 Kilo.

Wie ein Ferkel bei der betäubungslosen Kastration

Doch zurück zu Söder: Den Kotelettkönig kommentierte jüngst mein Kolumnistenkollege Kevin Kühnert an der Seite von Markus Lanz. Der ehemalige SPD-Generalsekretär schreibt neuerdings für den "Rolling Stone", sprich: "Kontext" für Bob-Dylan-Fans. Jedenfalls konstatierte Kühnert im ZDF: Das, was Söder mache, seine Instagram-Inszenierung – "das ist Politik heute auf 'ne Art!" Auf den Schreck musste ich erstmal die im Hals steckengebliebene Debreziner mit Wurstwasser runtergurgeln.

Söder habe laut Kühnert eines verstanden: Die Bewertung von Politik entferne sich immer weiter von "Gesetzen, Verordnungen, 10-Punkte-Plänen und Rechenbeispielen". Freilich gehöre derlei Sacharbeit schon noch dazu. Allein: "Damit wirbt man nicht auf dem Marktplatz. Dafür wird ein Ministerpräsident im Großen und Ganzen nicht gewählt. Sondern: Die Bewertung seiner Arbeit findet ganz maßgeblich über die Frage statt: Wie fühle ich mich, wenn der auftritt?" Ich persönlich fühle mich beim Auftritt Söders zwar wie ein Ferkel bei der betäubungslosen Kastration, doch offensichtlich geht es anderen anders.

Drum fragte ich einen Freund aus Bayern: Warum zur Sau wählen die Menschen Markus Söder? Mein Freund antwortete mit einer Gegenfrage: Kennst du einen anderen bayrischen Landespolitiker? Das gab mir zu denken.

Kurz darauf ein Gespräch mit einem bayrischen Berufsschullehrer: Ein paar seiner Schüler hegten Sympathien für die AfD. Einen inhaltlichen Grund konnten sie ihm auf Nachfrage zwar nicht nennen. Aber: Von denen hätten sie halt schon mal gehört. Ansonsten kennen sie nur Söder. Die Optionen sind also: Regierung wählen (Söder) oder Opposition (AfD).

Will sagen: Wenn meine Auswahl nicht durch das Angebot, sondern durch meine Unkenntnis begrenzt ist, wähle ich halt den fleischfressenden Klobrillenbart von Instagram oder den AfD-Lackaffen von TikTok.

Gewählt fürs Trachtenjankertragen

Für manche mag es schwer vorstellbar sein: Da draußen stromern Massen umher, die sich in etwa so sehr für Politik interessieren wie Hubert Aiwanger für Gender Studies. Das ist der andere bayrische Landespolitiker, den ich kenne. Aufgrund seiner exzellenten Sacharbeit, versteht sich. Gut möglich, dass viele Wähler:innen den Namen Lars Klingbeil nicht zuzuordnen wissen. Franziska Brantner sowieso nicht. Svenja Schulze, Hannes Schulze, Katharina Schulze, Sven Schulze? Einen dieser Politikernamen habe ich erfunden, viel Spaß beim Rätseln!

Haltet ein, ruft jetzt der mündige Demokrat, ist’s nicht die hehre Bringschuld des Bürgers, sich zu informieren? Mag sein, doch in Zeiten von Lieferando, Amazon und Temu befassen sich die meisten eher mit Klarna- als mit Bringschulden. Genauso gut könnte man fragen: Kennst du einen Stuttgarter Kommunalpolitiker, der nicht Frank Nopper heißt?

Klar ist’s ein glücklicher Umstand für das sprechende Ochsenmaul Söder, dass sein Narzissmus sich mit den Social-Media-Mechanismen deckt. Wobei sich ihm zugutehalten lässt, dass er seine Pastetenporträts lediglich postet und sie im Gegensatz zu Joe Wadephul nicht in den Botschaften der ganzen Welt aufhängen lassen will. Die Strategie geht jedenfalls voll auf, man muss dafür nicht Gramsci gelesen haben: Söder gibt auf Instagram den trottolösen Wurstkopf und verschafft sich mit der ostentativen Völlerei eine spezielle Art internetkultureller Hegemonie. Im Fernsehinterview mimt er dann den seriösen Staatsmann, wo er seine ernsthaften Positionen vertritt, obzwar er die häufiger wechselt als Österreich seine Bundeskanzler. Inhaltlich setzt er sich ein gegen Erbschaftssteuer, Gendern und klimaneutrale Autos. Gewählt wird er fürs Trachtenjankertragen.

Müssen demnach künftig alle Politiker saures Lüngerl mampfen? "Manches spricht dafür, dass demokratische Kräfte selbst Wege finden müssen, Personalisierung und Emotionalisierung auch für ihre Politik nutzbar zu machen", schreibt Kühnert in seiner Kolumne. Es geht nicht ums Schlingen, sondern ums Stattfinden. Mein Vorschlag: Klingbeil könnte jede Woche ein musikkabarettistisches Ständchen auf seiner Gitarre klampfen, Christian Dürr könnte sich beim täglichen Benzinschnüffeln filmen und Felix Banaszak – okay, keine Ahnung, was der können könnte. Ich persönlich würde mich bei diesen Anblicken vermutlich fühlen wie ein Rinderkopf am Bolzenschussgerät, doch anderen geht es vielleicht anders.

Fleischwolf schlachtet Erklärbär

Der fränkische Fleischklops kommt allerdings nicht mehr bei allen gut an. In seiner eigenen Partei schwindet der Rückhalt. Mit nur 83,6% Zustimmung hat der CSU-Chef sich in der Nacht nach dem Parteitag am 12. Dezember auf seinem mit Hack gefüllten Kopfkissen gebettet. Nicht nur sein persönlich schwächstes Ergebnis, sondern auch für CSU-Verhältnisse echt mau. Zum Vergleich: 1967 sage und schreibe 98,5 Prozent, im Jahr 1985 satte 98,8 Prozent und anno 1979 sogar 99 Prozent holte CSU-Imperator Kim Jong Strauß.

Dennoch fliegen Söder auf Instagram die Herzen zu. Noch gut im Ohr hat man die Abgangsexplosion von Erklärenthusiast Robert Habeck, gewissermaßen ein Anti-Söder, der im taz-Interview zeterte: "Dieses fetischhafte Wurstgefresse von Markus Söder ist ja keine Politik!" Ich fürchte: leider doch. Denn während der Grüne von der Bildfläche verschwunden ist trotz seiner exzellenten Sacharbeit, die ihm selbst Katherina Reiche bescheinigte und nun indirekt auch Friedrich Merz, indem der Kanzler einen Habeck-Vorschlag nach dem anderen umsetzt, rangiert Söder unter den Top 5 der beliebtesten Politiker der BRD. Söder ist ein dreckiger Gewinner, Habeck ein nobler Verlierer. Aber eben: ein Verlierer. Der Fleischwolf hat den Erklärbär geschlachtet.

Drum muss der Jahresvorsatz im progressiven Lager lauten: mehr Söder wagen! Heidi Reichinnek hat's bereits verstanden. Auch Cem Özdemir schlägt sich wacker. Tapfer hält er derzeit Glühweintassen, Butterbrezeln, Schokoladennikoläuse und Winfried Kretschmann in die Kamera. Ich persönlich fühle mich beim Anblick dieser Bilder zwar wie ein Küken im Schredder, aber das hatten wir ja schon.

Sicher: Man kann sich andere Zustände wünschen, einen niveauvollen öffentlichen Diskurs, eine bessere Debattenqualität. Aber wenn Kurt Schumacher recht hatte und Politik mit der Betrachtung der Wirklichkeit beginnt, so endet sie wohl mit der Imagination von Idealen. Gegen die Dummheit der Deutschen ist halt kein Kraut gewachsen. Da hilft nur Wurst.

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1 Kommentar verfügbar

  • B. Letta
    21 hours ago
    Reply
    Kontextleser wissen mehr, auch wenn sich mit diesem Wissen kein Blumentopf gewinnen lässt: von allen genannten Schulzes ist Hannes kein Politiker, sondern Künstler (gewesen), wobei auch Politiker Künstler sein können, wenn Politik als Staatskunst angesehen wird

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