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Von FIFA bis Fünfkampf

Akutes Verbandsversagen

Von FIFA bis Fünfkampf: Akutes Verbandsversagen
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Der Moderne Fünfkampf ist eine umständliche Randsportart mit komischen Funktionären. Verschwände er, wäre das kein großer Verlust, stellt unser Kolumnist beim Spaziergang über den Friedhof der ausgestorbenen Sportarten fest.

Der DFB gibt ein "katastrophales Bild" ab. Diese Bewertung ist keine üble Nachrede eines grob unsportlichen Kolumnisten, sondern eine richterliche Feststellung. Da muss ich schon sagen: Kompliment, Frau Richterin, absolut moderate Formulierung – die Staatsanwälte sprechen gar von "krimineller Energie" auf Seiten des Verbandes. Richterin Dr. Eva-Marie Distler kennt sich übrigens aus. Sie ist Mitglied des Verwaltungsrats von Eintracht Frankfurt. Kraft ihrer Funktion als Richterin verknackte sie den DFB im Sommermärchen-Prozess wegen Steuerhinterziehung. Ihr Urteil erging im Sommer dieses Jahres: schuldig!

Das Urteil hat allerdings keine großen Wellen geschlagen. Wissen ja alle, dass der Verband Dreck am Stecken hat. Da werden Schmiergeldzahlungen an die korrupte FIFA-Famiglia lustig von der Steuer abgesetzt. Da wird bei der Versteuerung der Bandenwerbung offensichtlich beschissen. Und bei den Bewirtungskosten ist man auch großzügig. Die Strafe von 110.000 Euro ist noch das geringste Problem. Dem Verband droht der Verlust der Gemeinnützigkeit für das Jahr 2006. Kommt es tatsächlich so, bleibt es im WM-Jahr bei einem Minus von 20 Millionen Euro.

Sommermärchen? Von wegen

In den nächsten Tagen wird das Ding mit der Bandenwerbung verhandelt. Dann steht auch die Gemeinnützigkeit für 2014 und 2015 auf der Kippe. Das wären dann minus 30 Millionen. Es gehört zur Etikette, dass ich an dieser Stelle anmerke: Solange das Verfahren läuft, gilt die Schuldvermutung. Du solltest an dieser Stelle besser nicht ausrechnen, wie viele Umkleidekabinen man hätte renovieren können und wie viele Jugendtrainerinnen und -trainer mehr man hätte bezahlen können. Darum hat der DFB auch einen Befangenheitsantrag gegen die Richterin gestellt. Praktisch Akt der Verzweiflung.

Aber jetzt sage ich dir was: An sich halte ich den DFB für einen grundseriösen Sportverband. Bis auf Kleinigkeiten gut geführt. Ein feines Vorbild für die Jugend sind diese Damen und Herren Funktionäre in Frankfurt und in den Landesverbänden. Nur das Beste für den Fußball im Sinn. Jetzt ehrlich: Mit dem DFB solltest du wirklich nicht so hart ins Gericht gehen – zumindest nicht, bevor du die Story vom DVMF gehört hast, dem Deutschen Verband Moderner Fünfkampf. Du weißt schon: Laufen, Fechten, Schießen, Schwimmen und Reiten. Entschuldigung, neuerdings Hindernislauf statt Reiten – und das aus Gründen.

Vielleicht erinnerst du dich an die vorletzte Olympiade und die Sache mit dem zugelosten Pferd von Tokio. Wie die deutsche Goldmedaillenfavoritin auf den Gaul geschlagen hat, weil er nicht vor und nicht zurück wollte. Da haben sich manche gefragt, in wen sie sich jetzt mehr hineinfühlen sollen: in das geschlagene Pferd oder die bockige Reiterin. Schließlich konnte sich niemand vorstellen, dass das arme Tier in seinem Leben je zuvor über ein Hindernis gesprungen ist. Dabei hat die halbe Welt live zugeschaut. Hinterher haben sich die Leute darauf geeinigt, dass derjenige geschlagen gehört, der diesen Sport erfunden hat. Denn der Moderne Fünfkampf hat danach vom Olympischen Komitee kräftig Druck bekommen wegen Tierquälerei.

Es war ja nicht das erste Mal, dass es Ärger gibt, wenn so einem bedauernswerten Tier ein selbsternannter Gold-Athlet auf den Rücken drauf gelost wird. Darum musst du neuerdings selber springen als Moderner Fünfkämpfer – über einen Hindernisparcours, den du dir vorstellen kannst wie bei Ninja Warriors. Sporthistorisch gesehen passt das sogar. Der Fünfkampf wurde schließlich vom Olympia-Wiederbeleber Pierre de Coubertin persönlich erfunden. Damit die Leute fit werden fürs Militär. Kurz danach begann der Erste Weltkrieg. Da könnest du schon auf die Idee kommen, der Moderne Fünfkampf wäre immer noch zeitgemäß.

Wenn man Notverbände braucht

Aber jetzt kommt's erst. Was der Reitskandal nicht geschafft hat, schafft der DVMF nämlich ganz allein. Der Verband richtet gerade seinen eigenen Sport zugrunde, und zwar gründlich. Die Damen und Herren Funktionäre streiten sich dermaßen, dass sie auf ihren Versammlungen bald mit Säbeln aufeinander losgehen. Erst hab ich gedacht, das sei ein Vermarktungstrick. Um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Praktisch Verbandsintrigen in Serie. Das klickt gut und gibt Einschaltquote. Könnte man sogar eine Daily Soap draus machen. Abteilung True Crime.

Der Fünfkampf zählt schließlich zu den Sportarten, die sonst nur alle vier Jahre auffällig werden – und das auch nur, wenn du ein olympischer Medaillenzähler bist und überlegst, woher die Deutschen jetzt noch eine Goldene holen könnten. Weil es dir schlagartig besser geht, wenn die große Sportnation mit neun statt sieben Goldenen nach Hause fährt. Aber da hab ich falsch gedacht. 5K-Crime ist real. Die gehen wirklich so miteinander um. Das kannst du keinem erzählen.

Neulich war Fünfkämpfer-Friedensgipfel angesetzt, sprich: außerordentliche Mitgliederversammlung. Da wurde sogar ein nagelneuer Doppelvorstand gewählt. Aber selbst danach keine Ruhe im Karton. Jetzt will schon wieder einer zum Gericht marschieren, alles ungültig machen – und damit den zweiten Notvorstand innerhalb eines Jahres provozieren. Wenn das passiert, wär's allerdings vorbei mit der Daily Soap, zumindest mit der ersten Staffel. Weil: Dieser zweite Notvorstand müsste den Verband abwickeln. Also Ende Geländeübung. Und dabei habe ich noch gar nicht erzählt, dass einige Landesverbände dringend verdächtigt werden, Mitglieder und Aktive zu erfinden. Sozusagen astreine Phantomsportler. Theoretisch ein perfektes Verbrechen, weil die Verbände dadurch mehr Stimmrechte und mehr Fördermittel kriegen. Darauf musst du erstmal kommen.

Wie Sportarten verschwinden

Jetzt mal radikal gedacht: Eine Welt ohne Modernen Fünfkampf – würde dir was fehlen? Nehmen wir zum Beispiel Skiballett. Ausgestorben. Vielleicht erinnerst du dich. Zum Beispiel an Suzy Chaffee, diese hingebungsvolle Ski-Esoterikerin. Oder an Alan Schoenberer, der Mann aus Gummi mit Stöckchen in der Hand. Seine Bergski-betonte Kür zu Bachs Menuett in G-Moll. Uraufgeführt bei der Saisoneröffnung 1975 in Vermont. Mehr Skiballett hat die Welt nicht gebraucht.

Dass es ein Segen sein kann, wenn eine Disziplin ausgedient hat, lernst du beim Spaziergang über den Friedhof der ausgestorbenen Sportarten. Der besteht im Wesentlichen aus drei Abteilungen. Grausamkeit, Gefahr und Lächerlichkeit. Abteilung 1: Grausamkeit. Daran gestorben sind Sportarten, die nicht unbedingt das Tierwohl im Blick hatten. Zum Beispiel Aalziehen, Schweinestechen, Katzenkopfstoßen oder Fuchsprellen. Derlei Unfug wurde in besseren Kreisen als Entertainment vor dem Abendessen veranstaltet. Dort liegt auch das legendäre Goldfischschlucken. Gestorben und gegessen.

Auch bei der zweiten Abteilung wird sich deine Trauer in Grenzen halten. Da liegen die Sportarten, die offensichtlich lebensgefährlich sind. Durchaus verständlich, dass es Ballonspringen, Wasserfallreiten und Feuerwerksboxen nicht mehr gibt. Zuerst sind die Sportler gestorben und dann die Sportarten. Für sowas gibt's heute Red Bull.

In die Kategorie lebensgefährlich fällt auch das legendäre Pfeil-und-Bogen-Golf. Damit hat man erst in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts aufgehört. Pfeil-und-Bogen-Golf wurde bis zum bitteren Ende auf normalen Golfplätzen gespielt. Während andere Golfsportler auf den Nebenbahnen mit Ball und Schläger hantierten. Da kann ich das Gesundheitsamt verstehen, das diesen Quatsch schließlich verboten hat. Wegen akuter Perforationsgefahr. Wobei man sagen muss: Bogengolf gibt's wieder, aber ohne Pfeilspitze. Und Skiballett?

Das liegt auf dem Friedhof in der dritten Abteilung, zusammen mit anderen lächerlichen Sportarten. Zum Beispiel Telefonzellenquetschen, Breiwettessen und Hindernisschwimmen. Für sowas ist sich heutzutage sogar RTL2 zu schade.

Fortsetzung folgt

Damit zurück zum Modernen Fünfkampf. Oder zu den Resten, die noch übrig sind. Denn aktueller Status in Deutschland ist folgender: Athletinnen und Athleten laufen weg, manche sogar in die USA, wie beispielsweise Weltmeisterin Rebecca Langrehr. Andere konzentrieren sich nur noch auf eine der fünf Sportarten. Oder hören ganz auf. Und wenn das so weitergeht, können wir uns in Kürze all die Verbandskasper und die 1,35 Millionen Euro Sportförderung sparen. Dann würde sogar die sportliche Jugend aufatmen, denn ab sofort müsste keine Nachwuchsschwimmerin und kein hoffnungsvoller Läufer mehr zum Schießen überredet werden – wegen der viel größeren Medaillenchancen in der teuren und umständlichen Randsportart mit den komischen Funktionären. Und schließlich denk ich auch an dich. Wenn du ganz ehrlich bist, darfst du gerne zugeben: Eine Sportkolumne, die dir was über den Modernen Fünfkampf erzählt, brauchst du nicht noch einmal.

Und der Deutsche Fußball-Bund? Nun, dieser gut geführte Verband hat sich letzte Woche bis auf die Knochen blamiert. Denn der Befangenheitsantrag gegen die gute Richterin: abgelehnt! Mit Ohrfeige hinterher. Erstens aus sachlichen, zweitens aus formalen Gründen. Da haben die hochbezahlten Profi-Anwälte schlichtweg den Befangenheitsantrag zu spät eingereicht. Wieder Kohle verplempert, die in der Nachwuchsförderung fehlt. Damit ist klar: Selbst wenn sich der DVMF auflösen würde, kannst du die Fortsetzung der True-Crime-Komödie problemlos durchziehen. Der DFB liefert täglich Stoff. Zuverlässig.

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