Nein, es handelt sich nicht um Memes. Ja, die meinen das ernst. Als ich auf Instagram vor zwei Wochen über die Illustrationen der neuen "Respekt"-Kampagne der Stadt Stuttgart gestolpert bin, musste ich vor Unglauben laut lachen: Ein besoffener Mann mit grünen Chelsea-Boots und fingerbreitem Künstlerschal um den Hals, der aussieht, wie ein Kleinstadtgalerist, wird von einem SSB-Fahrkartenkontrolleur, der aussieht wie Wolfgang Petry, mit "Yo check mal" konfrontiert, weil der besoffene Kleinstadtgalerist "Yo chill mal!" zu ihm sagt. In der Sprechblase von Fahrkarten-Wolle ein QR-Code, der höchstwahrscheinlich zur Seite der SSB führt, wäre es technisch möglich, mit dem Handy einen QR-Code auf dem Handy zu scannen. Auf einem nächsten Bild wird’s noch geiler: Ein Polizist kniet über einem am Boden liegenden Menschen, während eine andere Person im Begriff ist, dem Polizisten mit einem absurden Frontkick und den Worten "Weg da!" in den Rücken zu treten. Natürlich fällt der Person am Boden nichts anderes ein, als "Check mal" zu sagen. In seiner Sprechblase wieder der QR-Code. Man soll es einfach checken: "Respekt sieht anders aus", steht über jeder der Kampagnen-Illustrationen. Stuttgart mangelt es offenbar an Respekt.

Also nicht an dem Respekt eines Bürgermeisters gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern, sich öffentlichkeitswirksam für wirkliche Sorgen und Nöte einzusetzen: Die "Unternehmenstour 2025" von Frank Nopper (CDU) war selbstverständlich ein voller Erfolg. Genauso seine Kranzniederlegung mit Parteikollege Friedrich Merz (CDU) beim Festakt zur Charta der Heimatvertriebenen in Bad Cannstatt. Auch hier fehlten es dem Schultes und Merz ("Nicht Berlin, nicht Kreuzberg, Gillamoos ist Deutschland") nicht an gebührendem Respekt davor, dass Erika Steinbach and Friends nicht wieder mit dem Panzer nach Polen wollen. Respekt. So wichtig. Gerade in einer angespannten Welt multipler Krisen, in denen die Zündschnüre kurz sind und Gesundheitsminister aus der CDU nie auf die Idee kommen würden, Milliarden Steuern für shady Coronamaskendeals aus dem Fenster zu klüngeln und Berichte über den Weg des Geldes zu schwärzen. Nein, Jens Spahn hat Respekt. Also nicht vor dem gemeinen Fußvolk, das Steuern bezahlt, sondern vor denjenigen, die er damit begünstigt hat.
Bei so vielen Vorbildfiguren ist es noch viel schlimmer, dass gerade das heimelige Stuttgart eine Respektschelle braucht: "Respektloses Verhalten gegenüber Bediensteten der Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste sowie Kontrolleurinnen und Kontrolleuren und weiteren Beschäftigten im öffentlichen Dienst" sei "nach wie vor ein verbreitetes Phänomen, das von allen Altersgruppen und gesellschaftlichen Schichten ausgehen" könne, weiß die Stadt im Pressetext ihrer Respekt-Kampagne. Groß plakatiert, offline wie online, comicbunt illustriert werden Stuggiewoogiebenztownpeople aktuell dazu erzogen, ein bisschen netter, ein bisschen zivilisierter, ein bisschen weniger nervig für die zu sein, die "für uns" den Kopf hinhalten. Um der Respektlosigkeit "entgegenzuwirken, haben die Landeshauptstadt Stuttgart, die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB), Feuerwehr, Polizei, das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und erstmals auch die Johanniter gemeinsam die Neuauflage der bestehenden Respekt‐Kampagne konzipiert und aufgesetzt".
"Copaganda" rückt die Polizei in gutes Licht
Schöne Sache. Eigentlich. Unfallopfer begaffen ist eines der ekelhaftesten Dinge, die Menschen tun können, und wer Rettungskräfte bewusst blockiert, gehört gleich mit ins Krankenhaus geprügelt. Safe. Aber was zum Fick hat die Polizei mit Respekt zu tun? Ja, die Polizei, die in Baden-Württemberg im Jahr 2025 allein schon sieben Menschen erschossen hat. Sieben. Bundesweit sind es zur Jahreshalbzeit 15 Tote. Im Jahr 2024 waren es 22, 2023 zehn, 2022 elf. Eine tödliche Kurve steil nach oben. Im jüngsten Fall in der Nacht auf den 1. Juli hat ein junger Algerier in einer Kneipe in Stuttgart-Ost einen anderen Algerier schwer verletzt. Die Polizei kam, der Angreifer floh aus der Kneipe, sprang über einen Zaun. Unbewaffnet. Eine Kugel traf ihn von hinten. Respektvoll. Denn wer Leuten in den Rücken schießt, will nur reden. Ministerpräsident Kretschmann (Grüne) erklärte nur Stunden später, die Polizei greife "nicht vorschnell" und "nicht öfter" zur Waffe. Innenminister Strobl setzte noch einen drauf: "Wer mit einem Messer einen Polizisten angreift, hat sich entschieden, nicht mehr zu leben", also "nicht mehr in diesem Land zu leben". In diesem Land entscheidet also ein Polizist mit einer Knarre darüber, wer lebt darf und wer stirbt – mit freundlicher Unterstützung von Politik, Funk und Fernsehen.
"Gewalt gegen Polizeibeamte nimmt dramatisch zu" wird immer wieder auf allen Kanälen kolportiert. 46.218 Fälle bundesweit im Jahr 2023, melden BKA und Bundesinnenministerium. Ein Anstieg um acht Prozent, fast 106.000 betroffene Beamtinnen und Beamte. Klingt heftig. Der Gag ist aber, dass diese Statistik fast alles zählt: Bedrohungen, Widerstandshandlungen, Schubser, Anspucken. Der Bremer Kriminologe Johannes Aschermann warnt seit Jahren, dass der Gewaltbegriff bewusst überdehnt wird. Schon ein Rempler gilt als "tätlicher Angriff". Praktisch. So lassen sich Schlagzeilen produzieren, die nach Blut und Zähnen auf dem Asphalt klingen, während es sich oft um verbale Auseinandersetzungen, verstauche Finger oder sogar nur um Körperkontakt im Gedränge handelt. Und währenddessen werden unbewaffnete Menschen erschossen. Doch über diesen Zusammenhang liest man selten: Dass eine Polizei, die immer öfter zur Waffe greift, auch auf immer mehr Widerstand stößt. Kritische Berichte oder Interviews mit Expertinnen und Experten, die nicht zufällig im Staatsdienst arbeiten, sind selten. Die mediale Begleitmusik zur Propaganda der Polizei überwiegt.
"Copaganda" nennt man das. Heldenerzählungen, die Polizeigewalt verschleiern und das Narrativ des "Freund und Helfers" aufrechterhalten. Die "Stuttgarter Zeitung" liefert ein Paradebeispiel mit ihrem Text zur Kampagne der Stadt: "Hunderte Übergriffe in Stuttgart", "809 Fälle von Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte mit 337 Verletzten (...), aber auch 236 Fälle von Gewalt gegen Rettungskräfte mit 111 Verletzten" schreibt sie die Kriminalstatistik und die Pressemitteilung der Stadt ab. Kein kritisches Wort, kein Hinweis auf die Zahlen der Toten durch Polizeischüsse. Stattdessen: staatstragendes Nachplappern. Während auf der Website der SSB in emotionalisierenden Einzelfallschilderungen Betroffene im Öffentlichen Dienst von den "Folgen von respektlosem Verhalten" erzählen: Schwarzfahren, Pöbeln, Gaffen, Sanitäter behindern, Polizisten beleidigen – alles dasselbe. Alles dieselben Respektlosigkeit gegen dieselben Menschen, die doch nur helfen wollen oder einfach nur ihren Job machen. Die Polizei – bewaffnet, mit Lizenz zum Töten– steht in einer Reihe mit Rettungssanitäterinnen, die Menschenleben retten. Arschlöcher, die Unfallopfer mit dem Handy filmen, stehen auf derselben Stufe mit Menschen, die sich kein U-Bahn-Ticket leisten können.
Die Polizei sucht Schutz hinter den anderen
Alles dieselben respektlosen Subjekte. Denn Schwarzfahren ist in Deutschland keine Ordnungswidrigkeit, sondern eine Straftat, für die jedes Jahr Tausende im Gefängnis sitzen, weil sie ihre Strafen nicht zahlen können. Arme Menschen, Wohnungslose, Menschen am Rand. Eingesperrt für eine Station Zugfahrt ohne Ticket. Respekt. Also für diejenigen, die sie dort hineinbringen – Kontrolleure, Polizei, Justiz! "Yo check mal" und scann' den QR-Code für mehr Respekt, du Penner! Hab' ein bisschen mehr Respekt vor Menschen, die Wohnungslose ohne U-Bahn-Ticket in den Knast bringen und Ausländern in den Rücken schießen! Hab' Respekt vor einem System, das Gefängnisse mit Armen füllt, während Gesundheitsminister, Banken und Superreiche Milliarden veruntreuen dürfen, ohne, dass sie hinter Gittern landen.
Diese Kampagne ist nicht mal gut gemeint und nur schlecht umgesetzt. Sie ist Teil einer groß angelegten Sympathiekampagne für die deutsche Polizei, die seit G7, dem Schwarzen Donnerstag und Lützerath mal wieder ein Imageproblem hat und den Rücken von Notfallsanitäterinnen, Feuerwehrmännern und Mitarbeitenden der Abfallwirtschaft dafür missbraucht. Süße Tierbaby-Schmusefotos, nahbare Feierabendstories (#einsatzmoment) und anderer emotionalisierender Der-nette-Polizist-von-nebenan-Content sind offenbar nicht genug, um alle Menschen davon zu überzeugen, was für ein toller Laden die deutsche Polizei ist. Jetzt kommt die Mitleidsnummer mit der Respekt-Kampagne. Dabei soll Respekt im Bezug auf die Polizei nichts anderes heißen als Maul halten, Kopf senken, Fügen. Wer nicht pariert, wer laut wird, wer Widerstand zeigt, gilt als "respektlos". Das Perfide daran: Indem die SSB, die Feuerwehr, die Polizei, das DRK und die Johanniter alle unter ein Plakat gezwungen werden, wird die Polizei geschützt. Kritik an ihr ist gleich Kritik an allen. Wer Polizeigewalt anprangert, ist auch gegen die Feuerwehrfrau, die Menschen aus den Flammen rettet. Wer keinen Respekt vor Polizisten hat, die unbewaffnete Menschen erschießen, hat kein Herz für Sanitäter.
Wär' ich Sanitäterin, Busfahrerin oder bei der Feuerwehr in Stuttgart, wär' ich brutal angepisst, dass ich und mein Beruf für Werbung zur Unterwerfung unter Polizeigewalt missbraucht werden. Und das ist die Stuttgarter Gruppe "Organisierte Autonomie" auch. Auf die stößt man, wenn man den QR-Code auf Stickern fotografiert, die aktuell in der ganzen Stadt kleben und die städtische Kampagne persiflieren: Ein Polizist schießt einem schwarzen Mann in den Rücken. Darüber in der Schrift der Kampagne: "Respekt sieht anders aus." Volltreffer.
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