Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß. Meist erkennt man – rein äußerlich – weder einen Kommunisten noch einen Nazi. Alle sind ordentlich gekleidet (außer mir), haben selten die "Junge Freiheit" oder die rote Fahne dabei (außer mir). Erst letzte Woche wurde ein alter Freund von mir bei einer "Querdenker"-Demo enttarnt: Er wollte nur zuschauen, sagt er, sich direktemang vor Ort ein Bild machen, authentisch, und nach den versprochenen Nazis gucken. Keine da. Keine Reichskriegsflaggen, keine 18, nirgends 444, kein Schwarz-Weiß-Rot – lauter Leute wie du und ich, nur eben unmaskiert, sagt er. Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß: Die rechtsradikalen Kohorten haben ihren Kameraden längst empfohlen, MGs und Faustfeuerwaffen zu Hause zu lassen, also fahnenfrei zur den queren Demos zu kommen, nicht auf den Boden zu spucken und stattdessen Polizisten zu küssen, wo ihr sie trefft – denn nur so lässt sich bekanntlich die Mitte gewinnen.
Die Mitte, das sind die, die noch nicht quer mitlaufen, aber den Slogan "Deutschland den Deutschen" echt nett finden, Leute halt, die sich einen starken Mann wünschen (wenn's kein Jude ist). Längst hat der Rechtsextremismus die Mitte der Gesellschaft erreicht, die aber keine Lust hat, sich mit solchen Problemen zu beschäftigen. Vor den Fenstern, draußen auf der Gass', auf den Demos, wird von Merkel-Diktatur gequatscht, von gleichgeschalteten Unterdrückermedien und einer neuen Apartheid durch das Impfregime, von einer kriminellen politmedialen Kaste – und Widerstand gegen die Corona-Diktatur proklamiert. Auch der gute Doc Wodarg von der SPD faselt von Zwangsuntersuchungen und gentechnischen Manipulationen, von Überwachung und Verhaltenskontrollen, von Freiheitsentzug gar, um "unser aller Werte und Freiheiten außer Kraft zu setzen". Jetzt ist Widerstand angesagt, da sind sich die Zweifler an Pandemie, Demokratie und noien Werten einig. Nur mal angenommen, da würden bundesweit und alle naslang zwanzig-, dreißigtausend Nazis mit Polizeieskorte ins Städtele hineinmarschieren. Unglaublich. Eben. Und deshalb glaube ich: Da muss Mitte dabeisein, und keiner merkt's.
Wir können alles außer Corona, behauptet der Spiegel. Falsch. Wir können alles – außer Atomkraft, Gerechtigkeit, Solidarität, Klimaschutz, Tierwohl, Debatte, Demokratie oder Bahnhof (is ja egal) und Impfen. Wir regen uns über herummosernde Künstler auf, rufen Maulhalten und shit, shit, shit – aber die Milliarden für die Lufthansa lassen uns kalt. Heike Makatsch wünschen wir die Hölle an den Hals, aber das mies bezahlte Personal im Pflegebereich geht uns auch im zweiten Coronajahr am Allerwertesten vorbei. Wir zweifeln an den Statistiken zur Übersterblichkeit, an Lauterbach und Drosten und RKI, am politischen Bewusstsein – aber nie an Deutschland, Nord Stream 2 und den Hohenzollern, die endlich die Beutekunst zurückwollen.
Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator von Bürgerprojekten. Alle Wettern-Videos gibt es hier zum Nachgucken.
3 Kommentare verfügbar
Nico
am 22.06.2021https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_ehemaliger_NSDAP-Mitglieder,_die_nach_Mai_1945_politisch_t%C3%A4tig_waren
Es ist ein langer Weg nach Tipperary.
Fake News reduzieren die vorhandene - m.E. überwiegend schwer erarbeitete - Intelligenz.