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Bürokratie im Ausländeramt

Die Krux mit dem Aufenthaltstitel

Bürokratie im Ausländeramt: Die Krux mit dem Aufenthaltstitel
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Der gebürtige Syrer Faris H. lebt seit über zehn Jahren in Deutschland. Hier will er bleiben, sein Ziel ist die deutsche Staatsbürgerschaft und ein sicherer Arbeitsplatz. Dafür muss er sich durch die Behördenbürokratie kämpfen.

Alle paar Minuten stapft der Sicherheitsmann vorbei. Ein großgewachsener Mann, seine dunkle Arbeitskluft passt zu seinem grimmigen Gesichtsausdruck. Es ist ein Donnerstagvormittag Anfang September, Termin im Waiblinger Rathaus etwa zehn Kilometer nordöstlich von Stuttgart. Der gebürtige Syrer Faris H. (Name geändert), Jahrgang 1989, muss seine Aufenthaltsgenehmigung verlängern lassen.

2015 kam er nach Deutschland, lebte zuerst in Köln, dann in Bayern. Dort fand er einen Job bei einer Manufaktur, die orthopädische Schuhe herstellt. Seit 2018 lebt er im Südwesten, zunächst in Stuttgart, arbeitete zwischenzeitlich bei einem Bauunternehmen und ab April dieses Jahres für den Lieferdienst Lieferando. Als sogenannter subsidiär Schutzbedürftiger muss er alle paar Jahre zur Ausländerbehörde, um seinen Aufenthaltstitel verlängern zu lassen. Außerdem gilt für ihn die Passpflicht, wie bei deutschen Staatsbürger:innen.

Anfang 2023 forderte die Stuttgarter Ausländerbehörde Faris H. deshalb auf, seinen Pass im syrischen Konsulat in Berlin verlängern zu lassen. Nur dann könne ein neuer Aufenthaltstitel ausgestellt werden. Notgedrungen reiste Faris deshalb zur syrischen Botschaft nach Berlin, um sich dort einen neuen Reisepass ausstellen zu lassen. Der ist aber nur zweieinhalb Jahre gültig – ein deutscher Pass dagegen zehn Jahre. Über 700 Euro zahlte er für die "Express"-Variante, damit es möglichst schnell geht. Die hohen Gebühren seien eine lukrative Einnahmequelle für das Assad-Regime, berichtet die "Tagesschau" im Februar 2023.

Flucht aus Stuttgart

Im März 2023 stellte die Botschaft ihm den neuen Pass aus, den brachte Faris zum Stuttgarter Ausländeramt. Die Behörde zweifelte aber offenbar an dessen Echtheit und behielt ihn ein, um das zu prüfen. Eigentlich sollte das innerhalb weniger Wochen erledigt sein, habe es geheißen, erzählt Faris. Tatsächlich aber vergingen mehr als 13 Monate, bis er den Pass wiederbekam, berichtet er. Mehrmals sei er wegen des Passes bei der Behörde gewesen, aber wiederholt abgewiesen worden. Generell seien die Mitarbeiter:innen im Amt sehr unfreundlich, man habe ihn "wie einen Hund" behandelt, sagt er heute. In einem Schreiben, das er schließlich im Dezember mit einem Passersatz erhielt, heißt es: "Aufgrund des hohen Arbeitsaufkommens und den begrenzten personellen Ressourcen kann die Ausländerbehörde Stuttgart Sie aktuell nicht bedienen."

Warum der Reisepass für so lange Zeit einbehalten wurde und welche staatliche Stelle dafür verantwortlich war, bleibt ein Rätsel. Auf Anfrage heißt es aus dem Rathaus, dass die Ausländerbehörde sich grundsätzlich nicht zu Einzelfällen äußere. Nur so viel: "Soweit Zweifel an der Echtheit von ausländischen Dokumenten bestehen, werden diese zur kriminaltechnischen Untersuchung an die Polizei abgegeben. Auf die Dauer der kriminaltechnischen Untersuchung haben die Ausländerbehörden keinen Einfluss." 

Vielleicht hatte sich also die kriminaltechnische Untersuchung verzögert, vielleicht war der Pass irgendwo übersehen worden? Für Faris stand nach dieser Erfahrung jedenfalls fest, dass er mit dem Stuttgarter Ausländeramt nichts mehr zu tun haben möchte. Er zog deshalb sogar nach Waiblingen, sozusagen seine zweite Flucht. Diesmal aus Stuttgart.

Dort, in Waiblingen, seien sie viel freundlicher auf dem Amt, meint Faris. Doch bei jenem Termin am Donnerstagvormittag, als der grimmig dreinschauende Sicherheitsmann auf und ab stapft, kommt bei ihm wieder die Verzweiflung hoch. Die Liste der benötigten Dokumente, die er dabei haben muss, ist lang: Neben den ausgefüllten Antragsformularen benötigt er ein aktuelles biometrisches Passbild, seinen Pass, die Plastikkarte mit bisherigem Aufenthaltstitel, eine Arbeitsbescheinigung, die letzten drei Gehaltsabrechnungen, eine Mitgliedsbescheinigung der Krankenversicherung, eine Wohnraumbescheinigung, sein Sprachzertifikat sowie das Zertifikat "Leben in Deutschland", das ist der Abschluss seines Intergrationstests. Das meiste hat Faris dabei. Aber der Pass, den er Anfang 2023 in der syrischen Botschaft ausstellen ließ, ist nur noch bis zum nächsten Tag gültig. Die Aufenthaltserlaubnis könne deshalb nicht verlängert werden, eröffnet ihm die Sachbearbeiterin.

Wieder nach Berlin

"Ich dachte, ich hole nur meine Karte und das passt alles", sagt Faris flehend und erzählt ihr, dass er extra nach Waiblingen gekommen sei, weil er in Stuttgart schlechte Erfahrungen gemacht habe. Die Sachbearbeiterin ist mitfühlend, an der Entscheidung ändert das aber nichts. Die Frist der Aufenthaltsgenehmigung orientiere sich eben am gültigen Pass, erklärt sie. Und die einzigen, die in Deutschland nicht der Passpflicht unterliegen, seien "wirkliche Flüchtlinge", also Asylberechtigte – subsidiär Schutzberechtigte wie Faris zählten nicht dazu.

Die Rathausangestellte versucht, ihn zu beschwichtigen: Sobald er wieder einen gültigen Pass hat, könne er wiederkommen, auch ohne Termin. Den Pass würde er dann gleich wieder mitnehmen dürfen, die anderen fehlenden Dokumente könne er einfach per Mail schicken. Außerdem werde zugleich eine Niederlassungserlaubnis geprüft: Damit bekäme Faris einen unbefristeten Aufenthaltstitel. "Also muss ich wieder nach Berlin", seufzt Faris. In der Zwischenzeit muss er nun eine Fiktionsbescheinigung mit sich führen, die ihm ein vorläufiges Aufenthaltsrecht bescheinigt und bis März 2026 gültig ist.

Neben einem neuen Pass fehlt Faris die Arbeitsbescheinigung, die vom Arbeitgeber unterschrieben werden muss. In seinem Fall also von Lieferando. Immer wieder habe er deshalb bei der Arbeit nachgefragt, beteuert er. Dort aber würde man ihn an die Zentrale in Berlin verweisen, und von der bekommt er einfach keine Antwort. In Stuttgart gebe es keinen "Capo", der ihm die Bescheinigung unterzeichnen könne, sagt Faris.

Statt der Lohnabrechnungen hatte Faris auf dem Amt Kontoauszüge dabei, auf denen die letzten Gehaltszahlungen zu sehen sind. Die könne sie aber nicht akzeptieren, sagt die Angestellte am Amt. An die Abrechnungen zu kommen ist als Angestellter bei Lieferando nicht so leicht. Sie werden nicht analog per Post zugestellt, sondern auf eine Online-Plattform hochgeladen. Heißt für Faris: auf die Webseite "arbeitnehmeronline.de" gehen und sich dort registrieren, dann einen Code eingeben, den der Arbeitgeber per Post schickt, dann eine zusätzliche App aufs Handy herunterladen, die alle paar Sekunden wiederum einen Sicherheitscode ausspuckt, der nötig ist, um sich bei der Plattform anzumelden. Wenn das alles bewältigt ist, kann man endlich die eigenen Lohnabrechnungen einsehen und als PDF herunterladen. Puh, selbst für "digital natives" kompliziert. Und noch umständlicher, wenn die Deutschkenntnisse begrenzt sind.

Lieferando dagegen will über die Änderungen beim Aufenthaltsstatus sofort informiert werden, schildert Faris. Per Mail und App schickt er ein Foto seiner Fiktionsbescheinigung und erklärt, dass sein Aufenthaltstitel vorerst nicht verlängert werden konnte. Und er erkundigt sich auch gleich nochmal, wer ihm denn nun eine Arbeitsbescheinigung ausstellen könne.

Kein Aufenthaltstitel und kein Job

Am Ende ist das aber hinfällig: Nur kurze Zeit später erhält Faris ein Kündigungsschreiben. Es ist zwei Tage vor dem Termin in der Ausländerbehörde datiert. Vermutlich nutzte das Unternehmen mit Hauptsitz in den Niederlanden die auslaufende Probezeit, um den Mann noch eben kurz rauszuwerfen. Im Juli hatte das Unternehmen angekündigt, über 2.000 Fahrer:innen einsparen und stattdessen mehr mit Subunternehmen zusammenarbeiten zu wollen. Auf eine Anfrage reagierte Lieferando bis Radaktionsschluss nicht.

Faris' Lage erschwert das natürlich. Zwar darf er auch mit Fiktionsbescheinigung arbeiten, muss allerdings erstmal einen neuen Job finden. Denn für die Niederlassungserlaubnis muss er seinen Unterhalt selbst bestreiten können. Viele Arbeitgeber:innen wissen aber nicht, was es mit Fiktionsbescheinigungen auf sich hat. Und stellen aus Angst, etwas falsch zu machen, erst gar niemanden mit Fiktionsbescheinigung ein, schreibt Anja Bartel vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg auf Anfrage. Offenbar scheint das Justizministerium das Problem erkannt zu haben und hat deshalb im Juli ein Merkblatt zum Thema veröffentlicht

Eine mögliche neuen Arbeitsstelle hat Faris schon im Blick: Die Post in Waiblingen suche jemanden für das Briefzentrum, habe er erfahren. Auch um einen neuen Pass habe er sich gekümmert: Faris hat für einen Onkel, der in Syrien lebt, eine Vollmacht ausgestellt, mit der dieser einen neuen Pass für ihn beantragen kann. Den soll Faris nach Waiblingen zugeschickt bekommen, die Reise nach Berlin ist damit hinfällig. Mit dem Pass und neuem Job könnte seine Niederlassungserlaubnis endlich final geprüft werden. Am liebsten würde Faris dann die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Bis er aber einen deutschen Pass in Händen hält, wird er noch einige bürokratische Hürden nehmen müssen.

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