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Eisenbahn von Freiburg nach Colmar

Der Horizont endet nicht am Rhein

Eisenbahn von Freiburg nach Colmar: Der Horizont endet nicht am Rhein
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Seit genau 80 Jahren fährt kein Zug mehr von Freiburg nach Colmar. Dabei galt grenzüberschreitender Bahnverkehr im Aachener Vertrag von 2019 als Priorität der deutsch-französischen Freundschaft. Der Verein Trans Rhin Rail will die Verbindung wiederherstellen.

Eine deutsche und eine französische Flagge wehen im Takt der vorbeifahrenden Autos auf der Straßenbrücke in Breisach am Rhein. Wer genauer hinschaut erkennt, dass viele Kennzeichen mit dem Buchstaben "F" beginnen, andere mit "D". Kein Wunder, die Stadt mit 16.500 Einwohner:innen im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald liegt direkt an der französischen Grenze, viel Verkehr kommt vom Pendeln. Dass Menschen hier nur mit Auto oder Bus ins Nachbarland gelangen, war jedoch nicht immer so. Bis 1945 stand hier eine Eisenbahnbrücke, die Freiburg im Breisgau und Colmar im benachbarten Elsass mit einer direkten Zugverbindung ausstattete. Seit ihrer Zerstörung am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde sie nie wieder aufgebaut.

"80 Sekunden warten für 80 Jahre ohne Zug": Unter diesem Motto unterbrachen am 2. Juli 2025 Mitglieder von Trans Rhin Rail den Autoverkehr auf der Breisacher Rheinbrücke. Der deutsch-französische Verein setzt sich seit über 13 Jahren für die Wiederinbetriebnahme der Zuglinie ein und organisiert dort regelmäßig Protestaktionen, um die Politik zum Handeln zu bewegen. Schon ein Jahr zuvor hatten über 800 Personen eine Menschenkette zwischen Breisach auf deutscher und Volgelsheim auf französischer Seite gebildet, erzählt Hannes Linck, Mitgründer und Co-Präsident des Vereins. "Damit haben wir sehr großen öffentlichen Anklang gefunden!", sagt er. Auch Politiker:innen beiderseits des Rheins, darunter Brigitte Klinckert (Mitte) und Chantal Kopf (Grüne) unterstützten die Aktion – doch getan hat sich seither nur wenig. 

Hoffnungen und Ernüchterung

Dabei galt grenzüberschreitender Bahnverkehr – und eben auch der Wiederaufbau der Breisacher Rheinbrücke – als Priorität des Artikels 9 im Aachener Vertrag, den Präsident Emmanuel Macron und die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 22. Januar 2019 unterzeichneten. Mit einer Reihe an Maßnahmen zur transnationalen Zusammenarbeit in Bereichen wie Kultur, Mobilität und Verteidigung sollte die deutsch-französische Freundschaft vertieft werden und das nicht zufällig zum 56. Jahrestag des Elysée-Vertrags. "Damit wurde 'unsere' Bahn zum Leuchtturmprojekt, wir schöpften große Hoffnung", erinnert sich Linck. "Wir dachten: Jetzt haben wir den Durchbruch!" Sechs Jahre sind vergangen und der Aufschwung von 2019 habe sich "wieder schlafen gelegt", bedauert er heute. Die Hauptgründe? Transnationale Missverständnisse und das liebe Geld.

Laut einer Studie der Deutschen Bahn in Zusammenarbeit mit der französischen SNCF vom März 2019 könnten 3.500 bis 6.000 Fahrgäste die neue Verbindung täglich nutzen, wobei die SNCF in der Studie von deutlich geringeren Nutzungszahlen ausgeht. Außerdem ließe sich der Autoverkehr zwischen Freiburg und Colmar von derzeit 16.000 auf rund 11.000 Fahrzeuge reduzieren. Eigentlich ermutigende Aussichten – wären da nicht die Kosten.

Zwar sind die Schienen auf weiten Teilen der Strecke bereits vorhanden – es fehlen nur 3 Kilometer – und die Linie zwischen Breisach und Freiburg wurde bis Ende 2019 sogar vollständig elektrifiziert. Doch sie ist nach wie vor eingleisig, was eine weitere Verdichtung des Taktes der Züge verhindert, erklärt Linck. Auf französischer Seite ist die Lage noch schwieriger. Die Gleise zwischen Colmar und Volgelsheim werden derzeit nur zweimal täglich im Güterverkehr genutzt und müssten umfangreich modernisiert werden. Laut SNCF wären unter anderem neue Fußgängerbrücken sowie der Ersatz mehrerer Bahnübergänge durch Unter- oder Überführungen notwendig, um die heutigen Sicherheitsstandards für den Personenverkehr zu erfüllen. 

Dazu kommt das größte Bauvorhaben der gesamten Initiative: der Wiederaufbau der Brücke oder besser gesagt der drei Brücken. Überquert werden müssen nämlich nicht nur der Rhein, sondern auch der Rheinseitenkanal und das dortige Wasserkraftwerk. So werden die Gesamtkosten des Vorhabens, einschließlich des zweigleisigen Ausbaus der Breisach-Freiburg Strecke, mittlerweile auf rund eine Milliarde Euro geschätzt. Politisch sorgt das nicht gerade für Rückenwind. "Sonntagsreden sind halt das eine und Geld auf den Tisch zu legen, etwas anderes", kommentiert Linck.

Eine Frage des Budgets

Unklar ist zudem, wie die Kosten aufgeteilt werden sollen. Rechtlich sei Deutschland lediglich verpflichtet, die Bauarbeiten bis zur Mitte des Rheins zu übernehmen. Da die deutsche Seite jedoch für die Zerstörung der Brücke verantwortlich ist, stellen sich eben auch moralische Fragen. Diese könnten dazu führen, dass Deutschland einen größeren Anteil der finanziellen Mittel beisteuert, als es rechtlich notwendig wäre.

Auf französischer Seite zeigt sich die SNCF nach Einschätzungen von Trans Rhin Rail hingegen "sehr vorsichtig", wenn es um die Bahnverbindung geht. Linck führt diese Zurückhaltung auf fehlende staatliche Zuschüsse zurück und erklärt, dass deshalb in Frankreich ein größerer Bedarf an EU-Fördermitteln bestehe. Hinzu kommt, dass beim französischen Nachbarn andere Bauprojekte, etwa die Bahnverbindung zum Basler Flughafen, größeres Interesse wecken und somit in direkter Konkurrenz zu dem Vorhaben stehen.

Dennoch wird das transnationale Projekt seit Jahren immer wieder auf die politische Agenda gesetzt. Angesichts der erneuten Verzögerungen hatte Thibaud Philipps, der Vize-Präsident der Region Grand Est für Verkehr und nachhaltige Mobilität, bis September 2024 eigentlich einen Schnellbus zwischen Colmar und Breisach angekündigt. Eine ursprüngliche Initiative von Trans Rhin Rail mit dem Verkehrsclub Deutschland (VCD) und dem französischen Dachverband der Verkehrsnutzer (FNAUT), die die bisher einstündige Busfahrt nahezu halbieren sollte. Doch auch dieses Vorhaben fiel ins Wasser und könnte frühestens bis Ende des Jahres umgesetzt werden – wenn überhaupt.

Über den Rhein mit dem Zug, also doch?

Deutsch-französischer Bahnverkehr scheint trotzdem nicht vollkommen auf der Strecke zu bleiben. Nach zehn Jahren Stillstand fährt seit Ende 2023 wieder dreimal pro Woche ein Nachtzug zwischen Berlin und Paris. Und seit Dezember  2024 ein neuer ICE, der beide Hauptstädte über Straßburg, Karlsruhe und Frankfurt am Main täglich in knapp acht Stunden mit Hochgeschwindigkeit verbindet. Auf regionaler Ebene bietet zudem die Strecke Müllheim-Mulhouse, deren Geschichte eng mit der Breisacher Brücke verknüpft ist, ein interessantes Beispiel.

Als die Eisenbahnbrücke zwischen Neuenburg (bei Müllheim) und Chalampé (bei Mulhouse) im Februar 1945 gesprengt wird, um das Vorrücken der Aliierten zu verzögern, gelingt das nur teilweise. Die Hälfte der Konstruktion bleibt bis zur Mitte des Rheins stehen, "genauso wie in Breisach", erklärt Linck. Wenige Wochen nach Kriegsende werden daraufhin französische Soldaten in der Kaserne von Müllheim stationiert. Mit Folgen: Der Wiederaufbau der Neuenburger Rheinbrücke wird für die Französ:innen schnell zur Priorität – und zum Erfolg. 1946, knapp ein Jahr später, steht die Brücke wieder: zur Hälfte aus ihrer ursprünglichen Struktur, zur anderen Hälfte aus unbeschädigten Teilen der Breisacher Brücke, die dafür rheinaufwärts nach Chalampé transportiert wurden.

Neue Studie mit unklaren Perspektiven

Doch auch diese Bahnverbindung, die bis 1980 in Betrieb war und dann erst 2012 wieder eingeführt wurde, ist nicht frei von Problemen. "Bis Anfang 2025 hatten wir dort anderthalb Jahre lang keinen Zugverkehr, weil die SNCF keine Lokführer hatte, die Deutsch sprechen konnten", berichtet Linck. Der ehemalige Vorsitzende des VCD in Freiburg erklärt, dass es im transnationalen Bahnverkehr heute weiterhin zahlreiche Hürden gibt: etwa Stromspannungen und Signalsysteme, die je nach Land voneinander abweichen können. Das führe dazu, dass sich die Politik noch immer stark am Autoverkehr orientiere. "Es ist eben deutlich einfacher, grenzüberschreitende Straßen zu bauen, als transnationalen Bahnverkehr zu organisieren", so Linck.

Nach 13 Jahren Aktivität lässt sich der Verein Trans Rhin Rail dennoch nicht entmutigen und arbeitet bereits an neuen Treffen mit Politiker:innen aus Baden-Württemberg und dem Elsass. "Unser Horizont endet nicht am Rhein, wir bleiben dran", bekräftigt Linck. Eine neue Studie soll bis zum Frühjahr 2026 die Baukosten neu bewerten, die in den letzten Jahren ein Hauptgrund für Verzögerungen waren, und könnte entscheidend sein. "Für uns wird das ein Top oder Flop", schätzt Linck.

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