Vielleicht ist das ein kleines Beispiel für eine unter jungen Menschen weitverbreitete Wahrnehmung: nicht ernst genommen zu werden. Die am 23. April vorgestellte siebte Trendstudie Jugend stellt fest, dass die 14- bis 29-Jährigen ihren Einfluss auf politische Entscheidungen als eher gering einschätzen, weil sie in der Vergangenheit nicht gehört wurden. Den jungen Menschen fehle eine motivierende Zukunftsperspektive, so der Soziologie Klaus Hurrelmann, altgedienter Jugendforscher und Mitautor der Studie: "Die junge Generation möchte Veränderungen, aber sie spürt, dass sie persönlich, als Individuen auch jeweils, gar nicht in der Lage sind, die Verhältnisse zu verändern."
Lost Generation?
Vor allem ein weiterer Befund der Studie machte in der vergangenen Woche Schlagzeilen. Die beliebteste Partei bei 14- bis 29-Jährigen sei derzeit die AfD mit 22 Prozent, gefolgt von der CDU mit 20 Prozent. Im Vergleich zur Vorjahresstudie haben sich demnach die Parteipräferenzen junger Menschen deutlich nach rechts verschoben. Insbesondere die Grünen haben an Zustimmung verloren: Sie kommen auf nur noch 18 Prozent. Wobei andere aktuelle Untersuchungen zeigen, dass ein deutlicher Gendergap besteht: Junge Frauen sind im Durchschnitt linker eingestellt als junge Männer, wie eine Auswertung von Wahlumfragen durch die "Financial Times" ergab.
Diese Veränderungen kommen nicht aus dem Nichts. Simon Schnetzer, Herausgeber der jährlich erhobenen Trendstudie Jugend, bescheinigte der Jugend schon 2022, seit der Corona-Pandemie im "Dauerkrisenmodus" leben zu müssen. Aktuelle Hauptsorgen sind Inflation, Kriege, teurer und knapper Wohnraum sowie der Klimawandel. Trotz sehr guter Arbeitsmarktchancen treiben die Befragten Ängste um die finanzielle Zukunft um. Psychische Belastungen steigen immer weiter an: Gut die Hälfte der Befragten leidet unter Stress, mehr als ein Drittel unter Erschöpfung. Viele geben an, die AfD aus Unmut und Protest wählen zu wollen.
Blicken wir in die Geschichte, führen wirtschaftliche und gesellschaftliche Krisen durchaus dazu, dass die Zustimmung zu Ausgrenzungs- und Abwertungsideologien zunimmt. Ein Rechtsruck ist aber keineswegs eine zwingende Folge von Krisenerfahrungen. Denn junge Männer und junge Frauen gehen mit Krisenerfahrungen ganz unterschiedlich um.
Wir sollten also mit Blick auf die aktuelle Jugendstudie weder schicksalsergeben mit den Schultern zucken noch dürfen wir diese Entwicklung rechtfertigen oder schönreden. Sie gibt aber zwei Aufgaben: erstens, auf die Krisen politische Antworten zu finden, die nicht auf Abwertung und Ausgrenzung beruhen. Zweitens, auf die Krisen solche Antworten zu finden, die nicht die immer gleichen alten Antworten sind, welche vielleicht einmal in "guten Zeiten" funktioniert haben (oder auch nicht). Und beide Aufgaben erfordern es, sowohl die materiellen Grundlagen in den Blick zu nehmen als auch danach zu fragen, welche Veränderungsmöglichkeiten denn derzeit tatsächlich bestehen, wenn Menschen versuchen, politisch zu handeln.
Immer noch "Ländle" statt "The Länd"
Die baden-württembergische Politik ist ein Beispiel dafür, dass das kaum passiert. Was hat die baden-württembergische Politik jungen Menschen anzubieten und einem Rechtsruck entgegenzusetzen?
Scrollt man durch die Instagram-Kanäle baden-württembergischer Politiker*innen, zeigt sich parteiübergreifend Bräsigkeit. Hier eine Männerriege beim örtlichen Maschinenbauunternehmen, dort ein Meet and Greet auf der Baustelle oder dem Bauernhof. Zwischendrin eine Plenarrede und ein paar Zitatkacheln, die, wenn es gut läuft, die inhaltliche Zuordnung zu einer Partei ermöglichen. Die AfD hingegen weiß die Funktionsweise der sozialen Netzwerke auszunutzen. Ihre zugespitzten, hoch emotionalen Beiträge bedienen den TikTok-Algorithmus. Erst langsam beginnen die demokratischen Parteien nachzuziehen, um zu versuchen, TikTok nicht weiter der AfD zu überlassen.
Ja, im Kapitalismus müssen die Gesetze der Aufmerksamkeitsökonomie leider befolgt werden. Aber Social Media ist nur ein Teil des Problems. Die Behäbigkeit auf Insta spiegelt nur die inhaltliche Behäbigkeit. Denn eine junge Generation, die, so die Jugendstudie, veränderte Arbeitsbedingungen und kollektive Lösungen für die Klimakrise fordert, will eben vor allem eines: gehaltvolle Lösungsvorschläge. Und echte Selbstwirksamkeit.
Weniger arbeiten, mehr bewirken
Was die Generation Z stattdessen hört, sind Vorwürfe, sie sei faul und verweichlicht. Dabei kann das die aktuelle Jugendstudie nicht belegen – die jungen Menschen wollen zwar eine bessere Work-Life-Balance, etwa durch eine Vier-Tage-Woche, aber nicht mehrheitlich weniger arbeiten, als sie es aktuell tun. Was die Generation Z ebenfalls hört, sind die Forderungen an sie, wahlweise später in Rente zu gehen oder weniger zu streiken, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Die Verzichtsforderungen für den Klimaschutz richten sich an sie und ihr persönliches Leben. Die Wirtschaft hingegen produziert munter weiter CO2 – übrigens in Abhängigkeit vom Wirtschaftswachstum.
Das sind genau die alten Antworten, die den Jungen oberlehrerhaft erklären: Wir wissen es besser als ihr. Wir haben das immer schon so gemacht. Ihr müsst euch in unser System einpassen.
Vor einigen Jahren hat Winfried Kretschmann eine "neue Idee des Konservativen" ausgerufen, die die Schöpfung und die liberale Gesellschaft bewahren soll. Viele junge Leute hat er damit nicht erreicht. Vermutlich hatte er das auch gar nicht vor, schließlich ist der ideale Kretschmann-Wähler in der Vorstellung gewisser Strategen grauhaarig und von der CDU abgekommen. Auch CDU, SPD und FDP scheinen am liebsten eine Politik für die ältere Generation machen zu wollen. So wirkt das Bild von Baden-Württemberg, das heraufbeschworen wird, oft, als käme es "straight out of the nineties": Automobilindustrie, Doppelhaushälfte und romantisierter ländlicher Raum.
Der große Hannah-Arendt-Fan Winfried Kretschmann spricht gern über die "Vita activa", Arendts Vorstellung eines politischen Lebens, und vom "Ringen um die besten Konzepte". Dann sollte er bitte dafür werben, dass seine Generationsgenoss*innen aufhören, den Jungen abzusprechen, mehr zu wollen und anders leben zu wollen.
Natürlich ist "die junge Generation" keine Einheit. Während die einen enttäuscht darüber sind, dass die Ampel-Bundesregierung die Asylpolitik verschärft, wenden sich die anderen der Merz-CDU zu, die die AfD nachmacht. Oder gleich der AfD, einer in Teilen gesichert rechtsextremen Partei.
Genau das zeigt die Notwendigkeit für neue Angebote. Und zwar in erster Linie für jene jungen Menschen, die große Sorgen vor dem Erstarken der Rechtsradikalen haben. Für jene jungen Menschen, die sich mehr kollektiven Klimaschutz wünschen, neue Arbeitsweisen und bezahlbare Wohnungen. Warum nicht im Industrieland Baden-Württemberg dafür werben, dass wir unsere Gesellschaft auch so gestalten können, dass wir weniger arbeiten müssen – dafür mehr Klimaschutz und mehr Selbstbestimmung haben? Warum nicht in den Gemeinden neue Möglichkeiten für nicht-profitorientiertes Wohnen und Wirtschaften vorantreiben – kommunal, genossenschaftlich oder selbstverwaltet? Warum nicht den Kapitalismus kritisieren?
Wenn die gesellschaftliche Linke – ob in Parteien oder außerparlamentarisch – daran glaubt, dass das gute Leben für alle möglich ist, kann sie auch daran glauben, dass sie diejenigen davon überzeugen kann, die auf der Kippe stehen. Dazu braucht sie aufregende Ziele und den Mut, in Zukunft anders zu arbeiten. Und ja, vielleicht auch ein altes Zweithandy, auf dem (immer an die Datensicherheit denken) nur TikTok installiert ist.
3 Kommentare verfügbar
Peter Meincke
am 04.05.2024