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Stuttgart und die Energiekrise

Wie lange läuft die Rasenheizung?

Stuttgart und die Energiekrise: Wie lange läuft die Rasenheizung?
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Um sicher ohne Gasstopps durch den Winter zu kommen, müssen alle Energie sparen. Auch Kommunen sollen ihren Verbrauch drastisch drosseln. Die Stadt Stuttgart tut kaum mehr als vorgeschrieben – ihr Energieverbrauch sinkt bislang um mickrige 1,7 Prozent.

Zwar sind die Gasspeicher der Bundesrepublik aktuell zu über 90 Prozent gefüllt. Doch in der kalten Jahreszeit leeren Heizungen und Boiler diese schneller als neuer Brennstoff aus westlichen Lieferländern nachfließt. "Wichtig ist und bleibt es Energie zu sparen. Wir sind in einer ernsten Lage und der Winter kommt erst noch", appelliert Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an Bevölkerung und Unternehmen. Nur wenn der Verbrauch des fossilen Brennstoffs um 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr sinkt, sind Gasmangellagen mit Ausfall von Gaskraftwerken und Industriebetrieben im nächsten Jahr vermeidbar, zeigen Szenarien der Bundesnetzagentur.

"Jede Kilowattstunde zählt", unter diesem Slogan bekannten sich die baden-württembergische Landesregierung und zahlreiche Verbände beim "Krisengipfel Gas" Ende Juli zum Energiesparen. "Städte, Gemeinden und Landkreise nehmen auch bei dieser drohenden Krise selbstverständlich ihre gesamtstaatliche Verantwortung wahr", versicherten die Präsidenten von Städte-, Gemeinde- und Landkreistag. Man werde "professionell und kompetent die weiteren Schritte gehen, um die Energieversorgung und -sicherheit durch ein koordiniertes und strukturiertes Vorgehen zu sichern", versprachen sie.

Mittlerweile ist Gas- und Stromsparen keine freiwillige Angelegenheit mehr. Seit September schreibt die "Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über kurzfristig wirksame Maßnahmen" auch der öffentlichen Hand vor, was zu tun ist. So dürfen in "öffentlichen Nichtwohngebäuden" Flure und Treppenhäuser nicht mehr beheizt werden. In Arbeitsräumen "für körperlich leichte und überwiegend sitzende Tätigkeit" ist die Lufttemperatur auf höchstens 19 Grad Celsius zu beheizen. Zum Händewaschen darf in Toiletten nur kaltes Wasser fließen. Denkmäler müssen nachts im Dunkeln stehen. Wer wissen will, ob Kommunen den Energiegürtel freiwillig enger schnallen, kann dies leicht selbst prüfen – mit einem Blick auf Straßenlaternen morgens oder abends.

Das Ergebnis fällt beim spontanen Test in Stuttgart ernüchternd aus: In der Landeshauptstadt brennt die Straßenbeleuchtung am hellichten Tag. Am vergangenen Freitag (30. September) erlosch sie erst um 7:24 Uhr – fünf Minuten nach Sonnenaufgang. Viel früheres Ausschalten wäre problemlos möglich gewesen, denn bei wolkenlosem Himmel hatte es bereits eine Stunde zuvor zu dämmern begonnen.

Straßenbeleuchtung in der Dämmerung

Straßenbeleuchtung birgt enormes Sparpotenzial. Zuletzt verbrauchten die rund 69.000 Leuchten in Stuttgart jährlich rund 20,7 Millionen Kilowattstunden (KWh) Strom. Im Jahr 2020 waren sie für rund 4.200 Stunden eingeschaltet. Damit lässt sich schnell ausrechnen, was ad hoc möglich wäre: Würden die Lampen täglich nur eine Stunde kürzer brennen, könnte der jährliche Stromverbrauch um rund 8,7 Prozent oder 1,8 Millionen Kilowattstunden fallen. Zudem würden die Kosten um mindestens eine halbe Million Euro sinken.


Licht an, Licht aus



An- und Abschaltzeitpunkt der Straßenbeleuchtung haben einen Effekt, der kaum beachtet wird. Beide fallen in Stromlastzeiten, in denen Solaranlagen nur wenig oder gar keinen Strom liefern. Fehlt es zudem noch an Windenergie, müssen vor allem teure Gaskraftwerke den benötigten Spitzenlaststrom produzieren. Dies spiegelt sich in den Preisen an der Strombörse wider. Am vergangenen Freitag kletterte der Strompreis zwischen 7 und 8 Uhr auf sein Tageshoch von knapp 540 Euro je Megawattstunden, um anschließend mit mehr Erneuerbaren Energien im Strommix steil bis auf unter 200 Euro zu fallen. Der abendliche Preis-Peak (365 Euro) um 18 Uhr war zu Beginn der Dämmerung, wenn in Straßen, Büros und Wohnungen das Licht angeknipst wird. Eine frühere Ab- und spätere Anschaltung der Straßenbeleuchtung würde Stromlastspitzen glätten. (les)

Beeindruckende Zahlen in Zeiten, in denen jede Kilowattstunde zählt. Wer wissen will, wo die Landeshauptstadt Energie spart, konnte dies am vergangenen Freitag im Stuttgarter Rathaus erfahren, wo der Gemeinderat übers Thema debattierte. "Angesichts der hohen Energiepreise führt kein Weg an Energiesparmaßnahmen vorbei", eröffnete Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) die Ausschusssitzung. "Mit vereinten Kräften" werde man die Krise meistern, verwies das Stadtoberhaupt auf bereits Beschlossenes. So habe man den Gasverbrauch der Verwaltung und der städtischen Eigenbetriebe zu Jahresbeginn zu 35 Prozent auf biogenes Gas umgestellt, das aus Abfall- und Reststoffen wie etwa Papierabfällen gewonnen wird. "Damit nimmt Stuttgart eine Vorreiterrolle unter den deutschen Großstädten bei der Einsparung von fossilem Erdgas ein", betonte Nopper – und unterschlägt geflissentlich, dass dieser Schritt lange vor Einstellung der russischen Gaslieferungen beschlossen wurde.

Bei tatsächlichen Energieeinsparungen, die nach Beginn von Putins Gaskrieg gegen Deutschland umgesetzt wurden, fällt Noppers Bilanz deutlich bescheidener aus. So werden zwar Rathaus, Fernsehturm, Kirchen und Brunnen – wie inzwischen vorgeschrieben – nächtens nicht mehr illuminiert. Doch das ist mit einer prognostizierten Einsparung von nur rund 100.000 Kilowattstunden eher der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Kleinere Teile im Energiespar-Puzzle sind auch der – ebenfalls verordnete – Verzicht auf warmes Wasser in den Toiletten. Oder die Anzucht kälteunempfindlicher Blühpflanzen, um die Temperatur in städtischen Gewächshäusern zu drosseln. Mit letzterem will das Garten- und Friedhofsamt rund 50.000 Kilowattstunden sparen. Zu 550.000 Kilowattstunden weniger Verbrauch beitragen sollen städtische Kühlschränke, in denen Lebensmittel nur noch bei 8 Grad Celsius lagern.

Was nach viel klingt, ist fast nichts

Die größte Sparrendite erzielte die Stadt bislang in ihren Freibädern. Um 3,2 Millionen Kilowattstunden sank der Verbrauch, weil Beckenwasser nicht mehr mit fossilen Brennstoffen, sondern nur noch mit Solarthermie oder Photovoltaik mit Wärmepumpen erwärmt wurde. Die energiefressenden Hallenbäder will OB Nopper dagegen bislang offen halten. "Sonst laufen wir Gefahr, dass Kinder nicht mehr schwimmen können", so seine Begründung. Immerhin leisten die Schwimmhallen auch einen Beitrag: Die Abschaffung der Warmbadetage soll 1,7 Millionen Kilowattstunden sparen. Zusammengenommen sollen die Maßnahmen den städtischen Energiebedarf um 8,15 Millionen Kilowattstunden drosseln.

Was nach viel klingt, ist tatsächlich kaum mehr als nichts: Sie reduzieren den Gesamtenergieverbrauch der Landeshauptstadt um mickrige 1,7 Prozent. Dies scheinen auch OB Nopper und Baubürgermeister Petzer Pätzold (Grüne) sowie Technikbürgermeister Dirk Thürnau (SPD) als zu wenig erkannt zu haben. Vor Kurzem beschloss die Bürgermeisterrunde zwei zusätzliche Maßnahmen, die weitere 4,3 Prozent oder 20,7 Millionen Kilowattstunden sparen sollen. Allerdings fußen beide auf unsicheren Annahmen. So hofft die Rathausspitze, beim Heizen kräftig zu sparen. "Die städtischen Gebäude werden erst ab dem 1. November dauerhaft beheizt", sagte Pätzold.

Zuvor wird die Heizung nur stundenweise in Betrieb genommen, wenn die Raumtemperatur an drei aufeinanderfolgenden Tagen die Soll-Temperatur unterschreitet. "Allein diese Maßnahme wird den städtischen Energiebedarf in diesem Jahr um ein Prozent reduzieren und damit rund 9,8 Millionen Kilowattstunden an Energie einsparen. Das entspricht etwa dem 980-fachen Wärmebedarf eines 4-Personen-Haushalts", rechnete Pätzold vor. Einen ersten Strich durch diese Prognose machte der Kälteeinbruch Mitte September. Früher als üblich mussten in den Liegenschaften die Heizungen anspringen. Ob ein wärmerer Winter diesen Mehrverbrauch wieder reinholt, steht in den Sternen.

Spareffekte unsicher

Unsicher ist auch der Spareffekt der zweiten Maßnahme, da sie aufs Mitmachen der rund 15.000 Mitarbeitenden setzt. Sie sollen "bei Verlassen eines Raums das Licht auf aus, Heizung auf Stern, usw." stellen, so die Beschreibung auf einer Präsentationsfolie, und damit Sparfüchse in den 1.600 städtischen Liegenschaften spielen. Dadurch verspricht sich die Stadtspitze mit 10,85 Millionen Kilowattstunden sogar den größten Einzelspareffekt. Nach Kontext-Informationen gab es bislang noch keine entsprechenden Motivations- oder Sensibilisierungskampagnen. Zudem wird offenbar auch mit der Abwesenheit der Mitarbeitenden gerechnet, damit Lichter und Heizungen ausbleiben können. So arbeiteten im Coronajahr 2021 bis zu 5.000 städtische Angestellte im Homeoffice. Ob der Energieverbrauch damit insgesamt sinkt, ist allerdings fragtlich, denn zunächst verlagert er sich durch diese Maßnahme nur in private Wohnungen.

Auch wenn sie bislang kaum mehr als vorgeschrieben tut, sieht die Rathausspitze die Landeshauptstadt als Vorbild. Laut Pätzold sollen Notlage und Maßnahmen in die Stadtgesellschaft kommuniziert werden, um Unternehmen und Bürger ebenfalls zum Energiesparen zu animieren. Wie dies geschehen soll, verriet er nicht. Schon länger gibt die Stadt zwar ein "Energiesparbüchlein" heraus. Auch liegen an der Rathauspforte seit kurzem Flyer in verschiedenen Sprachen mit Spartipps aus. Online findet die Energiekrise dagegen kaum statt. Auf der offizielle Homepage heißt es aktuell vor allem "Auf zum Wasen!" mit Besuchstipps für das Cannstatter Volksfests. Kaum anders ist es beim Regionalverband Stuttgart, dessen größtes Mitglied die Landeshauptstadt ist. Auch in dessen Internetportal ist die Energiewelt noch in Ordnung. Anders als die Ruhr-Städte: Unter www.besserbereit.ruhr informieren diese ausführlich über Mangellagen und Sparmaßnahmen.

Derweil prüft die Stuttgarter Stadtverwaltung weiter – und das intensiv, wie es heißt. Abhängig von den Entscheidungen der Bundesnetzagentur stünden etwa Temperaturabsenkungen in den Hallenbädern, die Schließung von Saunen und Außenbecken sowie einzelner Bäder auf dem Prüfstand. Überlegt wird auch, eine von zwei Eislaufhallen in der Degerlocher Eiswelt stillzulegen. Damit die Menschen nicht frieren müssen, erwägt die Stadtspitze sogar, die Rasenheizung in der Mercedes-Benz-Arena auszuschalten. In den nächsten Wochen werde auch geprüft, die Straßenbeleuchtung zu reduzieren. Eine komplette Abschaltung in ganzen Straßenzügen oder sogar Wohngebieten sei nicht vorgesehen, heißt es. Viele dieser Maßnahmen haben andere Städte bereits umgesetzt, wie beispielhaft das besserbereit.ruhr-Portal zeigt.

Ein beleuchteter Weihnachtsbaum ist nicht genug

Auf dem Prüfstand stand in Stuttgart auch die Weihnachtsbeleuchtung. Runter gefallen sind lediglich die illuminierten Figuren auf dem Schlossplatz und der beleuchtete Adventskalender in den Rathausfenstern. Das wird die Stromzähler kaum langsamer laufen lassen. Denn nach dem Willen von OB Nopper gibt es auch in Krisenzeiten in der Einkaufsmeile Königstraße und auf zentralen Plätzen elektrischen Lichterschmuck. Auch drei große Weihnachtsbäume sollen, Mangellage hin oder her, wieder unter Strom stehen. "Deren Beleuchtung besteht bereits seit Jahren aus verbrauchsarmen LED-Lichtern", so die Stadt.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte vorgeschlagen, angesichts der Energie- und Klimakrise auf stromfressenden Glitzer zu verzichten. "In diesem Winter sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass sowohl auf die Weihnachtsbeleuchtung in Städten, wie auch die der Häuser und Wohnungen verzichtet wird", sagte der Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Allein die privaten Lichterorgien verursachten pro Jahr einen Stromverbrauch von mehr als 600 Millionen Kilowattstunden Strom – so viel wie eine mittlere Großstadt mit 400.000 Einwohnern im Jahr verbraucht. Hinzu kämen die möglichen Einsparungen durch Verzicht auf Weihnachtsbeleuchtung in Städten und Gemeinden. "Vielleicht lässt sich dies ja auf jeweils einen beleuchteten Baum pro Gemeinde reduzieren", schlug Resch vor. Hier bewusst zu verzichten und solidarisch zu sein, könne diese Weihnachtszeit sogar zu einer ganz besonderen machen.

Nicht so in Stuttgart. Vor dem Neuen Schloss wird sich in der Vorweihnachtszeit wie im Vorjahr auch ein Riesenrad drehen. Die traditionelle Eisbahn auf dem Schlossplatz fällt dagegen der Energiekrise zum Opfer. "Das Riesenrad soll ein Zeichen der Zuversicht und Hoffnung sein", betonte OB Nopper in der Gemeinderatssitzung. Klar sei, dass man auch dies bei zugespitzter Energiemangellage stoppen müsse. "Bleibt zu hoffen, dass das Riesenrad nicht zum Zeichen der Unvernunft und Blauäugigkeit wird", bemerkte dazu Grünen-Stadtrat Björn Peterhoff. 


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