Vergangenen Samstag wählte eine Jury aus Mitgliedern von Parteien, Verbänden und Verwaltung dann die drei FinalistInnen. Der Aufwand: gewaltig. Professionelle Moderation, alles live im Netz übertragen, eine perfekt orchestrierte Veranstaltung. "Im Wizemann", wo sonst Konzerte stattfinden, sitzen drei Männer hinter zehn Bildschirmen und regeln die Technik. Für die Ecken und Kanten sorgten die AmtsanwärterInnen selbst. Der eine stolpert auf die Bühne, ein anderer vergisst, was gerade eigentlich Thema war. Nervös umklammern einige ihre selbstgeschriebenen Karteikarten, bevor sie auf die Bühne treten, ganz so, als würden sie gleich eine Schulpräsentation geben. Es macht sie nahbar. Sie sind keine Medienprofis, sondern Menschen direkt aus der Szene. Barkeeper, Clubbetreiber, Veranstalterinnen – von der Szene, für die Szene, so das Motto.
Zu vielen schwierigen Fragen mussten die KandidatInnen Stellung beziehen: Was tun gegen Rassismus und sexuelle Belästigung im Nachtleben? Wie Stuttgart attraktiver für KünstlerInnen machen? Wie das Nachtleben sicherer machen? Und was ist mit dem Müll? Die drei FinalistInnen des Abends heißen Claudia Queschning, Maha Shoukri und Nils Runge. Sie werden jetzt in klassischen Bewerbungsgesprächen nochmals auf die Probe gestellt.
Mit 185.000 Euro jährlich, zementiert im aktuellen Doppelhaushalt, wird eine Stelle beim Pop-Büro angesiedelt ("szeneaffine Fachkraft") sowie eine weitere bei der Wirtschaftsförderung ("verwaltungsinterner Lotse"). Die Erwartungen sind unglaublich hoch. Ebenso der Umfang an Aufgaben: Mit möglichst vielen GastronomInnen, Ämtern, AnwohnerInnen, Verbänden und sonstigen Beteiligten soll kommuniziert und Konsens hergestellt werden. Konzepte müssen erarbeitet und das Stuttgarter Nachtleben nach außen repräsentiert werden. Der Posten sei eigentlich eine Zumutung, meint der ein oder andere Clubbetreiber.
Nachtleben als Ventil
Doch die Gebete der Szene wurden erhört. Der Verein das Club Kollektiv, in dem auch Climax-Manager Florian Buntfuss Mitglied ist, brachte den Stein ins Rollen. Das Kollektiv veröffentlichte im August 2019 das "Stellenkonzept Night Mayor". Aus diesem Papier übernahm die Stadt Stuttgart erstaunlich viel. Angefangen beim Wording ("Koordinierungsstelle Nachtleben"), über die Ausgestaltung des Postens (zwei Vollzeitstellen) bis hin zum Fokus auf die drei Bereiche Nachtkultur, Nachtökonomie und Nachtsicherheit. Die Hoffnung ist zudem, dass man in der Landeshauptstadt von Mannheim lernen kann. Als erste Stadt bundesweit installierte Mannheim 2018 mit Hendrik Meier einen Nachtbürgermeister. An Lob und Freudentaumel wurde nicht gespart. Unter vorgehaltener Hand wird jedoch auch Kritik an der Ausgestaltung des Mannheimer Postens laut: Nur eine einzige Teilzeit-Stelle, die zudem nicht direkt bei einem städtischen Amt angesiedelt sei, könne wenig ausrichten. Und ohne Befugnisse komme der Night Mayor wie ein zahnloser Tiger daher.
2 Kommentare verfügbar
Hella Brun
am 24.02.2021Daß nächtliche Besäufnisse und ausufernde Rücksichtslosigkeiten samt Dauerbelärmung neuerdings als Kultur gelten wie Oper oder Kino kennzeichnet den Zeitgeist, dem jeder Geist abhanden gekommen ist. Daß dazu angeblich die Anwohner ins Boot geholt werden sollen durch…