Sie sind Unternehmer, Taxifahrer, Architekt, Angestellter, Bauarbeiter oder Handwerker – und stehen frierend bei kräftigen Minusgraden mit Ostwind auf einem Parkplatz in der Nähe von Bruchsal. Getroffen haben sie sich zu einer gemeinsamen Busfahrt in den Kosovo, ihre alte Heimat. Anlass: die Parlamentswahlen im Kosovo am 14. Februar. Sie alle leben schon länger in Deutschland, haben zumeist die deutsche Staatsangehörigkeit oder auch zusätzlich noch den kosovarischen Pass. Die meisten sind Anfang der 1990er-Jahre als junge Männer aus ihrer Heimat geflüchtet, weil sie nicht in den innerjugoslawischen Kriegen verheizt werden wollten, zumal noch unter dem Diktat eines Herrn Milošević.
In den letzten dreißig Jahren haben sie sich in ihrer neuen Heimat beispielhaft integriert, Existenzen aufgebaut, Häuser erworben und renoviert, Familien gegründet ebenso wie kleine Unternehmen, ihre Kinder besuchen mit Erfolg die deutschen Schulen – ein Drittel der ursprünglichen Bevölkerung des Kosovo lebt inzwischen hauptsächlich in Deutschland, der Schweiz und Österreich. In Deutschland allein mehr als 200.000. Und in dieser kosovarischen Diaspora-Community häufen sich spätestens seit 2014 die Befürchtungen, dass in ihrer früheren Heimat die Melange aus alten Seilschaften, Korruption und Machtmissbrauch fortdauert.
Der 35-jährige Architekt Osman Maliqi ist, zusammen mit dem Heidelberger Bau-Unternehmer Ramadan Orani, Wortführer der Kosovo-Reisegruppe, die mit ihrem Trip in die alte Heimat einerseits traditionelle Verbundenheit zeigen will, andererseits aber auch demonstrativ auf ihren Einfluss auf die Geschicke im Kosovo hinweist. Denn auch heute noch füttert die Diaspora ihre Familien im Land mit ihren Unterstützungsgeldern, und natürlich soll daraus auch eine politische Wirkung erwachsen.
Von Befreiern zu Beherrschern
Maliqi kam als Elfjähriger nach Deutschland, studierte und ist heute Geschäftsführer einer Immobilienfirma. Darüber hinaus ist er Mitglied der Reformpartei Vetëvendosje ("Selbstbestimmung") mit ihrem Vorsitzenden Albin Kurti und im Vorstand der deutschen Sektion. Er repräsentiert die Kontinuität und zugleich den Wandel der Kosovo-Diaspora im Ausland, besonders in Deutschland. Früher, "in der Ära des Widerstands", so Maliqi, finanzierten die Exil-Kosovaren ein Parallelsystem gegen die kulturelle und soziale Austrocknung des Kosovo durch die Belgrader Zentralregierung – und natürlich auch die Aufrüstung der seit Mitte der 90er Jahre agierenden, bewaffneten "Befreiungsbewegung" UÇK. Maliqi: "Im Prinzip waren wir damals alle die UÇK. Wir alle waren irgendwie geprägt durch den Kriegspatriotismus, aber davon sind wir spätestens seit 1999, nach Auflösung der UÇK, weg, und die neue Generation will vor allem Frieden und soziale Gerechtigkeit."
Die Hoffnung, dass nach Gründung des Staates Kosovo eine Ära der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung beginnen könnte, wurde jedoch herb enttäuscht. Wie in anderen Ländern auch verlief sich die ehemalige "Befreiungsbewegung" in diverse korrupte Gruppen und Parteien, die Kader der UÇK saßen dort, wo das Geld verteilt wurde: der klassische Weg aus dem "Kriegspatriotismus" zum lukrativen "Friedenspatriotismus" oder anders: von der "Befreiungsbewegung" zur "Beherrschungsbewegung". Doch der Mythos der UÇK als Volksbefreier war anfangs immer noch ungebrochen. Osman Maliqi: "Wir alle dachten 2008 nach Gründung des Staates Kosovo, jetzt können die Befreier, unsere Idole, sich um die Probleme des Volkes kümmern und soziale Gerechtigkeit herstellen. Wir legten einfach die Beine hoch und warteten. Bis 2014 waren wir politisch abstinent. Aber heute ist das Thema UÇK für uns erledigt." Ziemlich einsilbig sind die Reaktionen auf Nachfragen zu deren Verbrechen, obwohl akribisch dokumentiert. Laut Anklage haben Figuren wie der vor dem Kosovo-Sondertribunal in Den Haag stehende Hashim Thaçi, ehemals UÇK-Mitbegründer und später Ministerpräsident und dann Präsident des Landes, ziemlich Blut an den Händen.
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