KONTEXT:Wochenzeitung
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"Mal über die Stränge schlagen"

"Mal über die Stränge schlagen"
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Er findet Seilbahnen sexy, jahrelange Baustellen unwürdig und sieht den öffentlichen Nahverkehr als Menschenrecht an. Ein Gespräch mit Andreas Hofer, dem Intendanten der IBA'27, der Internationalen Bauausstellung 2027 in Stadt und Region Stuttgart.

Herr Hofer, vor kurzem sind die ersten 28 Projekte der IBA vorgestellt worden. Aber noch bevor irgendwelche Themen für die Bauausstellung festgelegt waren, hieß es schon, die IBA'27 müsse Lösungen entwickeln, die vorbildlich sind für die ganze Welt. Ist das nicht ein bisschen hoch gehängt?

Bei aller Selbstkritik gegenüber den großen und universalistischen Lösungen der Moderne: Gerade in dieser unglaublich reichen und technologiestarken Region muss der Anspruch schon sein, Lösungen zu finden, die nicht nur im kuscheligen Süden Deutschlands funktionieren.

Eine andere Aussage war: wir machen keine Krisen-IBA - im Gegensatz zur IBA Emscher Park 1999. Regionalpräsident Thomas Bopp sah die Chance, "sich um die Zukunft zu kümmern, solange es uns noch gut geht".

Diese Aussage sollte legitimieren, warum man hier eine IBA macht. Bei der IBA Emscher Park galt es, den Strukturwandel zu bewältigen. Hier kann man sagen, es geht allen gut, der Immobilienmarkt brummt, dann nutzen wir diese Stärke, die auch nicht für alle Zeiten in Beton gegossen ist, um uns für zukünftige Anforderungen handlungsfähig zu machen. Gerade in zähen und langfristigen Prozessen, das haben wir jetzt bei den Wohnungsmärkten gesehen, kann man nicht von heute auf morgen reagieren. Ein spielerisches Format, das man neben die alltägliche Praxis stellt, ist da ein kluger Entscheid. Dinge ausprobieren, auch mal über die Stränge schlagen, das gefällt mir.

Sie haben aber auch mal gesagt: Stuttgart hat gravierende Probleme. Walter Rogg, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung der Region, hat die so benannt: "Wir sind eine der reichsten Regionen Europas und der Welt und schaffen es nicht, bezahlbaren Wohnraum für alle bereitzustellen. Wir sind Weltmeister in der Produktion von Mobilitätsprodukten, aber wir schaffen es noch nicht, nachhaltige Mobilität in unserer Region in den Städten zu gewährleisten."

Genau diese beiden drängendsten Probleme können wir nicht lösen. Die IBA ist kein Instrument der Bodenreform. Die IBA ist nicht Autoindustrie. Manchmal würde ich lieber mehr über die IBA als Architekturausstellung sprechen und nicht über Mobilität und teuren Boden. Selbstverständlich beschäftigt das die Menschen, wie sich ihre Stadt entwickelt, und das nehme ich auch ernst. Unsere Aussagen werden etwas damit zu tun haben, aber ...

Walter Wüllenweber. Foto: Joachim E. Röttgers

Foto: Joachim E. Röttgers

Andreas Hofer ist keiner, der ständig von seinen Plänen erzählt. Eher einer, der zuhört und vielleicht ist das die wichtigste Eigenschaft, die er als IBA-Intendant braucht. Er kann aber auch sehr deutlich werden: Wenn die Kommunen so weitermachen und all ihren Grundbesitz verkaufen, wird aus der IBA nichts werden, hat er einmal gesagt. In der Schweiz hat Hofer als Architekt und Verbandsmitglied viel für Genossenschaften gearbeitet. Dabei kam er mit unterschiedlichsten Menschen ins Gespräch – bei Finanzierungsverhandlungen mit Banken ebenso wie in der Quartiersentwicklung. Bei manchen, kritischen Fragen überlegt er einen Moment. Um die Antwort so zu formulieren, dass er niemandem auf die Füße tritt. (dh)

... eher Beispiele setzen?

Genau. Ein Riesen-Problem sind die explodierenden Wohnflächen pro Person. Das ist ja nicht nur Ausdruck von 'wir können's uns leisten', sondern auch von einer Gesellschaft, die älter wird, in der es viele Einpersonenhaushalte gibt, Haushalte, die sich aufteilen, Patchwork-Familien.

Wenn aber Leute, die in einer großen Altbauwohnung wohnen und vielleicht auch herauswollen, eine kleinere suchen ...

... dann gibt es die entweder nicht oder sie ist deutlich teurer. Daran können wir nicht viel ändern, aber typologisch können wir einige Schritte tun. Die Diskussion ist ja relativ jung: weg vom Standardprodukt Familienwohnung, auch die Frage der Nutzungsmischung, von Arbeit und Freizeit, ist zu stellen. Wobei freie Zeit vielleicht eine ganz neue Bedeutung bekommt: als Zeit für die Gemeinnützigkeit, für die soziale Pflege, für Community-based agriculture oder Werkstätten.

Die einen sagen, wir brauchen neue Baugebiete, die anderen wollen verdichten.

Wenn man die Diskussion weiter so führt, wird nichts passieren. Dann blockieren sich die Fraktionen, die alle keine Mehrheiten haben, gegenseitig. Gibt es irgendeinen produktiveren, konstruktiveren Weg, diesen Diskurs zu führen?

Innen mehr Grün, außen mehr Wohnungen?

Ein Ausweg könnte eine Klimastrategie sein. Die Schweizer Bundesbahnen haben sich dazu vertraglich verpflichtet, im ganzen Stadtgebiet Zürich. Man hat jede Eidechse gezählt, jede Ameise, dafür gab es Ökopunkte. Seither gilt: wenn ein Bahnhof gebaut oder eine Strecke verlegt wird, muss die ökologische Qualität in Summe erhalten bleiben. Das führt dann zu Wildbienen-Hotels oder zur Entsiegelung von jetzt belegten Flächen, erhält aber die Handlungsfähigkeit. Das finde ich ein interessantes Modell.

Oberbürgermeister Fritz Kuhn hat mal gesagt, Stuttgart sei umgeben von "extrem eigensinnigen Städten". Wie bekommt man die alle unter einen Hut?

Ich würde das als Wert betrachten. Das ist ein unglaublicher Reichtum – an Kulturen, an unterschiedlichen Situationen und Menschen. Natürlich kann es passieren, dass man versucht, die Probleme über die Grenzen der eigenen Kommune hinaus in die Nachbarschaft zu verlagern. Die IBA könnte eine Chance sein, wieder ein stärkeres regionales Bewusstsein und Solidarität zu entwickeln.

Wie funktioniert das eigentlich: Jeder, der etwas zur IBA in Stuttgart vorhat, kann zu Ihnen kommen - Bauherr, Architekt, Bürgerinitiative, Architekturstudenten?

Ich habe lange überlegt, aber kein System gefunden, wie man auswählen könnte. Wer einen Beitrag leisten will und sich glaubwürdig zu gewissen Mühsamkeiten bekennt, wie: Ich muss einen Wettbewerb veranstalten, ich muss mich mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen, kann zu mir kommen, ja.

Gibt es dafür einen Kriterienkatalog?

Es braucht eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Fragestellungen, die hier im Raum und in unserer Gesellschaft in den nächsten Jahren vorhanden sind. Wir müssen ja eine Perspektive von zwanzig Jahren auftun.

Unter den kürzlich vorgestellten ersten 28 Projekten befinden sich 14 in Stuttgart und sechs in der Region.

Das wird sicher nicht so bleiben. Die Stadt Stuttgart hat früh eine IBA-Delegierte benannt, und die hat aktive Arbeit geleistet. Wir reden aber mit viel mehr Kommunen, auch ziemlich weit draußen. Dort braucht der Prozess häufig ein bisschen mehr Zeit.

Einige dieser Projekte hätte es ohnehin gegeben: <link https: www.kontextwochenzeitung.de schaubuehne feuerbach-macht-sich-3169.html _blank external-link>das Schoch-Areal oder den Eiermann-Campus. Was qualifiziert sie als IBA-Projekte?

Beim Schoch-Areal haben wir das sogar sehr intensiv diskutiert. Eigentlich sagen wir, ein Projekt, das sich nicht mehr verändern kann, kann noch so toll sein, das können wir nicht mit einem IBA-Aufkleber versehen, da würden wir uns mit fremden Federn schmücken. Aber das Schoch-Areal ist zusammen mit dem Olga-Areal eines der ersten Projekte, wo in einer gewissen sozialen Komplexität, auch mit unterschiedlichen Bauträgerschaften und Integrationsprojekten geplant wird: das wollten wir auszeichnen. Und es geht ja nicht nur um die Hardware. Es wird viele Fragen geben und wir hatten in Gesprächen den Eindruck, es besteht noch ein Gestaltungsspielraum und es kann andere Projekte inspirieren. Bei allen anderen Projekten sind die planerischen Prozesse wirklich noch nicht abgeschlossen.

Das EnBW-Areal am Stöckach wollte zuerst die Stadt übernehmen. Doch nun will der Konzern selbst Wohnungen bauen. Ungewöhnlich für einen Energieversorger.

Ich weiß nicht, was da hinter den Türen passiert ist. Lustigerweise wurde das Projekt ja nicht von der EnBW eingereicht, sondern von der Stadt. Der EnBW als Energiekonzern ist an Fragen gelegen wie Energiesysteme, Mieterstrommodelle, digitale Netzwerke. Vieles davon ist auch für uns spannend und somit könnte sich dieses Projekt zu einem Lern- und Flaggschiffprojekt entwickeln. Wir sind auf solche Akteure angewiesen, die aus ihrer Geschichte etwas Neues ausprobieren wollen. Das können Tüftler und Spinner sein oder auch eine EnBW.

Auch einige der kleineren Projekte wie <link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft wohnen-im-miteinander-4966.html _blank external-link>der Kesselhof oder <link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft wohnen-im-schaufenster-5158.html _blank external-link>die Gruppe Adapter gibt es ja schon. Aber die wollen irgendwie noch weiter kommen?

Genau. Da geht es auch um Vernetzung und Lernen. Die Stadt wird sich beim Rosenstein überlegen müssen, wie sie die Grundstücke verteilt. Ich glaube, die große Welle geht in Richtung Wohnprojekte. Da ist es natürlich sehr wichtig, dass man mit denen redet, die jetzt schon etwas ausprobieren. Und dass wir als IBA die Vernetzungstätigkeit übernehmen.

<link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft von-gruen-umgeben-2774.html _blank external-link>Am Rosenstein ist soeben die erste Stufe im städtebaulichen Wettbewerb entschieden worden. Zugleich ist das Quartier sogar ein Ausgangspunkt der IBA.

Und wird 2027 noch nicht zu besichtigen sein.

Wegen Stuttgart 21?

Im Moment sagt die DB, dass sie S21 nicht vor 2024/25 in Betrieb nehmen wird. Und die werden natürlich keine Gleismutter lösen, bevor sie nicht hundertprozentig sicher sind, dass das neue Verkehrskonzept funktioniert. Das heißt frühestens ab '25 kannst du überhaupt mit dem Rückbau beginnen, der im Moment mit zwei bis drei Jahren budgetiert ist: 2027 gibt es noch nicht einmal eine Baugrube.

IBA-Projekt ist auch das Vorfeld der Wagenhalle, das als Kreativquartier vorgesehen ist. Dann kann da ja wohl nicht <link https: www.kontextwochenzeitung.de kultur taskforce-monolog-5490.html _blank external-link>das Opern-Interim hin? 

Da weiß ich noch ein bisschen zu wenig. Ich persönlich steige ergebnisoffen in diese Diskussion ein. Die Interessen der Opernsanierer und die der Wagenhallen-Leute sind urbane Interessen auf gleicher Augenhöhe, die muss man moderieren. Aber am Ende des Tages entscheidet die Politik. Ich bin froh, dass wir das nicht müssen.

Der Bahnhof Stuttgart-Vaihingen soll eine "Drehscheibe für die Mobilität der Zukunft" werden. Vaihingen wächst <link https: www.kontextwochenzeitung.de wirtschaft kuhhandel-am-synergiepark-4378.html _blank external-link>um ein paar tausend Arbeitsplätze ...

Ein paar zehntausend! Die Situation erinnert mich an ein Projekt, das wir mal gemacht haben: auf der einen Seite die Stadt, auf der anderen ein Industrie- und Gewerbegebiet im Wandel. Vielleicht kann der Bahnhof diese beiden Teile vernetzen und für die 20 000 Pendler einen angenehmen Ankunftspunkt schaffen? Ich finde das spannender als diese Mobilitäts-Hubs, die überall auf den Plänen auftauchen und unter denen ich mir nicht wirklich etwas vorstellen kann. Und dann gibt es noch den Nebenschauplatz, dass man über Seilbahnen nachdenkt.

Zum Beispiel vom Eiermann-Areal zum Bahnhof. Werden sich da nicht die Leute beschweren, denen man in ihrem Vorgarten, wenn sie in der Sonne liegen, auf den Bauch gucken kann?

Natürlich kommt einem das sofort in den Sinn: der Hausbesitzer, der sich mit Händen und Füßen wehrt, damit keine Gondel über ihm schwebt. Ich fänd's toll. Nicht weil ich Schweizer bin. Aber Seilbahnen haben einen gewissen Sexappeal. Leise, extrem angenehm, man braucht fast keine Infrastruktur. Man kann sie auch wieder wegnehmen.

Nach derzeitigem Stand werden 2027 die Fernzüge aus Zürich am Vaihinger Bahnhof enden. Was ist das für ein Signal für die IBA und ihre Mobilitäts-Drehscheibe?

Wenn Sie mich persönlich fragen wegen Zürich, spielt es eigentlich keine große Rolle, ob ich in Vaihingen in die S1 umsteige oder mit der Gäubahn noch ein wenig Panorama-Besichtigung mache. Für Leute, die Schwierigkeiten beim Umsteigen haben, ist das aber ein Problem.

<link https: www.kontextwochenzeitung.de politik ein-bisschen-oben-bleiben-5762.html _blank external-link>Aber die Panoramabahn soll dann nur noch bis zum Nordbahnhof führen, und die Flughafenstrecke ist noch nicht fertig.

Solche langen Unterbrechungen für Bauarbeiten müsste man unbedingt verhindern. Wir haben in der Schweiz eine ganz andere Kultur. Ich habe noch nie erlebt, dass eine Strecke ist für zweieinhalb Jahre gesperrt ist. Hier spiegelt sich auch eine Wertschätzung für den öffentlichen Verkehr, der ist wie ein Menschenrecht und den stellen die Schweizer einfach sicher. Aber auf die IBA bezogen könnten wir die Situation proaktiv bewirtschaften und sagen: Vaihingen ist ein Umsteigeknoten und wichtiger Ankunftsort für IBA-Besucher, also kann man da in die Seilbahn umsteigen zu einer Übernachtungs-Infrastruktur auf dem IBM-Campus.


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4 Kommentare verfügbar

  • Peter Stellwag
    am 10.05.2019
    Antworten
    Der richtige Mann, hoffentlich, auch an der richtigen Stelle. Ich kann Ihre Kritik nachvollziehen. Oft ist es ein unangemessens Kräftemessen von den Verantwortlichen in den Gemeinden und privaten Eigentümern von Grundstücken. Heute, am Tag der Remstal-Gartenschau-Eröffnung, z.b. hätte man eine…
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