Abeer Farhoud kauert auf dem Boden. Um sie herum Holzlatten und abgeschlagene Gliedmaßen aus Gips, Hände, Füße, Finger. Mit Schrauben und Leim, die Zunge zwischen die Lippen geschoben, baut die syrische Künstlerin an ihrer Installation. Die Zeit drängt. Es sind nur noch wenige Tage bis zur Ausstellungseröffnung hier im Württembergischen Kunstverein (WKV) mitten in Stuttgart. Abeer will, dass die BesucherInnen sinnlich erfahren, wie es Menschen geht, die als Regimegegner in eine Gefängniszelle in Syrien geworfen werden. Sie sollen die gedrängte Enge der vollgestopften Zellen spüren, den Gestank der Hoffnungslosigkeit riechen.

Die Künstlerin Abeer Farhoud.
Die 31-jährige Künstlerin aus Damaskus war selbst im Gefängnis. Ebenso wie viele ihrer Freunde und Verwandte. Sie haben ihr erzählt von den Zellen, in denen Menschen wie Vieh zusammenpfercht stehen. Von der Entwürdigung, der Folter. "Ich glaube nicht mehr an Worte", sagt Abeer, "aber ich habe noch Hoffnung in die Menschen." Und sie schraubt weiter an dem Holzrahmen, der einmal die Enge einer Zelle symbolisieren soll. A Day in Jail nennt sie ihre Installation. Die Idee dazu kam ihr im Gefängnis, der berüchtigten Abteilung 215, aus der auch viele der Caesar-Fotos sind.
Die Fotos hängen nicht, sie liegen aus Rücksichtnahme
Die lagen bis vor wenigen Minuten noch draußen in einem anderen Raum im WKV, 63 von 50 000 Fotos von Gefolterten. Sie werden nicht an den Wänden hängen, wo man sich ihnen nicht entziehen kann, sondern auf einem Tisch liegen. Doch Abeer konnte in Gegenwart dieser Bilder nicht arbeiten. Die Ausstellungsmacher haben sie weggeräumt. "Ich habe die Fotos nie angesehen", sagt Abeer Farhoud. Die Berichte ihrer Freunde und ihre eigenen Erfahrungen in Assads Kerkern sind in ihren Kopf eingebrannt. Das sind mehr als genug Bilder für ein ganzes Leben.
Die Fotos. Sie zeigen gefolterte Körper, Gesichter mit ausgestochenen Augen, Leichen übersät mit Brandwunden, zerschmetterte Menschen. Aufgenommen hat sie der Mann mit dem Codenamen Caesar, der als Militärfotograf in Syrien gearbeitet hat. In dieser Funktion lichtete er Tatorte von Verbrechen ab, Selbstmorde, Unfälle, in die Soldaten verwickelt waren. Das änderte sich, als 2011 der arabische Frühling in Syrien begann. Dann wurden ihm die ersten Leichen von Zivilisten gebracht, die Soldaten sagten, dass es Terroristen seien. Der Fotograf sah, dass es junge Demonstranten waren, Schüler, Studenten. Er konnte seine Arbeit nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren.
Am Anfang trugen die Leichen Namen, später hatten sie nur noch Nummern, manchmal waren sie auf die Stirn geschrieben. Es waren drei Nummern, eine davon war die Erkennungszahl für das Gefängnis. Es sind nicht zuletzt diese Nummern und die bürokratische Akribie, mit der die Bilder der Opfer zwischen Aktendeckel gepresst wurden, die an die Judenvernichtung im Nationalsozialismus erinnern. Die Bilder verfolgten den Fotografen bis in seine Träume. Er musste etwas tun.
9 Kommentare verfügbar
Franka Impotente
am 28.06.2018