Mit Spannung wurde Mitte Januar in Stuttgart der erste Feinstaubalarm erwartet: Würden die Autofahrer freiwillig ihr "heilig's Blechle" stehen lassen? Sehr bald stellte sich heraus: Die Straßen waren voll wie immer. Der öffentliche Verkehr hatte kein Kapazitätsproblem. Als beim zweiten Alarm der motorisierte Individualverkehr im Tagesdurchschnitt um zwei Prozent zurückging, wurde dies schon als Erfolg gewertet.
Aber es müsste doch auch anders gehen. Ressourcenschonend vom Fleck kommen, ohne eine Tonne Blech spazieren zu fahren, die jede Menge Feinstaub und CO2 produziert. Aber wie? Und wie wären die Menschen dazu zu bewegen? Danach fragt das Future City Lab, das sich eine "nachhaltige Mobilitätskultur" auf die Fahnen geschrieben hat: eines von mittlerweile vierzehn Reallaboren des Landes. Wissenschaftliche Institute arbeiten mit Akteuren des zivilen Lebens an einer "Kultur der Nachhaltigkeit".
"Nachhaltigkeit mag zu einem Schlagwort geworden sein", schreibt Theresia Bauer, die Wissenschaftsministerin, im Vorwort zu einem Expertenbericht, den sie 2012 in Auftrag gegeben hat. "Sie bleibt dennoch eine der größten Herausforderungen unserer Zeit." Bauers Auftrag an die Kommission: "Empfehlungen zu erarbeiten, die geeignet sind, den Beitrag der Wissenschaft für eine nachhaltige Entwicklung zu stärken." Denn: "Wir müssen die Art und Weise, wie wir leben und wirtschaften, grundlegend ändern, wenn wir unseren Wohlstand sichern wollen, ohne auf Kosten anderer Regionen oder künftiger Generationen zu leben."
Raus aus dem Elfenbeinturm!
Im Zentrum der Empfehlungen steht der Begriff des Reallabors. Uwe Schneidewind, Sprecher des Gremiums und Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, definiert: "Ein Reallabor bezeichnet einen gesellschaftlichen Kontext, in dem Forscherinnen und Forscher Interventionen im Sinne von 'Realexperimenten' durchführen, um über soziale Dynamiken und Prozesse zu lernen." Das 1991 von Ernst Ulrich von Weizsäcker gegründete Institut gilt als führend auf dem Gebiet der Transition-Forschung: der Analyse und Begleitung von Übergängen hin zu einer nachhaltigen Entwicklung. Diese Forschung findet nicht im Elfenbeinturm statt, sondern bezieht "beteiligte Akteure" mit ein.
2013 gab es eine erste Ausschreibung. Sieben Reallabore erhielten im Herbst 2014 den Zuschlag, darunter das Future City Lab, angesiedelt am Institut für Landschaftsplanung und Ökologie an der Architekturfakultät der Universität Stuttgart. Das Labor ist in diesem Fall die ganze Stadt. Beteiligt sind Stadtplaner, Sport- und Verkehrswissenschaftler, das Fraunhofer Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement – insgesamt sieben wissenschaftliche Institute, dazu Projektpartner wie die Stadt Stuttgart, die Kunstakademie oder das Stadtmuseum. Was aber das Reallabor erst zum Reallabor macht, sind die "Pioniere des Wandels": zivilgesellschaftliche Akteure, die bereits von sich aus Impulse setzen.
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Dr. Stefan Kissinger
am 02.04.2016