Gleich neben der Kirche von Mägerkingen, kurz hinter den zwei Bauernhöfen, dem kleinen Platz mit dem Springbrunnen und dem Gasthof Zum Hirschen, geht eine kleine Straße ab. Altes Fachwerk wechselt sich mit modernen Häusern ab, die Straßen sind gekehrt, die Gärten gepflegt. Gegenüber der freiwilligen Feuerwehr steht ein großes, hell verputztes Haus, die ehemalige mechanische Strickerei, ein Überrest der Textilindustrie auf der Schwäbischen Alb. Davor stehen kreuz und quer Dutzende Fahrräder. Sie lehnen an Bäumen, liegen auf dem Bürgersteig, sind an den zu kleinen Fahrradständer gekettet.
Pfarrer Martin Rose kennt das alles. Er ist seit 21 Jahren hier. Ohne einen Blick geht er daran vorbei und bleibt vor der Eingangstür stehen. Dann guckt er kurz auf das Klingelschild und läutet. Darauf stehen mehrere arabische Namen. Oben an der Treppe angekommen, begrüßt ihn Revan Bilal. "Hello, Mr. Rose." Bilal ist einer von rund 50 Flüchtlingen, die hier in der Unterkunft von Mägerkingen wohnen. Rose betritt einen großen Raum mit Küche, von dem mehrere Zimmer weggehen. Mehrere syrische Männer kommen aus ihren Zimmern. Rose begrüßt sie alle mit Namen. "Ich habe dir einen Termin beim Augenarzt gemacht", sagt er zu einem. "Am Mittwoch. Aber ich gebe dir noch mal einen Zettel mit der Adresse und dem genauen Termin." Die Männer sind froh, Rose zu kennen. Er ist ihre Verbindung zur deutschen Außenwelt.
Ministerin Öney sieht Mägerkingen als "Exportschlager"
Vor drei Jahren kamen die ersten syrischen Flüchtlinge nach Mägerkingen. Als Pfarrer Rose davon erfuhr, wusste er, dass er eine Grundsatzentscheidung treffen musste: Entweder hängt sich die Kirche richtig rein oder gar nicht. Rose entschied sich für Ersteres und dafür, seine Gemeinde mitzunehmen. Und mittlerweile kann er sagen: Er und die Gemeinde bekommen auch etwas zurück. Ein großes Lob von Ministerin Bilkay Öney eingeschlossen, die im Januar 2015 da war und von einem "wunderbaren Beispiel" für eine gelungene Integration sprach. Eigentlich sollte man Mägerkingen als "Exportschlager" nach Sachsen schicken.
Die Flüchtlingsunterkunft liegt im Herzen von Mägerkingen mit seinen 1200 Einwohnern, einem Teilort von Trochtelfingen, und hatte dieselbe Ausgangslage wie andere Dörfer auf der Alb. Es gab keinen Kontakt zwischen den neuen und alten Bewohnern. Keine Seite wollte den ersten Schritt machen – oder wusste, wie er zu machen wäre. Rose wollte das Eis brechen.
Jedes Jahr feiert seine Gemeinde das Erntedankfest und veranstaltet im Anschluss eine kleine Feier. Ein guter Rahmen für die Neuigkeiten, dachte Pfarrer Rose und ergriff im Oktober 2012 die Chance. "So hatten die Menschen nach der Messe Zeit, sich über das Gehörte auszutauschen." Rose sagte den Kirchenbesuchern, dass Menschen in ihr Dorf ziehen würden, die Hilfe benötigen. Menschen aus dem Nahen Osten, Muslime. Mägerkingen ist die einzige evangelische Gemeinde in der Gegend, umgeben von Katholiken. Und überhaupt, sagt Rose, je kleiner ein Dorf, desto engstirniger die Menschen. Doch für Mägerkingen lässt er das nicht gelten.
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