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Kickers-Sieg statt Nato-Krieg

Kickers-Sieg statt Nato-Krieg
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In einer Zeit, in der es so viele Kriege und Krisen auf der Welt gibt wie selten zuvor, haben bundesweit vielleicht 5000 Menschen Ostermärsche besucht. Freundlich geschätzt. 79 995 000 Bundesbürger haben gefehlt. Zur Auftaktveranstaltung am Samstag vor den US-Patch Baracks haben Stuttgarter Unermüdliche die Fahnen hochgehalten.

Politik ist ein schmutziges Geschäft. Haben ihre Eltern immer gesagt, erzählt Konnie Lopau. Da solle sie mal lieber die Finger davon lassen. Sie sitzt auf einem Klappstuhl unter dem blauen Zelt der Deutschen Friedensgesellschaft. "Kuck mal!", ruft ein Mann, quetscht sich auch unter die Plane und schlägt seine Jacke zurück. "Kickers-Sieg statt Nato-Krieg" steht da fett auf dem T-Shirt über dem gewölbten Bauch. Konnie Lopau lächelt.

Während ihres Studiums habe sie einen Mann kennengelernt, der im KZ gewesen sei, erzählt die blonde, zarte Frau. Den Lagerältesten im KZ in Dachau. Er habe einen Barackenbau beaufsichtigen sollen, aber als er merkte, dass daraus eine Gaskammer werden soll, habe er den Bau sabotiert. Damals sei sie 22 gewesen und sehr beeindruckt. Heute ist sie 62 und steht seit 40 Jahren für den Frieden auf deutschen Straßen. In diesem Jahr zur Auftaktveranstaltung des Ostermarschs vor dem Haupteingang des EUCOM in Stuttgart-Vaihingen. Dem United States European Command, in den Patch Baracks zwischen einer BMW-Niederlassung, einer Gärtnerei und einer Menge Wald. 

Mit dem Africom, dem US Africa Command, ist das EUCOM eines der beiden einzigen US-Oberkommandos außerhalb der Vereinigten Staaten. Dort wird bestimmt, wer auf der anderen Seite der Welt durch eine Drohne stirbt, dort werden die US-Atomaffen in Europa befehligt, dort wurde der Einsatz im Irak koordiniert. "Von hier aus wird Krieg gemacht", sagt Konnie Lopau. Das wüssten nur viel zu wenige. Vielleicht ist es vielen derzeit auch einfach zu kompliziert zu unterscheiden, welcher Krieg denn nun ein guter und welcher ein böser ist. Am 13.6. sei Tag der Bundeswehr, sagt Lopau. "Kann man sich das vorstellen? Tag der Bundeswehr!"

Zufällig reingeraten

MLPD-Fahnen ragen auf der Kreuzung über Regenschirme, welche von der Linken, alle rot, dazwischen die azurblaue der Deutschen Friedensgesellschaft. Lukas aus Tübingen ist da, 27 Jahre alt, ein Typ mit Sneakers und Brille. Mit 15 sei er zum Schüleraustausch in Kolumbien gewesen. Jeden Tag habe er Kinder gesehen, die am Straßenrand gebettelt, sogar geschlafen haben. Da ist er Antikapitalist geworden, Antifaschist und Pazifist wurde er später. "Grenzen öffnen für Menschen, Grenzen schließen für Waffen", steht auf einem großen Plakat hinter ihm.

Oder Cornelia Bergmann, 61, die das erste Mal in ihrem Leben zufällig gegen den Vietnamkrieg demonstriert hat. Mit 14 sei sie "in so eine Demo rein geraten." Weil die Demonstranten damals so grausige Bilder von verbrannten Kindern mit sich rumgetragen haben, ist sie mitgelaufen. Heute trägt sie selbst ein Schild mit einem Foto von blutenden Kindern in den Armen ihrer blutenden Väter. "Syrien. Glaub ich jedenfalls", sagt der Mann neben ihr und hält sich anklagend ein Schild mit einem Kampfjet vor die Brust.

Alfred Denzinger ist da, Nazi-Bekämpfer und Demo-Beobachter, kaum einer in Baden-Württemberg hat ein größeres Foto-Archiv zur Polizeigewalt. Oder Wolfgang Schlupp-Hauck, oberster Anti-Pershing-Blockierer in Mutlangen in den Achtzigern, heute der engagierteste Anti-Nuklearwaffen-Aktivist Süddeutschlands.

Alles nicht so einfach

"Der Westen hat die Hauptschuld an der Eskalation in Russland und der Ukraine!" ruft Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung von der Bühne. Er ruft "brandgefährliche Nato-Politik!" und "das heißt aber nicht, dass wir die aktuelle Russland-Politik beschönigen wollen!" Er erntet Beifall, aber nur leisen. Alles nicht mehr so einfach heutzutage. Eine Regenbogen-Flagge mit "Peace"-Aufschrift klebt nass und schwer an den Beinen einer Demonstrantin.

Es ist Baden-Württembergs Protest-Inventar, das sich am vergangenen Samstag vor dem EUCOM trifft. Später am Tag sollen es mehr als 400 werden. Ein paar Hände voll sind es in Vaihingen, maximal 50, inklusive zweier tropfnasser Hunde. Viele davon sind mit der Friedensbewegung alt geworden, haben ihre Höhepunkte erlebt und ihren Niedergang, sie standen in Sonne, Schnee und Regen, wie resistentes Immergrün, immer gegen Krieg und Militarisierung.

Links, unter einem weißen Zelt über der Einfahrt zur US-Kaserne stehen zwei Sicherheitsbeamte hinter dicken Absperrungen, skeptisch und gelangweilt. Der Himmel ist steingrau, es regnet Bindfäden, ein paar Birken tropfen am Straßenrand.

Falsche Frage

Konnie Lopau hält eine Fahnenstange fest in der Hand, die Fahne steckt noch in ihrer Tasche. "DKP", sagt Lopau. Sie sei Kommunistin, weil sie die Kommunisten immer als diejenigen kennengelernt habe, die versucht haben, die Politik so klug es ging zu entwickeln. "Sozialismus oder Barbarei, hat die Rosa Luxemburg gesagt." Der Sozialismus sei gescheitert. "Aber alles was danach kommt, ist auch nicht besser."

Ein Reporter hält Cornelia Bergmann, der Frau mit dem Kinderbild in der Hand, ein Mikrophon unter die Nase. Er fragt sie, warum sie und ihr Schild dort stehen. Später wird sie ärgerlich sagen, das sei die falsche Frage gewesen. "Die richtige wäre: Warum stehen alle anderen nicht hier?"


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5 Kommentare verfügbar

  • Ken Jebsen
    am 14.04.2015
    Antworten
    Das Problem der derzeitigen "Friedensbewegung" ist, dass sie sich nicht (oder nicht deutlich genug) nach rechts abgrenzt und bereits jetzt Teil einer stark nationalvölkisch geprägten Querfront ist, die für das Gegenteil liberaler, emanzipatorischer Ideale kämpft. Carl von Ossietzky in allen Ehren,…
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