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Raus aus den Hinterhöfen

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Ja zu einer Moschee mitten in Stuttgart – aber nicht um jeden Preis. Ja nur, wenn sie offen ist für alle, wenn die Muslime ihre Strukturen offenlegen und sich zur Gleichberechtigung der Geschlechter bekennen. Sagt die Alewitin und Grünen-Politikerin Muhterem Aras.

Wir brauchen eine repräsentative Moschee in der Stadt. Wir brauchen sie, damit die Bürgerinnen und Bürger islamischen Glaubens Raum und Platz haben, ihre Religion auszuüben. Zehn Prozent der Stuttgarter Bevölkerung sind Muslime, das sind rund 60 000 Menschen, die Bevölkerung einer Kleinstadt.

Eigentlich ist die Diskussion, ob der Islam zu Baden-Württemberg gehört und wie und wo die Menschen ihren Glauben leben können, komplett überflüssig, wenn sich alle an das Grundgesetz halten. Das Grundgesetz garantiert die Glaubensfreiheit und die ungehinderte Religionsausübung. Egal ob es Christen, Juden, Muslime, Hindus oder Buddhisten sind – stellvertretend seien hier die großen Weltreligionen für alle genannt –, die Religionsgemeinschaften und ihre Anhänger dürfen ihren Glauben ungehindert im Rahmen unserer Verfassung ausüben. Eine Klassifizierung der Religionen steht weder den Politikern noch allen anderen Bürgerinnen und Bürgern zu.

Sicher gehen nicht alle Stuttgarter Muslime in die Moschee, genauso wenig wie alle Christen in die Kirche gehen. Ich gehe auch nicht in die Moschee, weil ich Alewitin bin. Die Alewiten gehen in die Cem-Häuser. Ob Moschee, Cem-Haus, Kirche oder Tempel – alle müssen ihren Ort haben. Wenn das klar ist, ergibt sich alles andere von selbst. Voraussetzung ist immer, dass die jeweilige Glaubensgemeinschaft ihre Räume und Häuser, die sie zur Religionsausübung nutzt, finanzieren kann und sich an die geltende Bauordnung hält.

Keine Angst vor anderen Religionen

Es gibt bereits jetzt viele Moscheen in Stuttgart, aber keine repräsentative. Warum jetzt plötzlich mitten in der Stadt? Weil es an der Zeit ist, dass die Moscheen aus den Hinterhöfen herauskommen. Genauso wie die Menschen, die zunächst hierhergekommen sind, um zu arbeiten. Die mit billigen, provisorischen Wohnungen zufrieden waren. Das hat sich geändert. Viele sind geblieben, wohnen über die ganze Stadt verstreut, in teuren und preiswerten Vierteln, wurden deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, arbeiten, zahlen Steuern, schicken ihre Kinder in die Schulen, auf die Universitäten, in die Vereine und Clubs, engagieren sich im Ehrenamt. Kurz gesagt, sie nehmen teil an dieser Gesellschaft.

Kirche und Staat sind in Deutschland ein eingespieltes Team, die Ansprechpartner sind klar. Das ist bei den Muslimen hierzulande noch nicht so. Es gibt viele Richtungen und Gruppen. Um weiterzukommen und gleichberechtigt mitzumachen, braucht unsere Gesellschaft aber Ansprechpartner. In unserem Nachbarland Österreich beispielsweise sind muslimische Organisationen längst verlässliche Ansprechpartner, die gemeinsam mit dem Staat in vielerlei Hinsicht kooperieren. Seit 1979 existiert die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ), seit 1979 steht eine repräsentative Moschee in Wien-Florisdorf, und seit 1983 wird der Islamunterricht für alle muslimischen Schüler durch die IGGiÖ angeboten. Islamische Kindergärten und Schulen unterrichten nach dem österreichischen Lehrplan und bieten zusätzlichen Religionsunterricht auf freiwilliger Basis an.

Davon sind wir hier noch weit entfernt. Es hat in Deutschland lange gedauert, bis die Regierungen und die Menschen gemerkt haben, dass sie nicht nur "Gastarbeiter", sondern neue Mitbürgerinnen und Mitbürger bekommen haben. So wie das Thema Integration über lange Zeit fast ignoriert, zumindest aber sehr vernachlässigt wurde, war es natürlich auch bequem, die Moscheen mit allem, was dazu gehört, im Hinterhof zu lassen. Das hat sich glücklicherweise geändert. Gerade in Zeiten von Pegida ist es notwendig zu zeigen, dass wir keine Angst vor anderen Religionen haben. Dass es keine Berührungsängste mehr geben muss, nur weil wir selbst nicht mit dem Islam – auch ich nicht – bis ins Letzte vertraut sind.

Die Imame müssen unabhängig vom türkischen Staat sein

Deshalb haben wir auch in Deutschland in den letzten Jahren einige Strukturen geändert. In Tübingen gibt es seit 2012 das Zentrum für Islamische Theologie, wo die ersten Absolventen im Jahr 2016 ihre Prüfungen ablegen werden. Es ist nicht mehr notwendig, dass die Imame in der Türkei ausgebildet werden. Es ist besser, wenn die Imame aus der deutschen Gesellschaft kommen. Es ist besser, wenn sie hier aufgewachsen sind und Verständnis für die hiesige Gesellschaft haben.

So wie die Moscheen aus den Hinterhöfen herauskommen müssen, muss auch der Religionsunterricht aus diesem Schatten heraus. Die Lehrer und Imame müssen deshalb ausschließlich nach unseren bundesdeutschen Standards ausgebildet sein, sie müssen unabhängig vom türkischen Staat sein. Selbstverständlich muss der Islamunterricht in deutscher Sprache stattfinden.

Der Islamunterricht ist in Baden-Württemberg noch ein Modellprojekt. Hier müssen wir weitermachen und es so schnell wie möglich in die Fläche und auf alle Schularten ausbreiten. In diesem Zusammenhang ist es aber auch wichtig, dass Schüler muslimischen Glaubens am Schulgeschehen teilnehmen. Meiner Meinung nach ist es falsch verstandene Toleranz, wenn muslimischen Eltern zugestanden wird, ihre Kinder aufgrund ihrer Religion vom Schwimm- und Sportunterricht, vom Biologieunterricht und vom Ethikunterricht befreien zu lassen. Die Schulpflicht gilt für alle, also auch für die muslimischen Schülerinnen und Schüler. Wir haben zwar in Deutschland eine Religionsfreiheit, aber das Wohl des Kindes ist meiner Ansicht nach wichtiger als die Religionsfreiheit der Eltern.

Der Großteil der aus der Türkei stammenden Muslime wird in Deutschland von DiTiB vertreten. In Stuttgart hat DiTiB die Diskussion um eine repräsentative Moschee in der Stadt angestoßen. DiTiB ist die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e. V., also ein eingetragener Verein in Deutschland. DiTiB ist dem türkischen Ministerium für Religionsangelegenheiten zugeordnet, die DiTiB-Imame sind Beamte des türkischen Staates, werden durch diesen bezahlt und durch die Religionsattachees der türkischen Konsulate kontrolliert. Finanziell betrachtet ist das für Baden-Württemberg zwar günstig, aber wünschenswert ist es nicht. Denn dies schafft meiner Ansicht nach Abhängigkeit von der türkischen Regierung und deren politischen Ansichten. Zwar ist die Türkei nach eigenem Verständnis ein "laizistischer" Staat, formal entspricht die DiTiB jedoch der Struktur einer offiziellen Staatskirche.

Die deutsche Gesellschaft braucht Gegenleistungen

Wenn beispielsweise der Staatspräsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, sagt, dass die Gleichberechtigung von Mann und Frau "gegen die Natur" sei, frage ich mich, wie verbeamtete Imame, die finanziell von der türkischen Regierung abhängig sind und nach Deutschland entsandt werden, diese politischen Ansichten mit den Werten unserer Gesellschaft in Einklang bringen wollen. Diese und ähnliche Fragestellungen müssen wir im Zusammenhang mit dem Bau einer repräsentativen Moschee mit den DiTiB-Vertretern diskutieren.

Baden-Württemberg profitiert seit Jahrzehnten von seiner vielfältigen und pluralistischen Gesellschaft. Dazu gehört der große islamische Bevölkerungsanteil, der die christlichen Traditionen nicht gefährdet. Weihnachtsmärkte bleiben Weihnachtsmärkte, und es muss auch nicht jeder muslimische Feiertag begangen werden. Es ist gut, dass wir in Baden-Württemberg auch schon vor Grün-Rot gemeinsames Fastenbrechen im Neuen Schloss gefeiert haben. Es ist eine Bereicherung und keine Einschränkung, dass sich unsere Gesellschaft verändert hat und mit ihr die weltlichen und religiösen Traditionen.

Deshalb unterstütze ich den Wunsch nach einer repräsentativen Moschee mitten in der Stadt, aber die muslimische Seite muss ihre Strukturen offenlegen. Es muss deutlich werden, wer durch wen vertreten wird. Das Bekenntnis zum Grundgesetz ist selbstverständlich, notwendig ist aber auch ein klares Bekenntnis zur Gleichberechtigung der Geschlechter. Dazu gehört auch, sich von den Äußerungen eines Staatspräsidenten zu distanzieren, wenn die Gleichberechtigung der Geschlechter in Frage gestellt wird.

Eine repräsentative Moschee muss offen sein für die gesamte Stadtgesellschaft. Vor allem sollte sie Muslimen aller Richtungen (Sunniten, Schiiten, Ahmadiyya ...) und Ethnien die Möglichkeit bieten, ihre Religion dort auszuüben. Schön wäre es, wenn aus dieser Moschee eine echte Begegnungsstätte werden würde, die niemanden ausgrenzt.

Die deutsche Gesellschaft muss sich trauen, verbindliche Gegenleistungen einzufordern. Toleranz und Akzeptanz einer repräsentativen Moschee durch die deutsche Gesellschaft bedingen auf der Gegenseite ebenfalls klare Bekenntnisse.

 

Muhterem Aras, geboren 1966 in einem anatolischen Dorf, kam 1978 mit ihren Eltern nach Filderstadt. Die Steuerberaterin ist die erste Muslima im Landtag von Baden-Württemberg und grüne Stimmenkönigin in Stuttgart.


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12 Kommentare verfügbar

  • Peter Schey
    am 02.03.2015
    Antworten
    Lieber Schwabe,

    ich pflichte Ihnen bei. Erst verstand ich Ihren Kommentar nicht, weil ich die Diskussion eben auch als überflüssig empfinde, denn die Menschen sind hier. Nun verstehe ich, was Sie ausdrücken wollen ! Danke.
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