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Stuttgart verdeckt im Fokus

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Nach Berlin und Hamburg soll auch Stuttgart zu einem Zentrum der Scientology-Organisation (SO) in Deutschland werden. Hiesige Scientologen bleiben dabei außen vor: Die Expansion erfolgt verdeckt von Israel aus. Der Aufbau der Niederlassung stockt jedoch wegen unerwarteter Personalprobleme: Der israelische Mittelsmann sitzt in Tel Aviv wegen Mordverschwörung und anderer Kapitalverbrechen hinter Gittern.

Das bekannteste Scientologen-Gesicht gehört Tom Cruise. Doch so sympathisch wie den amerikanischen Schauspieler stufen Staatsschützer die öffentlich als Kirche auftretende Organisation nicht ein. "Die Scientology-Organisation strebt unter dem Begriff 'neue Zivilisation' eine gesellschaftlich-politische Ordnung an, die einem totalitären System entspricht", warnt der baden-württembergische Verfassungsschutz in seinem jüngsten Jahresbericht. Weil darin elementare Grundrechte wie Menschenwürde, Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit sowie Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip massiv eingeschränkt oder gar ganz außer Kraft gesetzt wären, steht die 1954 in den USA von L. Ron Hubbard gegründete Organisation seit 1997 im Visier der deutschen Behörden.

Derzeit zählt die Organisation zwischen 3000 und 4000 Mitglieder bundesweit, davon rund 900 in Baden-Württemberg. Die Deutschlandzentrale ist in Berlin angesiedelt. Nach Erkenntnissen der Verfassungsschützer hat Scientology in der Region Stuttgart einen ihrer Schwerpunkte und das dichteste Netzwerk. In der Landeshauptstadt plant sie seit Langem eine neue Repräsentanz. Diese Niederlassung soll zum größten SO-Zentrum Deutschlands ausgebaut werden. "Stuttgart ist als Zentrum einer wirtschaftsstarken Region für Scientology interessant", heißt es beim Verfassungsschutz. Im mittleren Neckarraum hoffe die SO leichter Zugang zu führenden Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu finden. Zudem verspreche man sich hier noch größere finanzielle Zuwendungen als bislang. Die bestehende Stuttgarter SO-Dependance, derzeit untergebracht in einem Hinterhofgebäude im Stadtbezirk Bad Cannstatt, soll jährlich eine Million Euro Spenden von ihren Mitgliedern vereinnahmen.

Der Wunschstandort liegt repräsentativ und verkehrsgünstig

Der Grundstein für eine "Ideale Org", wie größere Scientology-"Gemeindezentren" im internen Sprachgebrauch heißen, ist bereits gelegt: Im Dezember 2010 erwarb die SO für acht Millionen Euro ein Geschäftsgebäude am Rande des neuen Stuttgarter Europaviertels. Der Standort der Immobilie an der Heilbronner Straße 67 gilt als herausragend repräsentativ. Täglich passieren Zehntausende Autofahrer die benachbarte Kreuzung, im Herbst dieses Jahres soll schräg gegenüber mit dem "Milaneo" eines der größten Einkaufzentren Europas eröffnen. Für die Lage interessierte sich zuletzt auch ein potenter Wirtschaftsverband. Die Arbeitgeberorganisation Südwestmetall erwarb in 2013 das angrenzende Areal, um dort nach früheren Angaben bis Ende 2016 seine neue Zentrale zu errichten. Wenige Meter weiter hat die Handwerkskammer der Region Stuttgart ihren Hauptsitz. Beide Organisationen ahnten offenbar bis vor kurzem nicht, wer sich in ihrer Nachbarschaft niederlassen will. 

Denn der Deal erfolgte laut Verfassungsschutz wie beim Aufbau der Repräsentanzen der "Church of Scientology" in Berlin und Hamburg verdeckt über Mittelmänner. Als Käufer trat das israelische Unternehmen "G. Stuttgart Properties Ltd." aus Tel Aviv auf. Zum Zeitpunkt der Grundbucheintragung wurde ein Rechtsanwalt namens Gur Finkelstein als Inhaber in den israelischen Firmenregistern geführt. Unternehmen und Anwalt residierten damals unter ein und derselben Postadresse in der zweitgrößten Stadt Israels in der Mosinzon Street 2. Finkelstein bemühte sich nach Kontext-Informationen nicht selbst ins Stuttgarter Grundbuchamt. Die Kaufabwicklung erfolgte über ein deutsches Maklerbüro.

Die Spur führt zu einer "G. Stuttgart Properties Ltd."

Laut Firmenregister betätigt sich die "G. Stuttgart Properties Ltd." in nicht näher definierten Geschäftsfeldern ("in any legal business"). Finkelstein gilt in Israel nicht nur als Persönlichkeit mit intensiven Verbindungen zur internationalen SO — sondern inzwischen auch als Schwerverbrecher. So erwarb er als Treuhänder des SIRT (Scientology International Reserves Trust) im September 2010 das historische Al-Hambra-Kino in Tel Avivs Altstadtbezirk Jaffa. Im Auftrag des SIRT sollte er den Umbau des historischen Lichtspieltheaters zu einem Ideale-Org-Center organisieren.

Dabei ging nicht alles mit rechten Dingen zu, wie israelische Medien über Ermittlungsergebnisse der Polizei berichteten. Demnach arbeitete Finkelstein ab Oktober 2010 mit dem organisierten Verbrechen von Tel Aviv zusammen. Er beauftragte eine arabische Verbrecherbande, in dem 1936 errichteten Gebäude einen Brand zu legen. Das Motiv: Finkelstein wollte von den anschließenden Sanierungsarbeiten profitieren. Später erteilte der Anwalt der Jaffa-Gang auch reihenweise Mordaufträge. So platzierte die Gang auf seine Anweisung hin eine Bombe am Auto des früheren Direktors der Stadtplanungsbehörde von Tel Aviv, Shoteh Hovel. Daneben gab der SO-Treuhänder auch den Auftrag zu einem Mordanschlag auf den Ehemann von Finkelsteins Exfrau. Beide Attentate scheiterten. Im April 2011 verhaftete die Polizei Finkelstein. Selbst aus dem Gefängnis heraus soll Finkelstein Mordaufträge erteilt haben, wie die Tageszeitung "Haaretz" berichtete. Abschließend verurteilt wurde der Anwalt schließlich wegen mehrfachen Mordversuchs und anderer Kapitalverbrechen im Juni 2014.

Kurz vor dem endgültigen Richterspruch wechselte Finkelsteins "G. Stuttgart Properties Ltd." den Besitzer. Im April 2014 wurde sie von der "R. Akiva Trust Holdings Ltd." mit Sitz in Jerusalem übernommen. Dieses Unternehmen gehört wiederum einer großen Anwaltskanzlei namens Yehuda Raveh Associates. Beide residieren unter der gleichen Postadresse in der Rabbi Akiva 1 in Israels Hauptstadt. Der Besitzerwechsel kommt für Insider nicht von ungefähr. Yehuda Raveh gilt in Israel als Haus-und-Hof-Anwalt des SIRT. Bei Prozessen gegen Finkelstein vertrat dessen Kanzlei die Interessen des Trusts. Die kriminellen Aktivitäten ihres Treuhänders bremsten die Pläne der internationalen Scientology-Organisation zumindest in Israel nur vorübergehend aus. Im August 2012 ging die israelische SO-Niederlassung in Jaffa im renovierten Al-Hambra-Kino in Betrieb. Zur feierlichen Eröffnung kamen rund 1000 Gäste.

Kaum voran ging es dagegen mit dem Aufbau der Idealen Org in Stuttgart in der Heilbronner Straße 67. Im vergangenen Herbst räumte der bisherige Hauptmieter, ein Motorradzubehörhandel, die Ladenetage im Erdgeschoss. Seitdem steht das Gebäude leer. "Derzeit sind dort keine Aktivitäten zu verzeichnen", teilen die Staatsschützer mit. Was der neue Besitzer derzeit mit dem Gebäude plant, bleibt weiter unklar. Der Nachbar, der Arbeitgeberverband Südwestmetall, hat offenbar Interesse an der Immobilie, um sein eigenes Grundstücksareal zu arrondieren. Dem Vernehmen nach blieben Kontaktversuche mit dem israelischen Besitzer ergebnislos. Vielleicht auch, weil die lokale Scientology-Basis in Stuttgart seit rund zehn Jahren hart für ein neues repräsentatives Domizil arbeitet. Für das Projekt sollen SO-Funktionäre zum Teil mit rüden Methoden bis zu acht Millionen Euro bei der örtlichen Anhängerschaft eingetrieben haben, sagt der Verfassungsschutz.

Ein Kommando von "Sea Org" kommt nach Stuttgart

Im vergangenen Jahr forcierte das internationale SO-Management seine Pläne zur Etablierung der Idealen Org und entsandte hierfür ein Kommando der Kaderorganisation Sea Org nach Stuttgart, so die behördlichen Erkenntnisse. Die hiesigen Scientologen sollen unter hohem Druck gestanden haben, die internen Vorgaben zu erfüllen. Dazu gehörte, mit 150 Mitarbeitern einen Zweischichtbetrieb in der Stuttgarter Niederlassung einzuführen. Nur durch Anwerbungen von Jugendlichen und Rentnern an der hiesigen SO-Basis gelang es, den Mitarbeiterstab in Stuttgart auf etwa 130 Personen aufzustocken. Häufiger als zuvor traten die hiesigen Scientologen im vergangenen Jahr öffentlich in Stuttgart auf; die Straßenwerbung auf der Einkaufsmeile Königstraße wurde intensiviert, registrierten Beobachter.

Derzeit gebe es aber keine engeren Verbindungen des internationalen SO-Managements nach Stuttgart, sagt der baden-württembergische Verfassungsschutz. "Kontakte zu hiesigen Scientologen sind nicht gewollt", so ein Behördensprecher. Auf jüngste Medienanfragen zum geplanten Stuttgarter Zentrum hatte sich auch der SO-Sprecher in Baden-Württemberg, Hubert Kech, ahnungslos gegeben. Alle Angaben zu dem Thema seien gebetsmühlenhaft wiederholte Spekulationen des Verfassungsschutzes, behauptete Kech gegenüber den "Stuttgarter Nachrichten". Vor vier Jahren hatte der Sprecher jedoch noch selbst angekündigt, die Cannstatter Hinterhofidylle auf absehbare Zeit gegen eine vorzeigbare Repräsentanz tauschen zu wollen. "Wir haben das Ziel, in Stuttgart ein repräsentatives Gemeindezentrum aufzubauen", sagte Kech im Juni 2010 der "Stuttgarter Zeitung".

Bei der Stadt Stuttgart reagiert man zurückhaltend auf Hinweise, möglicherweise zur bundesdeutschen SO-Hauptstadt zu werden. "Die Planungen von Scientology kennen wir nicht. Zu privaten Immobiliengeschäften können wir uns nicht äußern", sagt Sprecher Sven Matis. Eine Handhabe gegen die Expansionspläne habe die Stadtverwaltung nicht.

Deutlicher Stellung nimmt der Verfassungsschutz. "Die Eröffnung einer neuen Repräsentanz in Stuttgart würde in der SO-Basis zunächst eine Aufbruchstimmung erzeugen", erwartet die Behörde. Ein neues Zentrum allein sei aber nicht geeignet, die Probleme zu lösen, mit denen die Organisation derzeit kämpft. "Scientology befindet sich international seit mehreren Jahren in einer Krise", heißt es im Verfassungsschutzbericht. Sowohl bei den Einnahmen als auch bei den Mitgliederzahlen ergebe sich das Bild eines schleichenden Rückgangs.

Scientology kämpft gegen Mitgliederschwund

Wegen der anhaltend kritischen Öffentlichkeit habe die Organisation nicht nur in Baden-Württemberg mittlerweile große Probleme bei der Mitgliederwerbung. Die offensive Informationspolitik staatlicher und privater Stellen zeige inzwischen Wirkung.

"Neugeworbene kann Scientology oft nicht langfristig an sich binden", so die Behörde. Diese Entwicklung hängt nicht zuletzt mit der stetig wachsenden Bedeutung des Internets zusammen. Weltweit verbreiten sich ungefiltert täglich mehr SO-kritische Informationen. Was das das Scientology-Management offenbar zunehmend beunruhigt. 2013 soll es einen Suchmaschinenbetreiber gedrängt haben, entsprechende Suchergebnisse im weltweiten Datennetz zu manipulieren. Der Vorstoß blieb jedoch erfolglos. Die SO bestritt die Berichte.

Nicht verneinen kann die Organisation, dass zuletzt immer mehr Prominente der "Kirche" aus Clearwater, Florida den Rücken kehren. Im vergangenen Jahr stieg die amerikanische Schauspielerin Leah Remini, bekannt als Carrie Heffernan aus der Sitcom "King of Queens", aus. Kurz zuvor hatte eine Buchpublikation für Aufsehen gesorgt. Im Frühjahr 2013 erschien in den USA "Beyond Belief: My Secret Life Inside Scientology and My Harrowing Escape." Autorin Jenna Miscavige Hill war nicht nur Mitglied der Sea Org, des elitären Scientology-Ordens. Sie ist auch die Nichte des aktuellen Scientology-Chefs David Miscavige.


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29 Kommentare verfügbar

  • Freiheitsliebe57
    am 17.08.2014
    Antworten
    Lieber Sokrates,

    jede Religion hat ein Recht auf ein eigenes Gebäude - völlig richtig. Nur ist es eben so, dass Scientology keine Religion ist. Welche Religion

    braucht einen Geheimdienst, der Kritiker und Aussteiger verfolgt, ausspioniert und tyrannisiert und nennt so etwas dann auch noch…
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