Mit dem eigenen Pessimismus richtig zu liegen, ist eine zweischneidige Angelegenheit. Einerseits ist da die große Genugtuung, es ja die ganze Zeit gesagt zu haben. Aber das ist meist keine vollwertige Kompensation für die Tragödie, die man hat kommen sehen. Wir in der Redaktion würden uns zum Beispiel wirklich einen funktionstüchtigen Bahnhof in Baden-Württembergs Landeshauptstadt wünschen – auch um den Preis, dass sich die Skepsis gegenüber Stuttgart 21 als völlig unberechtigt herausgestellt hätte. Aber die Schlagzeile der vergangenen Woche, wonach eine Inbetriebnahme bis Ende 2026 doch nichts wird, hat hier nicht gerade Erstaunen ausgelöst. Als Kontext vor drei Jahren Geburtstag gefeiert hat, zeichnete im Rahmen eines Karikaturen-Workshops Paul Wiesinger, seinerzeit Student, ein Bild, das wir gerne noch einmal aus dem Archiv holen: Es zeigt den Schriftzug Stuttgart 21 mit mehreren Korrekturzahlen überklebt, zuletzt mit einer 44.
Sie sehen also: Die Auseinandersetzung mit dem Stuttgarter Bahnhofsloch ist nicht nur pädagogisch wertvoll, sondern auch künstlerisch interessant. Seiner Zeit weit voraus war jedenfalls der Schriftsteller und Dramatiker Yüksel Pazarkaya. "Hier ist der Abgrund. Die Schienen liegen tief im Abgrund", heißt es in seinem Stück "Ohne Bahnhof" – das bereits 1967 in Stuttgart uraufgeführt wurde. Um ein Haar wäre dieses erste deutsche Bühnenstück aus türkischer Feder in Vergessenheit geraten. Fast 60 Jahre später soll es nun wieder aufgeführt werden, berichtet Kontext-Autor Dietrich Heißenbüttel.
Dass wir als Redaktion womöglich schon ein übersinnliches Gespür dafür entwickelt haben, wann es beim Milliardengrab S 21 neue Hiobsbotschaften gibt, zeigt das lange eingeplante Motiv unserer Spendenkampagne: Der mehrfach preisgekrönte Journalist und Kontext-Autor Hermann G. Abmayr steht mit Bauhelm und Schaufel Modell, um für "Stuttgarts erfolgreiche Baustelle" – also uns – zu werben. Um die prophetische Fertigkeit der Redaktion ganz offiziell auf den Prüfstand zu stellen, wagen wir einen Blick in die Glaskugel: Demnach wäre die nächste Bekanntgabe einer weiteren Kostensteigerung im kommenden Frühjahr überfällig, vielleicht bei der Bilanzpressekonferenz der Bahn am 26. März, kurz nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg. "Bei weniger als 14 Milliarden Euro wäre ich enttäuscht", sagt Redakteur Oliver Stenzel, der sich seit vielen, vielen Jahren mit der Kostenentwicklung auseinandersetzt.
Bereits ein Bruchteil von 14 Milliarden Euro würde ausreichen, damit Kontext einen entscheidenden Schritt weiterkommt. Unsere vorherige Spendenkampagne lief jedenfalls erfreulich gut und hat das Projekt "Recherche gegen Rechts" ermöglicht: Seit Ausgabe 762 veröffentlichen wir wöchentlich Artikel über die AfD und ihr Umfeld, aktuell mit einem Blick in die Lausitz, wo der Lokaljournalist Andreas Kirschke seit über zwanzig Jahren aus der Kommunalpolitik berichtet – und feststellt, dass die Brandmauer in den Stadt- und Gemeinderäten längst gefallen ist. Alle Veröffentlichungen aus dem Rechercheprojekt sind ab jetzt auf einer eigenen Seite nachzulesen.
Kirschke berichtet auch, wie der Braunkohleausstieg in der Lausitz von gewaltigen Investitionen in einen Strukturwandel begleitet wird, damit der Abschied von einem fossilen Wirtschaftszweig nicht im komplett chaotischen Desaster endet. Vielleicht lohnt sich auch für das bislang strukturstarke Stuttgart ein Blick gen Osten. Denn nach wegbrechenden Gewerbesteuereinnahmen ist die Haushaltslage angespannt, "die Stadt ist mehr oder minder pleite", sagt etwa die grüne Stadträtin Petra Rühle. Und einst sozial verantwortliche Unternehmen wie Bosch beteiligen sich an den gegenwärtigen Entlassungswellen in der Region, was gerade in Waiblingen viele auf die Straße trieb.
Rechtswidrige Hausdurchsuchung bei RDL-Redakteur
Mehrfach hat Kontext über die Hausdurchsuchungen im Umfeld des Freiburger Senders "Radio Dreyeckland" (RDL) berichtet. Bei dessen Redakteur Fabian Kienert, der auch für Kontext schreibt, drangen im Januar 2023 frühmorgens bewaffnete Polizisten in die Wohnung und beschlagnahmten Arbeitsmaterialien, weil die Staatsanwaltschaft ihm unterstellte, durch die Verlinkung einer Archivseite der verbotenen Plattform "linksunten.indymedia" eine kriminelle Vereinigung unterstützt zu haben. Das Bundesverfassungsgericht hat nun vergangene Woche in erfreulicher Klarheit dargelegt, wie rechtswidrig die Razzia war, zumal es schon an tatsächlichen Anhaltspunkten für ein strafwürdiges Verhalten fehle. Die Fachportale "LTO" und "Übermedien" berichten ausführlich über die Hintergründe.




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