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Völkerrecht, Schmölkerrecht

Völkerrecht, Schmölkerrecht
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Wenn's in der journalistischen Ausbildung irgendwann an die Textform des Interviews geht, wird früher oder später diese eherne Regel kommen: Suggestivfragen vermeiden! Also Fragen, die den Befragten eine Antwortvariante auf dem Silbertablett servieren. Insofern ist das Interview, das ZDF-Hauptstadtstudioleiterin Diana Zimmermann mit Bundeskanzler Friedrich Merz am Rande des G7-Gipfels führte, ein Paradefall für künftige Lehrbücher. Zimmermann fragt: "Ist das nicht sehr verlockend, dass die Israelis jetzt die Drecksarbeit machen für ein Regime, das sehr viele in der Welt als einen wirklich großen Störfaktor wahrnehmen?" Und Merz antwortet: "Frau Zimmermann, ich bin Ihnen dankbar für den Begriff 'Drecksarbeit'. Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle." Hier nachzuschauen, ab Minute 3:21.

In den sorgfältigeren Beiträgen der schwer überschaubaren Resonanz darauf war diese Abfolge zwar erwähnt, wenn auch meist mit der Formulierung, Merz habe sich den Begriff zu eigen gemacht. Das ist auch nicht falsch, der Kanzler hätte sich auch von ihm oder der mit ihm konnotierten Bewertung der israelischen Angriffe distanzieren können. Hat er nicht. Vielleicht hätte er sich mehr gewunden oder vielleicht etwas sinngemäß Gleiches mit anderen Worten gesagt. Aber serviert hat ihm seinen historischen Satz eine Journalistin.

Nun ist das alles vermutlich Erbsenzählerei angesichts der Tatsache, dass Merz mit seiner Aussage mal schnell das Völkerrecht als eh wurscht, völlig Banane, schnurz-, piep- oder sonstwie-egal klassifiziert. Angriffskriege jeglicher Art sind seit dem Briand-Kellogg-Pakt von 1929 verboten, einerlei, wie unsympathisch uns der Angegriffene ist. Aber ach, Völkerrecht, Schmölkerrecht. "Bei einem so großen Thema wäre ich zurückhaltend, da allzu sehr mit dem Völkerrecht zu argumentieren", sagt etwa am 19. Juni der Nahostexperte Gudio Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik im ARD-Interview (ab Minute 4:33). Immerhin sehen das nach wie vor viele Völkerrechtler anders. Wie wenig die Angriffe auf den Iran einen immer wieder beschworenen Regimewechsel bewirken, hat der Schriftsteller Navid Kermani in einem bemerkenswerten Essay in der "Süddeutschen Zeitung" am vergangenen Samstag klargemacht – und darin den Satz formuliert: "Wer Respekt vor der Drecksarbeit hat, Bomben auf Zivilisten abzuwerfen, ist selbst ein Dreckskerl."

Eisenbahngesetz: Änderung der Änderung

Zweifellos besser als Recht zu missachten ist es, Recht auf demokratischem Wege zu verändern. Wobei da natürlich auch nicht gesagt ist, dass was Gescheites rauskommt. So will die Bundesregierung eine Änderung des Paragrafen 23 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes rückgängig machen, der bei allen Stuttgart-21-Fans zu großem Wehklagen geführt hatte: Denn die Änderung hätte es enorm erschwert, Gleisflächen zu entwidmen und mit neuen Immobilien vollzupflastern (Kontext berichtete). Am Donnerstag, 26. Juni soll der Bundestag über den Antrag der schwarz-roten Regierung abstimmen, ohne vorhergehende Anhörung von Sachverständigen, wie das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 in einem offenen Brief kritisiert. Und deswegen die Abgeordneten dazu aufruft, nicht zuzustimmen.

Kriminalisierte Klimakleber

Rechtlich recht unübersichtlich wird es bei den Klimaaktivist:innen der Letzten Generation. Ihre früheren Blockaden beschäftigen immer noch die Gerichte. Die Aktionen bewegten sich zwar im Rahmen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit, doch in Bayern und Brandenburg wurden sie wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Da scheint strafrechtlich etwas aus dem Ruder zu laufen – weswegen die AnStifter und die Allmende Stetten gleich an zwei Tagen ein hochkarätiges Podium zusammengetrommelt haben: Über "Klimaativist:innen auf der Anklagebank" diskutieren Ex-Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD), der Journalist und Aktivist Raphael Thelen, die Rechtsanwältin Maja Beisenherz, Karl Braig von der Letzten Generation und die Menschenrechtlerin Dilnaz Alhan – am Montag, 30. Juni ab 19.30 Uhr im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart und am Dienstag, 1. Juli ab 19 Uhr in der Glockenkelter in Stetten im Remstal. Eintritt frei, Spenden erwünscht.

Podium zu Lokaljournalismus – mit Kontext

Wo der Lokaljournalismus schwindet, erhält die AfD bei Wahlen mehr Stimmen – diesen Zusammenhang zeigte unser Autor Maxim Flößer vergangenes Jahr in seiner Masterarbeit auf, deren Thesen er für Kontext zusammenfasste. Wie der Lokaljournalismus gestärkt werden könnte, um damit die Demokratie widerstandsfähiger zu machen, ist Thema einer Podiumsdiskussion der Stiftung Geißstraße am 1. Juli. Mit dabei ist neben Flößer auch Kontext-Redakteurin Gesa von Leesen, Cara Döhlemann (Regio TV) und Titus Häussermann (langjähriger Herausgeber des "Blättle Stuttgart-Süd" und "Blättle Stuttgart-West"), Sabrina Maag moderiert. Los geht es um 19 Uhr in der Geißstraße 7 in Stuttgart.

"Compact" endgültig nicht verboten

Wer etwas verbietet, sollte prüfen, mit welchem Recht: Weil Medien durch die Grundrechte der Meinungs- und Pressefreiheit bei uns einen sehr hohen Schutz genießen, verbot die damalige Bundesinnenministerin das rechtsextreme Magazin "Compact" im Juli 2024 unter Rückgriff auf das Vereinsrecht, quasi durch die Hintertür. Einen "problematischen Kunstgriff" nannte das unmittelbar nach dem Verbot Kontext-Redakteur Minh Schredle. Er sollte richtig liegen: Das Bundesverwaltungsgericht setzte das Verbot schon im August 2024 vorläufig aus und hob es vergangenen Dienstag endgültig auf. Nun lacht sich nicht nur "Compact"-Chefredakteur Jürgen Elsässer ins Fäustchen, sondern auch die AfD.

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