KONTEXT:Wochenzeitung
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Freiheit!

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Witzig, diese FDP. Sie will mehr Autos in Innenstädten, kostenloses Parken, Fahrradwege findet sie überflüssig und überhaupt: weg mit der grünen Verbotspolitik, sagt sie. Freiheit her! Richtig so. Wir lassen uns doch nicht zwingen, weniger Abgase einzuatmen, auf der Straße mit den Nachbar:innen herumzuhocken, womöglich noch mit 'ner veganen Wurst! Und was wäre nur in diesem Land los, wenn unsere Kinder sicher zur Schule laufen könnten. Nein! Kinder müssen mit dem SUV vors Schultor gefahren werden. Geschäfte müssen vor der Tür Parkplätze haben, und zwar für umsonst. Noch besser: weg mit Parkplätzen, parken muss überall erlaubt sein. Fahrradparkhäuser, falls irgendeine woke Kommune so etwas schon gebaut hat, gehören plattgemacht. Und Fußgängerzonen sind Quatsch von gestern. Rein mit den Autos in die Stuttgarter Königstraße, in die Heidelberger Hauptstraße, in die Konstanzer Niederburg. 

Bis vor anderthalb Jahren logierte die Kontext-Redaktion an der Hauptstätter Straße am Stuttgarter Cityring, da wo er sechsspurig ist. Und wie haben wir uns immer gefreut, wenn wir das Fenster öffneten, zwar nicht mehr telefonieren konnten, aber das Rauschen der Motoren und der Anblick der weiß-schwarz-grauen Blechschlangen ließen unsere Herzen höher schlagen. Weil wir wussten: Hier wird die Freiheit noch gelebt. Und ach, wie sehr sehnen wir uns die 1970er-Jahre zurück, in denen der Marktplatz vor dem Stuttgarter Rathaus noch ein Parkplatz war. 

Mehr Freiheit hatten früher doch auch die Frauen, als sie noch daheim bleiben durften. Jedenfalls in Westdeutschland, besonders im Südwesten. Wer lässt sich schon gerne die Freiheit nehmen, die Kinder selber zu erziehen? Die im Osten mögen das so machen, aber hier, im wohlsituierten Baden-Württemberg, da brauchen wir das nicht. So sieht jedenfalls seit Jahrzehnten die Schulpolitik hier aus, schreibt unsere Autorin. Und weil die verschiedenen Landesregierungen nichts für die Ganztagsgrundschulen getan haben, hinkt Baden-Württemberg sowas von hinterher, dass es eine Freiheitsfreude ist – für traditionsbewusste Männer allemal. 

Mit der Freiheit haben es auch die Unternehmer. Derzeit läuft das Vorgeplänkel zwischen IG Metall und Südwestmetall, weil im Herbst die nächste Tarifrunde ansteht. Und da sagt Harald Marquardt, der stellvertretende Chef vom Arbeitgeberverband Südwestmetall, in einem Interview mit der "Stuttgarter Zeitung" nicht nur das Übliche im Sinne von "Lohnerhöhung? Geht gar nicht". Er sagt auch: "Wir möchten Gewerkschaftspolitik generell aus dem Unternehmen heraushalten." Da betont die IG Metall nun so oft die gelebte Sozialpartnerschaft zwischen Gewerkschaft und Arbeitgebern und nun dieser Undank. Aber klar: Die Unternehmer wollen frei sein von Rechten und Forderungen der Beschäftigten. Ganz früher mussten sie sich ja auch nicht mit sowas auseinandersetzen.

Rollbacks also allerorten, womit die FDP auf der Höhe der Zeit ist. Vielleicht nur ein wenig langsam. Schon im Mai 2023 hatte das Satiremagazin "Postillon" die Vorlage für das jetzige Auto-Freiheits-Papier gegeben. "Modellprojekt: FDP plant erste menschenfreie Innenstadt", hieß es da. Warum es so lange gedauert hat, bis jetzt FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und der brandenburgische FDP-Chef Zyon Braun die Idee für ihren Fünf-Punkte-Plan für mehr Autos in Innenstädten aufgegriffen haben, verwundert. Ach so, jetzt stehen Wahlen an. 

Sollten die Liberalen tatsächlich glauben, dass sie mit dem Pro-Auto-Plan in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt noch ein paar Wähler:innen auf ihre Seite ziehen, wirkt das fast erbarmungswürdig. Einen Erfolg aber haben sie. Alle schreiben, posten, senden irgendwas über den Unsinn. Es finden sich allerdings kaum Fürsprecher. Die CDU distanziert sich, ebenso die kommunalen Spitzenverbände und die Koalitionspartner SPD und Grüne – nicht mal der ADAC ist dafür. Blöd. Und so dürfen wir gespannt sein, was die lustigen Liberalen sich noch so ausdenken vor den kommenden Wahlen. 

Friedensveranstaltung sehen und hören

Die Kontext-Veranstaltung "Aufbruch zum Frieden" am 22. Juli im Merlin ist nun online. Wer nachhören und -sehen möchte, was der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann, der Leiter der Reutlinger Volkshochschule Ulrich Bausch, die Theologin Susanne Büttner und der Friedensforscher Thomas Nielebock mit Moderator Stefan Siller in puncto Ukrainekrieg und Pazifismus gesprochen haben, kann reinklicken. Hier geht's zur Audioaufzeichnung und hier zur Videoaufzeichnung.

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1 Kommentar verfügbar

  • Arnold Weible
    am 16.08.2024
    Antworten
    Also ich finde diesen Plan mehr Autos in die Innenstadt zu bringen exzellent. Denn dieser Plan befreit uns womöglich tatsächlich. – Von der FDP für vier Jahre.
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