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Kein bisschen Frieden

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"Krieg ist nichts Zwangsläufiges. Er ist das Ergebnis schlechter wirtschaftlicher und politischer Entscheidungen, die auf Aberglauben und Ignoranz beruhen", schreibt Yurii Sheliazhenko, ukrainischer Pazifist per Mail. Er sitzt in Kiew im Krieg und organisiert Solidarität für Kriegsdienstverweigerer, die vor Gericht gestellt und verurteilt werden. Die Menschheit habe Sklaverei und Kannibalismus überwunden, warum nicht irgendwann auch Krieg?

Er schickt einen Link zur Idee des Christmas Appeal, eines Weihnachtsfriedens für die Ukraine von 25. Dezember bis 7. Januar, um auch russisch-orthodoxe Weihnachten miteinzubeziehen. Alle Seiten könnten so das Gesicht wahren, schreibt Sheliazhenko. "Wir wenden uns an die Regierungen der Kriegsparteien: Lasst die Waffen schweigen. Schenkt den Menschen einen Moment des Friedens und öffnet den Weg zu Verhandlungen", heißt es im Aufruf.

Passieren wird das nicht. Waffenruhe stehe nicht auf der Agenda, lässt Russlands Präsident Wladimir Putin erklären. Der ukrainische General Oleksii Hromow will auch keine. Lettlands Ministerpräsident Krisjanis Karins warnt, Waffenruhe würde den Russen derzeit Vorteile verschaffen, Großbritanniens Premier Rishi Sunak ebenfalls. Irgendeine Zeitung aus Tschechien hat Waffenruhe an Weihnachten, Beispiel Erster Weltkrieg, gerade zum "publizistischen Kitsch" erklärt. Ob die ausgebombte, frierende ukrainische Oma Waffenstillstand auch kitschig findet?

Der Friedensbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Friedrich Kramer, hatte sich kürzlich zum Thema aus dem Fenster gelehnt. Die Weltgemeinschaft müsse klarer für eine Waffenruhe eintreten, meint er. Kramer hatte sich bereits gegen Waffenlieferungen ausgesprochen und dafür viel Schelte kassiert. Die evangelische Kirche wird nun ihre friedensethischen Positionen überdenken. Es mag naiv klingen: Ob es sich nicht lohnen würde, auch die Kriegslogik zu überdenken, die die Welt derzeit im Griff hat?

In einer jüngst erschienenen Studie hat die Otto-Brenner-Stiftung 4.300 Beiträge deutscher Leitmedien zwischen Ende Februar und Ende Mai 2022 untersucht. Schon damals bewerteten nur 43 Prozent der untersuchten Artikel Verhandlungen als sinnvoll. "Insgesamt wurden Waffenlieferungen aber in allen untersuchten Medien mehrheitlich als sinnvoll eingeschätzt", heißt es in der Studie. Positiver als Waffenlieferungen, die Ukraine und ihr Präsident Wolodymyr Selenskyj kam laut Studie nur eine weg: die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, die – nebenbei – auch keine Waffenruhe will, vor allem nicht zu russischen Bedingungen. Trotz oder wegen dieser Position ist Baerbock derzeit Deutschlands beliebteste Politikerin.

Für den Stuttgarter Flüchtlingsaktivisten Rex Osa kommt Baerbock nicht so gut weg, ihre Politik sei "selbstgefällig". Osa ist gerade in Nigeria, schickt ein Foto von sich neben einer Statue und eine Pressemitteilung über die Rückgabe von Raubkunst an den afrikanischen Staat. "Am gleichen Tag, an dem Deutschland die gestohlenen Bronze-Figuren an Nigeria zurückgibt, findet eine Sammelabschiebung aus Deutschland nach Nigeria statt." Osa nennt das "Doppelmoral".

Auch bei Mariette Nicole Afi Amoussou, Leiterin der Black Academy, löst die Rückgabe kolonialer Objekte nicht nur Begeisterung aus. Im Kontext-Interview sagt sie, entscheidender als die Frage, ob die Objekte zurückgegeben werden, sei die damit verbundene Aufklärungsarbeit. "Erst vor zehn Jahren hat man sich geeinigt, menschliche Überreste zurückzugeben (...). Das ist für eine sogenannte zivilisierte Gesellschaft total peinlich. Ich hoffe, dass wir uns in zehn Jahren schämen für die Diskurse, die wir heute führen."

Ja, da gäbe es so manche Diskurse. Seien wir gespannt auf die Rückblicke im Jahr 2032. Bis dahin: frohe Weihnachten! Ohne Frieden.


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6 Kommentare verfügbar

  • bedellus
    am 23.12.2022
    Antworten
    jedenfalls wird nichts besser, wenn man streitenden zu ihren knueppeln auch noch messer liefert. geschenkt oder geleast...

    primares ziel muss sofortiger waffenstillstand sein! es reicht!
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