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Trümmer

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Hallo, ist noch etwas ganz geblieben? Nun, die saugfähigen (Kaffee!) und mit ihrer sanft schmirgeligen Oberfläche nicht sonderlich ärmelschonenden Pressspan-Tische in der Kontext-Redaktion sind es noch, obwohl sie der Druckwelle einer detonierenden Iskander-Rakete wohl nicht standhalten würden … verdammt, schon wieder hat sich so eine sprachliche Militarisierung eingeschlichen. Womit wir beim Problem sind. Es scheint gerade alles in Trümmern zu liegen. In der Ukraine, natürlich, ganz real ganze Städte, woanders die bisherigen Überzeugungen, Meinungen. Pazifismus, Abrüstung, Wandel durch Annährung, war das alles jetzt richtig oder total falsch? Werden wir jetzt alle, die Bundeswehr, die Gesellschaft, ordentlich wehrtüchtig gemacht, nu nehmense mal gefälligst Haltung an!, so wie die ganzen wie Atompilze aus dem Boden schießenden Militärtaktik- und -technik-Experten. Oder ist einfach "alles zum Kotzen", wie unser Kolumnist Joe Bauer resümiert. Der auch schreibt, "eine Woche nach dem russischen Angriff habe ich meine Meinung in der Neckar geworfen. Sie konnte nicht schwimmen und ist ersoffen." Gluck gluck, ruhe in Frieden.

Aber eigentlich braucht es gar nicht den Krieg, um reichlich Trümmer zu sehen. Nährte der Corona-Expertenrat der neuen Bundesregierung anfangs noch die Hoffnung, nun werde die Gesundheitspolitik etwas wissenschafts- und faktenbasierter, so hat die FDP einiges getan, um diese Hoffnung in Trümmer zu legen. Überhaupt, im In-Trümmer-Legen kennen sich die Liberalen aus. Wenn der FDP-Hammer an den Freiheitsbegriff gelegt wird, bleibt außer dem Recht auf Ignoranz und egoistische Selbstverwirklichung wenig übrig, die auf ewig und für immerdar frei von staatlichen Einflüssen zu haltenden Mechanismen des freien Marktes sind sowieso heilig. Doch selbst diese Monstranz kann in Trümmer gelegt werden, wenn die Freiheit des deutschen Autofahrers bedroht ist, dann kann man sich auch einen Tankrabatt vorstellen, von dem dann auch noch ein russischer Staatskonzern profitieren würde.

Weit weniger debattentauglich ist da ein Berufszweig, der sich um das kümmert, was angeblich unsere Zukunft ist – richtig, Kinder – und von all den unversehens sprudelnden Instant-Etats auch mal gerne ein bisschen was abhaben würde: Die ErzieherInnen. Momentan kämpfen sie mal wieder für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Geld, wir wünschen Glück und haben wenig Hoffnung.

Wo das in-Trümmer-Legen seit jeher zum Geschäftsprinzip gehört, ist bekanntlich die Bauwirtschaft. Und wie jeder weiß, zumal in der abrissfreudigen Landeshauptstadt Stuttgart, kann der gemeine schwäbische Immobilienbesitzer in spe, noch bevor er sich die Schuhe binden kann, die immerwährenden Gebote "Bauen, bauen, bauen" und "Neubau ist günstiger als Sanierung" aufsagen. Dass dieser Glaube klimapolitisch fatal ist, ist leider immer noch viel zu wenigen bewusst.

Doch halt, manchmal entsteht aus Trümmern auch etwas Schönes. Zum Beispiel Kunst. Weil ihn die Strukturen so faszinieren, macht der Stuttgarter Künstler Clemens Schneider besonders gerne Abbruchhäuser zu Objekten seiner XXL-Bilder – drei mal drei Meter messen die, das Papier dafür muss er selbst herstellen, denn solche Formate gibt es im Handel nicht. In jeder Beziehung große Kunst.


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1 Kommentar verfügbar

  • Nik
    am 23.03.2022
    Antworten
    Man sollte sich durch aktuelle politische Ereignisse und Stimmungen nicht zu sehr aus der Ruhe bringen lassen. Ansonsten macht man Fehler. Pazifismus, Abrüstung, Wandel durch Annährung: alles richtig. Vielleicht noch richtiger als sonst? Das Hochpeitschen der Kriegsbereitschaft mit Sicherheit:…
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