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Auf schmalem Grat

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Eine Politikerin mit Selbstzweifeln? Aber nicht doch! Das Wahlvolk könnte ja denken, sie sei ein Weichei. Leni Breymaier ist anders gestrickt. Sie sagt offen, dass das, was sie vorhat, ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang ist. Bekanntlich will sie Vorsitzende der maladen Landes-SPD werden. Ein anderer würde jetzt lautstark betonen, das Kind schon zu schaukeln, die Partei möge ihm nur folgen, und alles werde gut. Die 56-jährige Verdi-Chefin sagt, sie werde sich nach Kräften mühen, Scheitern inbegriffen. So viel Ehrlichkeit tut wohl.

Ja, es war ein erfrischender Abend im Stuttgarter Theaterhaus, wo der "Neue Montagskreis" (NMK), die Debattenrunde des verstorbenen Peter Conradi, neu gestartet wurde. Endlich mal kein Politikersprech, sondern eine Frau, die redet, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Sie sagt dann halt, im schwäbischen O-Ton, dass sie "im Viereck rumgschlaga" werde, dass mit der Linken noch "koi Scheißhaus gstürmt" werden könne, dass links für sie bedeutet, Politik zu machen für die "Leut, dia bloß ihre Händ zu verkaufa" hätten.

Für den professionellen Betrachter mag das ungelenk daherkommen, sofort die Frage aufwerfen, ob das funktioniert? Breymaier im Bundestag, im breiten Schwäbisch, und dann noch linke SPD. Die Häme, mit der ihre linke, hochdeutsch sprechende Genossin Hilde Mattheis überschüttet wurde, ist ihr nicht verborgen geblieben. Sie findet sie schlicht "unanschtändig".

Es wird eine Gratwanderung werden für die Eislingerin. Das Bodenständig-Aufrichtige ist das eine, der verharzte Politbetrieb das andere. Ihre ersten Erfahrungen hat sie hinter sich: das betonmäßige Beharren des SPD-Personals auf Posten und Pfründe, das (fortwährende) Problem, den Menschen glaubhaft zu erklären, was an der Partei sozialdemokratisch ist, den ersten Gegenwind für ihre Ankündigung, am Samstag unter den CETA-Demonstranten zu sein. Nicht zu vergessen, so wohlmeinende Ratschläge wie, sich coachen zu lassen, um glatter durchzukommen.

Es wird spannend werden, zu beobachten, wie lange sie diesen Kurs durchhalten kann, der ganz auf Identitätserhaltung abgestellt ist, auf Authentizität und Glaubwürdigkeit, verbunden mit klaren Botschaften: Vermögenssteuer rauf, Erbschaftssteuer rauf, Privatisierungswahn runter. Viele mögen das für naiv halten, sagt sie, aber davon will sie nicht abrücken. Dafür möchte man ihr, um im Idiom zu bleiben, SPD hin oder her, eine große "Kuttel" wünschen. Es brächte zumindest Farbe in das Grau der Politik.

Legt man die Reihe der Gratulanten im Theaterhaus zugrunde, ist sie zumindest nicht alleine. Stephan Hebel, scharfer Kritiker der SPD, wünschte ihr von Herzen viel Erfolg, Moderator Michael Zeiß schloss sich an, vom rechten Sozi Erwin Staudt gab's Glückwünsche und von Veranstalterin Petra Bewer ein Buch mit dem Titel "Heldinnen des Glücks – Sieben Geschichten vom Aufbruch". Wenigstens an diesem Abend durfte sich Leni Breymaier als achte fühlen.


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8 Kommentare verfügbar

  • marion kuster
    am 16.09.2016
    Antworten
    @Mike moris :
    Breymaiers Verdi hat ein Kampagne gegen Schelcker gefahren und danach Krokodilstrainen geweint als Schlecker über tarif gezahlt hat und daran erstickt ist, wohl auch weil verdi Schlecker zuvor massiv an den Pranger gestellt hat. Dann auf einmal sollte die Politik Schlecker retten,…
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