Chaostage bei der SPD, für die es viele Verantwortliche gibt. Noch-Parteichef Martin Schulz, der Egoshooter im Außenministerium Sigmar Gabriel, das neue Machtzentrum um Andreas Nahles und Olaf Scholz, etliche andere wie Ralf Stegner oder Manuela Schwesig. Dasselbe gilt für Jusos und Linke, für die Strippenzieher aus Seeheimern und Netzwerkern. Jeder Blick in die Zukunft, jedes Gespräch darüber, wie der Mitgliederentscheid – aus Sicht all derer, die der Republik eine Regierung wünschen – erfolgreich gestaltet werden kann, ist dominiert von desaströsen Umfragewerten. Die Baden-WürttembergerInnen können sich angesichts der Zahlen aus dem Bund ausrechnen, dass sie an der Einstelligkeit schrammen.
Mit stündlich neuen Wortmeldungen beschädigten zu viele GenossInnen ihre eigene Partei. "Die Zeit, in der Ämter im Hinterzimmer vergeben werden, muss endlich vorbei sein", verlangt Baden-Württembergs Juso-Vorsitzender Leon Hahn. Hinterzimmer? Nur zur Erinnerung: Martin Schulz wurde auf einer Klausurtagung des Vorstandes – mehr als vier Dutzend Köpfe, nominiert in ihren Landesverbänden, demokratisch legitimiert auf Bundesebene – einstimmig zum Herausforderer von Angela Merkel gewählt und wenig später mit den berühmten 100 Prozent zum Parteichef.
Auch Hilde Mattheis, die stellvertretende Landesvorsitzende der Südwest-SPD, zählt zu denen, die für eine Urwahl der Spitze plädieren. "Dass zwei, drei Leute Posten unter sich verteilen", das geht gar nicht aus ihrer Sicht. Solche Entscheidungen müssten "auf einer breiten Basis stehen". Allerdings sieht das derzeit geltende Organisationsstatut der SPD eine solche Urwahl gar nicht vor. Nicht zuletzt, weil die Erfahrungen damit alles andere als gut sind. Rudolf Scharping wurde 1993 von einer relativen Mehrheit der Mitglieder zum Parteichef gekürt und scheiterte nach nur 24 Monaten. Doch wer sich öffentlich gegen die Schimpf-und-Schande-über-alle-Choräle stellt, hat es nicht leicht.
Es wird hemmungslos gekübelt
Die Landesvorsitzende Leni Breymaier muss sich sogar vorwerfen lassen, den Rückzug des Parteivorsitzenden bedauert zu haben. Jedenfalls sind die Mehrheitsverhältnisse unter Facebook- oder anderen KommentatorInnen oder den tagtäglichen unsäglichen Straßenumfragen, in denen spürbar Ahnungslose über Politik und Politiker herziehen, bemerkenswert. Es wird hemmungslos gekübelt, gegen Personen und gegen Strukturen. Nur wenige bedächtige Stimmen mischen sich in die hitzigen Debatten. "Es fühlt sich nicht richtig an", staunt Marijana Tomin vom SPD-Ortsverein Rottenburg, "auch wenn er vielleicht den ein oder anderen Fehler gemacht hat – den Shitstorm hat er nicht verdient, deshalb danke für alles, Martin."
Zum Beispiel für die sozialdemokratische Handschrift im Koalitionsvertrag. Ausgerechnet viele von denen, die so laut nach Erneuerung rufen und damit Inhalte zu meinen vorgeben, befassen sich beim Posten und Twittern kaum oder gar nicht mit den konkreten Vereinbarungen des Koalitionsvertrags, dafür aber mit beherzter Pauschalschelte. Dabei ist der Selbsttest nicht kompliziert, niemand müsste die 177 Seiten oder 8355 Zeilen analysieren oder gar durchgerechnet haben. Denn auf nur acht Seiten im Kapitel "Eine neue Dynamik für Deutschland" ist das Wesentliche zusammengefasst, die Verbesserungen für Baden-Württembergs Städte und Gemeinden, weil die Milliardenhilfen des Bundes nicht mehr allein in finanzschwache Kommunen fließen würden, die Passagen zum wieder paritätisch finanzierten Krankenversicherungsbeitrag, zur Rente, der Entlastung von Familien, zum Beispiel weil auf Vermögen unter 100 000 Euro nicht mehr zugegriffen wird zur Finanzierung der Pflege von Angehörigen. Oder zum Rechtsanspruch auf Ganztagsschule und die scharfen Einschnitte in Kettenverträge. So schlecht ist das alles nicht.
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M. Stocker
am 18.02.2018Eine Partei, in der - ganz im Gegensatz zur Wahrnehmung der Autorin - Andrea Nahles nach Schultz' Abgang schon mal ohne jegliche Wahl zur neuen Parteivorsitzenden gekrönt wird,…