KONTEXT:Wochenzeitung
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"Natürlich ist radikale Kritik nötig"

"Natürlich ist radikale Kritik nötig"
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Die Intensität der Kritik hat Wolfgang Storz überrascht. Keineswegs wolle er mit seiner Arbeit über das Netzwerk "Querfront" eine linke Gegenöffentlichkeit wie etwa die "Nachdenkseiten" politisch denunzieren, sagt der Ex-Chefredakteur der "Frankfurter Rundschau" im Kontext-Interview.

Herr Storz, seit der Veröffentlichung Ihrer Studie haben Sie viele Titel: "Querfront"-Verschwörer, rechter Sozialdemokrat sind noch die netteren. Schwerer könnte der Vorwurf wiegen, Sie hätten die Otto-Brenner-Stiftung um ihre Glaubwürdigkeit gebracht. Hat Sie der heftige Widerspruch überrascht?

Die Intensität schon. Und die Tatsache, dass es Deutungen gibt, die schon sehr weit weg von meinem Arbeitspapier sind. Deshalb kurz: In diesem medienanalytischen Arbeitspapier werden die Angebote und zunehmenden medialen Erfolge von Akteuren – kenFM, die "compact"-Medien und der Kopp-Verlag – beschrieben und gewertet. Diese Akteure unterscheiden sich stark, jedoch eint sie auch einiges: Sie verorten sich selbst weder links noch rechts. Ihnen gelingt es, dauerhafte Angebote jenseits der klassischen Massenmedien zu etablieren, obwohl sie von denen ausgegrenzt werden. Sie gehen im Prinzip von dem Weltbild aus, bei uns herrscht keine Demokratie, es herrschen Eliten, die Medien sind nicht frei, sondern Instrumente dieser Eliten. Die Glaubwürdigkeit der renommierten und weithin angesehenen Otto-Brenner-Stiftung steht außen vor, es geht um mein Arbeitspapier. Kritik ist erwünscht, und Fehler passieren. Das Kritikpapier von Frau Schiffer vom Institut für Medienverantwortung ... 

... in der Sie Ihnen vorwirft, methodisch unsauber gearbeitet und schlampig recherchiert zu haben ... 

... das <link https: www.otto-brenner-stiftung.de otto-brenner-stiftung aktuelles querfront-karriere-eines-politisch-publizistischen-netzwerks.html external-link-new-window>steht schon seit zwei Wochen auf der Homepage der Stiftung, sodass jeder, der sich für mein Arbeitspapier interessiert, auch auf diese Kritik stößt. Und auch auf eine Richtigstellung im Zusammenhang mit einer Aussage zu weltnetz.tv. Das war ein Fehler, der sofort korrigiert wurde. Er war allerdings unbedeutend für Thema und Befunde.

Wenn es das Ziel der Studie war, Diskussion anzustoßen, dann ist das gelungen. Sie haben eine Gegenöffentlichkeit untersucht, die sich jenseits der Massenmedien etabliert hat. Sie behaupten, hier sei links und rechts nicht mehr unterscheidbar. Nun werden Sie vor allem von links der politischen Denunziation bezichtigt.

Jürgen Elsässer sagt von sich, er sei unverändert ein Linker, hält die Kategorien Links und Rechts für letztlich überholt, und Kritiker sagen über sein Magazin "compact", es sei rechtspopulistisch. Wer kommt da noch mit? Die von mir porträtierten Akteure selbst sagen, diese Kategorien sind überholt, wir verorten uns weder so noch so. Nun zu dem Vorwurf, ich denunziere. Das trifft mich sehr. Die Vorhalte, die in und von Massenmedien gegen die porträtierten Medienproduzenten vorgetragen werden – wahlweise Rechtspopulismus, Antiamerikanismus, Antisemitismus ... –, bewerte ich nicht, ich referiere sie allein aus einem Grund: Das Arbeitspapier bearbeitet die Frage, mit welchem Erfolg gelingt es den ausgewählten Akteuren, jenseits der Massenmedien, in Abgrenzung zu diesen und ausgegrenzt von diesen ihr Medienangebot zu etablieren und aufzubauen. Es ist ja viel schwerer, Medien gegen den Widerstand der Massenmedien zu etablieren. Eventuelle Erfolge müssen also in einem solchen Fall höher gewichtet werden. Die Vorhalte selbst spielen für das Thema sonst keine Rolle.

Der Vorhalt an Sie ist, Sie setzten Kritik an herrschenden Verhältnissen gleich mit Rechtspopulismus.

Nein. Das würde auch meiner 30-jährigen journalistischen und publizistischen Arbeit widersprechen. Ich analysiere ja eine Gegenöffentlichkeit, die sich nach eigenen Angaben zwischen oder oberhalb von links und rechts bewegt. Ich sichte deren Positionen, da diese ja offensichtlich der wesentliche Grund sind für die zunehmende Resonanz. Ich als politische Person wende mich dezidiert gegen diese Haltungen: Die Eliten herrschen und regieren gegen das Volk, die Medien sind unfrei und in Abhängigkeit von den Eliten. Analyse wie Haltung halte ich für falsch. Das lehrt mich: Auch als Medienkritiker muss man seine Kritik immer rückbinden an Werte. Ich halte unser Mediensystem und übrigens auch diese demokratische Grundordnung, bei aller berechtigten Kritik im Einzelnen, für im Prinzip intakt. Harte Kritik an Medien ist berechtigt, sehr viel liegt im Argen. Aber es ist doch ein großer Unterschied: Übe ich harte Kritik, um etwas zu verbessern oder um zu belegen, dass es sich bei diesem Mediensystem nur um "Lügenpresse" geht.

Halt, stopp, radikale Kritik .... 

... aber die ist doch möglich! Meine große Angst ist, dass Errungenschaften nicht geschätzt und bewahrt, sondern heruntergewirtschaftet werden, indem man sie schlechtredet.

Gesundbeten hilft aber auch nicht weiter. Wer in den klassischen Medien gearbeitet hat, kennt die Einflussnahmen von Politik und Wirtschaft. Radikale Kritik an der Medienberichterstattung etwa über Griechenland oder der Ukraine ist notwendig. Mit Ihrer Studie werfen Sie die positiven Impulse einer Gegenöffentlichkeit gleich mit über Bord.

Natürlich ist radikale Kritik nötig. Es kann sein, Frau Stiefel, dass Sie jetzt eine andere Gegenöffentlichkeit im Sinn habe. Nämlich eine klassisch linke, der Aufklärung verpflichtet, unzweideutig an bestimmte Werte angebunden, wie Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Ich habe in meinem Papier eine andere Gegenöffentlichkeit untersucht. Aber das ist eben auch Gegenöffentlichkeit. Die Akteure selbst sagen teilweise von sich, wir sind die Alternativmedien. Früher waren dies immer linke, heute ist das anders.

Beim umstrittenen Ken Jebsen kommen Menschen zu Wort wie Albrecht Müller, der Herausgeber der linken "Nachdenkseiten", oder der Schweizer Historiker Daniele Ganser. Beide mit radikaler Kritik und Ansichten, die man in den klassischen Medien weder liest noch hört. Sie geißeln undifferenzierte Kritik und pauschalieren selbst.

Meine Sichtung und inhaltliche Charakterisierung gelten doch nicht Albrecht Müller oder Herrn Ganser, sondern ausschließlich den "Machern" und Produzenten dieser Medien. Richtig ist, dass ich Ganser an einer Stelle zwar korrekt charakterisiert, aber missverständlich eingeordnet habe. Das wird korrigiert. Aber beachten Sie: Ihre Analyse stimmt hier nicht ganz. Albrecht Müller kommt mit seinen Positionen selbstverständlich in vielen Medien zu Wort. Und selbstverständlich zähle ich ihn nicht zur "Querfront". Aber auch auf den "Nachdenkseiten" ist nun eine heftige Debatte darüber entbrannt, ob es richtig war, Ken Jebsen ein Interview zu geben. Da sind Klärungsprozesse im Gange, und es ist offen, wie die ausgehen. Und Daniele Ganser, dem vorgehalten wird, er sei Verschwörungstheoretiker, hat es auch schon zu einer Sendung auf 3Sat geschafft. Aber ich greife Ihr Beispiel gerne auf: Gegenöffentlichkeiten wie die, die ich untersucht habe, sind auch deshalb so attraktiv, weil wichtige Haltungen, die zumindest nennenswerten Minderheiten in der Bevölkerung wichtig sind, in den Massenmedien gar nicht vertreten sind. Es ist deshalb überfällig, dass die Massenmedien die Bandbreite dessen, über was berichtet und debattiert wird, stark erweitern. Selbstverständlich muss ein Kritiker der offiziellen Version von 9/11 wie Herr Ganser mit seinen Argumenten Teil der Berichterstattung und der Debatte sein. Meine Hoffung ist es, dass damit auch die Attraktivität von einer Gegenöffentlichkeit wie der, die ich untersucht habe, sinkt.

Aber das hat doch System: Man stellt radikale Kritiker in die Irren- und Verschwörungsecke! Das ist ein wohl berechneter Trick, weil man sie damit nicht ernst nehmen muss und zugleich mundtot machen kann. Indem Sie eine "Querfront" annehmen, also ein Netzwerk, indem links gleich rechts ist, machen Sie dabei mit.

Nein, das tue ich nicht. Ich setze doch nicht links gleich rechts. Sondern ich habe Akteure untersucht, die selbst diese Kategorien auflösen und sagen, die sind wahlweise unwichtig oder Instrumente der Herrschenden. Dadurch wird vieles im Diffusen gehalten. Ein Beispiel, dass dies einen Punkt trifft, der nicht nur mich beschäftigt: Ken Jebsen interviewt Albrecht Müller. Aber Ken Jebsen interviewt genauso selbstverständlich Udo Ulfkotte anläßlich seines Bestsellers "Gekaufte Journalisten. Wie Politiker, Geheimdienste und Hochfinanz Deutschlands Massenmedien lenken". Das Buch erschien im Kopp-Verlag, wurde übrigens mehr als 150 000 Mal verkauft. Nun ist Ulfkotte nicht nur einer der herausragenden Erfolgsautoren des Kopp-Verlages, sondern dort auch ständiger Autor für den Online-Dienst und Chefredakteur des wöchentlichen "Kopp Exklusiv"-Hintergrunddienstes. Und er hat sich in den vergangenen Jahren unter anderem als harter Kritiker der "schleichenden Islamisierung" profiliert. Das wirft doch Probleme der Unterscheidung auf. Ich werte das nicht, ich halte das fest. Wie damit umgehen? Eine Konsequenz: Kritik immer rückbinden an Werte und Grundhaltungen.

Auch Sie rücken mit Ihrer Arbeit Kritiker wie etwa Daniele Ganser oder die "Nachdenkseiten" in die Verschwörungsecke. 

Die "Nachdenkseiten" mit ihrer wertvollen Arbeit gleich gar nicht, aber auch nicht Daniele Ganser. Ich habe die entsprechenden Vorhalte in dieser Arbeit knapp referiert, dazu zählen auch die gegen Ganser, um die Ausgrenzung zu belegen. Die spielt eine Rolle bei der Bewertung der Resonanz. Die wird ja dadurch noch bemerkenswerter. Und daraus schließe ich ja wie Sie: Die Massenmedien müssen ihre Bandbreite dringend erweitern. Natürlich sind Fragen, die Daniele Ganser aufwirft, sehr unangenehm. Aber es ist die Pflicht der Medien, mehr an Bandbreite zu bieten als das, was beispielsweise die wichtigen Parteien bieten. Natürlich im kritischen Für und Wider, wie es eben der Anspruch des Journalismus ist. Und immer mit klaren Unterscheidungen. Noch ein Beispiel: Zwei Leute sind für die Regulierung der Finanzmärkte. Der eine, weil er für mehr Demokratie ist. Der andere, weil er die Macht der jüdischen Familien brechen will. Auch das ist Aufgabe des Journalismus, das herauszuarbeiten. In Zeiten der politischen Diffusitäten wie heute mehr denn je.

Herr Storz, wer hat denn nun die Deutungshoheit – die "Süddeutsche Zeitung" oder "Telepolis"?

Keine von beiden, weil die Öffentlichkeit immer mehr zerfällt. Die SZ hat selbstverständlich unverändert eine sehr starke Stimme. Aber "Telepolis" hat ein zunehmendes Gewicht. Das zeigt doch auch, wie wichtig und vorteilhaft das Netz ist. Es produziert Vielfalt und setzt damit die großen unverzichtbaren klassischen Massenmedien unter Druck. Im Sinne von mehr Bandbreite. Prima.

 

Wolfgang Storz (61) war Chef der Gewerkschaftszeitung "metall" und von 2002 bis 2006 Chefredakteur der "Frankfurter Rundschau". 2010 und 2011 war Storz als Autor an Studien der Otto-Brenner-Stiftung zur Krise des Wirtschaftsjournalismus und zu "Bild"-Darstellung der Griechenland- und Eurokrise 2010 beteiligt. Außerdem ist der Sozialwissenschaftler und Publizist als Lehrbeauftragter an den Universitäten in Kassel und in Frankfurt am Main tätig. Auf seiner Homepage ist ein Zitat von Max Frisch zu lesen: "Jeder Versuch, sich mitzuteilen, kann nur mit dem Wohlwollen der anderen gelingen."


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42 Kommentare verfügbar

  • era
    am 18.09.2015
    Antworten
    Ich freue mich sehr über das klare Bekenntnis von Herrn Storz zu Vielfalt und sein offenes Weltbild. Seine Aussagen zeigen aber auch, dass er von bestimmten Phänomenen überfordert ist:

    „Ich als politische Person wende mich dezidiert gegen diese Haltungen: Die Eliten herrschen und regieren gegen…
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