KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Lobbyismus in der Forschung

Lobbyismus in der Forschung
|

Datum:

Sein Urteil zählt im milliardenschweren Markt der Lebensmittel: Gerhard Rechkemmer weiß, was Milch gesund macht und wie Fleisch optimal zu lagern ist. Er und seine Forscherkollegen vom Max-Rubner-Institut in Karlsruhe beraten die Bundesregierung zu Nahrungsmitteln. Wie hält man sich da die Lebensmittel-Lobbyisten vom Leib? Gerhard Rechkemmer schaut seinen Mitarbeitern auf die Finger.

Auch wenn es nicht immer danach aussieht: Am Max-Rubner-Institut wird an Lebensmitteln geforscht.

Herr Rechkemmer, jeder Mensch möchte sichere Lebensmittel essen. Doch nicht immer klappt das, immer wieder gibt es Lebensmittelskandale. Ihr Institut liefert dem Verbraucherschutzministerium "wissenschaftliche Entscheidungshilfen" in Fragen der Sicherheit von Lebensmitteln. Was heißt das?

Wir liefern Informationen und Daten und bewerten diese auch. Was dann damit passiert und politisch umgesetzt wird, liegt nicht mehr in unserer Hand. Diese Entscheidung wird im Ministerium getroffen. Eine Frage, die wir unlängst zu bearbeiten hatten, war die, ob die länger haltbare Milch, die jetzt im Handel ist, qualitativ schlechter ist als die kürzer haltbare Frischmilch. Unser Ergebnis war, dass die sogenannte ESL-Milch qualitativ gleichwertig ist. Geschulte Geschmackstester, die für uns arbeiten, konnten keinen Unterschied zwischen diesen beiden Milchsorten feststellen. Und auch unsere Analyse der Inhaltsstoffe bekräftigte dieses Ergebnis.

Die Arbeit Ihres Instituts ist also ein wichtiger Faktor für politische Entscheidungen, bei denen es um Milliarden geht – schließlich ist der Lebensmittelmarkt ein immenses Geschäft. Was können Sie als Präsident tun, um allzu enge Kontakte Ihrer Mitarbeiter zu Lobbyisten zu unterbinden?

Ich hinterfrage alle Vorgänge, die mir über Dienstreiseanträge oder Anträge auf Ausübung von Nebentätigkeiten bekannt werden. Der Ernährungswissenschaftler Gerhard Rechkemmer ist seit April 2007 der Präsident des Karlsruher Max-Rubner-Instituts.Geht aus ihnen nicht klar hervor, was sich dahinter verbirgt, bitte ich die Wissenschaftler, mir ausführlich Auskunft zu geben. Es kam da in der Vergangenheit auch schon zu Konfliktsituationen, als Wissenschaftler die Dinge anders beurteilt haben als ich. Ein Mitarbeiter sagte mir: 'Nur weil ich ein Honorar beziehe, heißt das noch lange nicht, dass ich befangen bin.' Das mag auch so sein, aber mir geht es darum, dass gar nicht erst der Anschein einer Abhängigkeit aufkommt. Ich versuche strikt der Linie zu folgen, dass alles, was Institutsinhalte und aktuelle Arbeiten am Institut betrifft, der beruflichen Tätigkeit zuzurechnen ist. Der Wissenschaftler darf, kann oder soll dann an der Veranstaltung teilnehmen und die Position des MRI vertreten. Er darf aber keine persönlichen Vorteile daraus ziehen. Eventuelle Honorare gehen direkt an den Finanzminister.

Was Mitarbeiter in ihrer Freizeit tun, können Sie aber nicht verhindern, oder?

Ich kann, darf und will nicht kontrollieren, was meine Mitarbeiter in ihrer Freizeit tun, wenn es nichts mit ihrer Arbeit zu tun hat. Nebentätigkeiten müssen allerdings bei mir angemeldet werden, selbst wenn der Mitarbeiter Übungsleiter im Sportverein werden will. Und wenn ein Mitarbeiter am Wochenende auf einer wissenschaftlichen Veranstaltung auftritt, dort Bestandteil des Programms ist und als Mitarbeiter des MRI vorgestellt wird und ich weiß davon nichts, dann ist das ein Verstoß gegen die Nebentätigkeitsverordnung. Wenn ich davon erfahre, kann ich das sanktionieren.

Ihr Institut beschäftigt sich auch mit gentechnischen Verfahren in der Lebensmittelproduktion. Wenn nun ein Kollege einen Verein gründen würde, nennen wir ihn mal Forschungskreis Gentechnik und Lebensmittel, der der Gentechnik sehr positiv gegenüberstehen würde, was würde dann passieren?

Auch ein Ehrenamt muss als Nebentätigkeit angemeldet werden. Sobald es Bezugspunkte zur Arbeit gibt, muss es mir mitgeteilt werden, und dann liegt die Entscheidung bei mir. Wenn der Verein aber als gemeinnützig eingetragen ist, haben wir rechtlich gesehen wenig Möglichkeiten. In unserem Statut steht ja, dass wir der Allgemeinheit dienen.

Ist im Statut auch die Unabhängigkeit ihres Instituts thematisiert?

In der Satzung ist festgeschrieben, dass wir wissenschaftliche Entscheidungshilfen erarbeiten und gleichzeitig die wissenschaftlichen Erkenntnisse auf diesen Gebieten zum Nutzen des Gemeinwohls zu erweitern haben. Im Rahmen dieser Aufgaben sind die Bundesforschungsinstitute wissenschaftlich selbstständig.

Zum Thema Lobbyismus-Ferne steht nichts in der Satzung?

Nein. Da folge ich meiner eigenen Überzeugung.

Und wenn einer Ihrer Nachfolger eine ganz andere Linie fahren würde?

Es hängt auch da immer davon ab, in welchem Umfang so etwas stattfinden und wie offen es nach außen vertreten würde. An einem gewissen Punkt würde sicher das Ministerium einschreiten, und auch das Kollegium und die anderen Institutsleiter. Über solche Punkte findet auch heute schon eine Diskussion statt, ich bespreche mich mit den Leitungen der anderen Institute und mache das nicht allein mit mir im stillen Kämmerlein aus.

Wie groß ist eigentlich das Problem von Lobbyismus in der Wissenschaft?

Zunächst einmal gibt es von der EU aus und auch auf nationaler und Länderebene bestimmte Vorstellungen, wie Wissenschaft zu arbeiten und funktionieren hat. Politische Schwerpunkte durch das Ministerium beeinflussen die Auswahl von Forschungsthemen, denn wir sind eine nachgeordnete Behörde.

Der Hauptsitz des Max-Rubner-Instituts ist in Karlsruhe.

Wir betätigen uns sehr stark in Anwendungsfragen. In unserem Institut gibt es vier Institutsbereiche, die sich mit Sicherheits- und Qualitätsfragen von spezifischen Lebensmittelgruppen auseinandersetzen: In Kiel wird zu Milch und Fisch geforscht, in Kulmbach zu Fleisch, in Detmold sitzen unsere Getreidespezialisten und hier am Hauptsitz in Karlsruhe ist die Forschung zu Obst und Gemüse konzentriert. Lebensmittel werden ja entweder in der agrarischen Urproduktion oder in Unternehmen durch Verarbeitung hergestellt. Dass es da Kontakte und Interaktionen gibt in Form von Forschungsprojekten und dass es gegebenenfalls auch Einflussmöglichkeiten dieser Industrievertreter geben könnte, das ergibt sich aus dieser ganzen Situation.

Wie sehen solche Interaktionen denn aus?

Es gibt zum einen staatliche oder europäische Forschungsprojekte. Da stellt man gemeinsame Forschungsanträge, die dann von unabhängigen Gutachtern beurteilt werden. Und es gibt die Möglichkeit, direkt mit Einzelfirmen Forschungsprojekte durchzuführen. Das machen wir am MRI, zumindest seit ich an der Verantwortung bin, nur dann, wenn es um grundsätzliche Fragen geht, die auch im öffentlichen Interesse sind. Wenn eine Firma nicht ein Produkt entwickeln will, sondern eine spezifische wissenschaftliche Frage hat, die sich natürlich in ihrem Produktbereich bewegt, die aber nicht dazu gedacht ist, daraus ein Produkt zu entwickeln. Alle dabei erarbeiteten Informationen müssen dann öffentlich verfügbar gemacht werden.

Kommt es oft zu direkten Kooperationen mit Unternehmen?

In der Regel führen wir solche Projekte nicht durch. Ich schätze, 90 Prozent der Anfragen lehnen wir ab. Zehn Prozent sind für uns wissenschaftlich und inhaltlich so interessant, dass wir sagen, da sollten wir zumindest nochmal drüber reden. In der Regel ist unser Vorschlag dann, das nicht direkt mit der Firma abzuwickeln, sondern über den Forschungskreis der Ernährungsindustrie. Dazu muss die Firma bereit sein und sie muss Mitglied sein.

Welchen Vorteil bringt das?

Dieses Vorhaben wird so von unabhängigen Gutachtern von außen noch einmal bewertet, auch, ob es Sinn hat.

Bietet Ihr Institut auch Dienstleistungen für die Industrie?

Relativ häufig fragen Firmen bei uns an, ob wir Analysen für sie durchführen. Wir nehmen diese Anfragen jedoch nur an, wenn es für diese Analysen keine kommerziellen Anbieter gibt. Die Arbeit wird dann gemäß der entsprechenden Entgeltordnung abgerechnet. In all dem sehe ich kein Einfallstor für Lobbyisten.

Wenn Unternehmen große Summen in Forschungsprojekte investieren, tun sie das oftmals nicht nur in ihrem eigenen Haus, sondern in Verbundprojekte, an denen Universitäten und staatliche Forschungseinrichtungen beteiligt sind. Ist das nicht gefährlich?

Das ist politisch so gewollt. Auf EU-Ebene gibt es praktisch keine Netzwerk-Projekte ohne Beteiligung der Industrie. Sie würden auch nicht bewilligt, wenn kein Industriepartner dabei ist. So sehen es die Bewilligungsbedingungen der EU für bestimmte Forschungsprojekte vor. Ziel dieses Vorgehens ist es, die Ergebnisse der Projekte möglichst schnell umzusetzen. Es gab in der EU-Kommission Überlegungen, den Begriff Research zu eliminieren und nur noch den Begriff Innovation zu verwenden. Anstelle von Wissenschaft und Grundlagenforschung würde man dann von Innovation reden und damit von der direkten Umsetzung von Forschungsergebnissen in industriell nutzbare Produkte. Die EU wird in den nächsten Jahren massiv zurückfahren, dass für den Erkenntnisgewinn geforscht wird und dieses Ziel in Teilen sogar aufgeben. Wollen Sie Mittel für EU-Projekte akquirieren, sind sie gezwungen, mit der Industrie zusammenzuarbeiten.

Sehen Sie das kritisch?

In Teilen sehe ich diese Entwicklung kritisch. Grundsätzlich habe ich aber kein Problem mit Kooperationen mit der Industrie, denn die Ressourcen, die dort zur Verfügung stehen, sind teilweise viel besser als das, was wir staatlicherseits zur Verfügung haben. Insofern profitieren wir wissenschaftlich durchaus von solchen Kooperationen.

Ist die Forschung dann nicht zu sehr an den Interessen der Industrie ausgerichtet?

Ich halte einen Punkt für wichtig: Auch bei den Firmen gibt es unterschiedliche Abteilungen. In den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen arbeiten meistens Mitarbeiter, die die wissenschaftlichen Inhalte in den Vordergrund stellen und das Eigeninteresse ihrer Firma etwas in den Hintergrund. Dann ist die Frage zu stellen: Was ist interessengeleitet? Am Max-Rubner-Institut arbeiten viele junge Wissenschaftler.Die großen Player im Lebensmittelbereich haben ihre Strategie massiv verändert. Nestlé, Unilever, Danone und Kraft verstehen sich nicht mehr als einfacher Produzent von irgendwelchen Produkten, sondern als Gesundheits- und Lifestyle-Unternehmen. Nestlé hat im vergangenen Herbst beschlossen, eine eigene abgetrennte Firmensparte aufzumachen, die sich mit funktionellen Produkten im Gesundheitsbereich beschäftigt. Diese Sparte wird angesiedelt als ein Institut an der Universität Lausanne. Es gibt eine Anschubfinanzierung von 200 Millionen Euro für den Bereich. Die sind gerade dabei, Wissenschaftler zu rekrutieren, in einer Größenordnung von 200, 300 Mitarbeitern. Das Institut soll sich mit der Frage beschäftigen, wie Lebensmittel zusammengesetzt sein müssen, um bestimmte Gesundheitsfunktionen kausal beeinflussen zu können, eine Frage, die viele große Player seit einigen Jahren verfolgen. Und wo sie massiv investieren. Teilweise sind diese Firmen in bestimmten Forschungsbereichen Vorreiter, so wie das Nestlé-Forschungszentrum im Bereich Metabolomik.

Diesen Begriff müssen Sie erklären.

Dabei geht es darum, dass man mit neuen Messverfahren Stoffwechselprofile bestimmen kann. Wenn jemand zum Arzt geht, um zu erfahren, ob er Zucker hat, wird der Arzt ihm im Normalfall einen Bluttropfen abnehmen und einen Blutzucker-Test machen. Diabetes ist aber nicht nur eine Zuckerkrankheit, sondern sehr komplex und auch mit dem Fettstoffwechsel verknüpft. Sie bekommen also eine wesentlich bessere Aussage, wenn sie nicht nur den Blutzucker messen, sondern auch die Blutfettwerte noch dazu, die Harnsäure. Das heißt: Je mehr Parameter einfließen in die Beurteilung, umso präziser wird dann die Aussage. Das Ziel in der Metabolomik ist, möglichst viele für den Stoffwechsel relevante Substanzen in Blut, Urin, Speichel nachzuweisen und Profile zu erstellen, die charakteristisch sind für einen bestimmten Gesundheits- oder Krankheitszustand. Das Nestlé-Institut ist hier führend. Sehr viele Institutionen, auch Universitäten wie die TU München, arbeiten mit den Nestlé-Leuten sehr eng zusammen und tauschen Proben aus. Die Forscher dort haben die Apparate und das Wissen, Dinge zu messen, die bisher an anderen Institutionen nicht möglich sind.

Sollten Universitäten nicht Distanz zu Wirtschaftsunternehmen halten, um ihre Unabhängigkeit zu bewahren?

Der Trend an den Universitäten geht in die andere Richtung, und das wird von vielen Hochschulleitungen durchaus unterstützt. Die Gründung von An-Instituten, die Ausgründung von kommerziellen Unternehmen aus Instituten ist heute etwas, was politisch wie hochschulpolitisch gewünscht ist. Ich sag das mal etwas ketzerisch: Je mehr Firmen ein Lehrstuhlinhaber gründet, umso höher ist sein Renomee in der jeweiligen Einrichtung. Die TU München, wo ich knapp fünf Jahre gelehrt habe, bezeichnet sich sogar als the entrepreunerial university, also als die Universität mit Unternehmensgeist und -charakter. Der Präsident der TU München hat das immer betont und gemeint, jeder Lehrstuhl solle sich als ein Unternehmen verstehen und auch so agieren. Ich habe da gewisse Bedenken. Meine Sorge ist, dass es dann nicht mehr ausschließlich um wissenschaftliche Inhalte geht, sondern wirtschaftliche Aspekte in den Vordergrund treten. Es war zumindest in der Vergangenheit nicht die klassische Aufgabe von Wissenschaftlern, Firmen zu grünen und sich mit betriebswirtschaftlichen Dingen zu beschäftigen. Andere Kollegen sehen das jedoch völlig anders und sehen für sich und ihr Forschungsfeld zusätzliche Möglichkeiten eröffnet, die weit über das hinaus gehen, was sie mit öffentlichen Mitteln bewerkstelligen können.

Wie könnte man dieses Problem lösen?

Die wissenschaftliche Fragestellung sollte bei Wissenschaftlern immer im Vordergrund stehen. Eine Möglichkeit wäre daher, das, was bei der Forschung an Universitäten entsteht und kommerziell verwertbar ist, nämlich Patente, gegen Nutzungsgebühren an ein Unternehmen zu vergeben, das daraus dann ein Geschäftsmodell entwickelt. Der Wissenschaftler könnte sich dann ganz auf die Forschung konzentrieren und die Uni würde dennoch davon profitieren.

Gerhard Rechkemmer ist seit April 2007 Chef des Max-Rubner-Instituts in Karlsruhe. Anfang 2008 wurde der Einrichtung aus mehreren Gründen eine neue Struktur gegeben. Rechkemmer legt Wert auf die Unabhängigkeit des Instituts; in den Jahren vor seiner Präsidentschaft gab es zumindest in einem Fall Zweifel an der Unabhängigkeit der Forscher an der damaligen Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel. Die Kontext:Wochenzeitung hat über diesen Fall berichtet: <link _blank internal-link>Im Dunstkreis der Industrie.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


0 Kommentare verfügbar

Schreiben Sie den ersten Kommentar!

Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!