Ab Mitte 20 sind erste Verschleiß-Erscheinungen nicht mehr zu leugnen. Augenringe verschwinden erst mittags oder überhaupt nicht, der Kater vom Vorabend wäre früher keiner geworden. Die beste Zeit zum Kinderkriegen ist biologisch betrachtet auch schon vorbei. Gegen Ende 20 dann auch das noch: Die ersten grauen Haare.
Sie kommen vereinzelt daher, im Unterhaar, als ob man sie ob des Eingewöhnens erst einmal übersehen dürfte. Gelingt das nicht mehr, hilft verleugnen oder umdeklarieren: "Das ist doch gar nicht grau, sondern besonders hellblond, fast weiß", täuscht man sich selbst vor dem Spiegel. Wenn es zu viele werden, funktioniert kein Verdrängen mehr. Was dann — Sinnkrise?
Ja, denn es handelt sich um den sichtbar werdenden Anfang vom Ende, zumindest, wenn man weiblich ist und es nach dem Leipziger "Tatort" vom vergangenen Sonntag geht. "Frühstück für immer" hieß der, allein schon sein Titel suggerierte Verdammnis. Der Inhalt: Frauen Mitte 40, die noch oder wieder ledig sind, müssen nehmen, was sie kriegen können. Sie sind zum "Verwelken" verurteilt, obwohl sie gut aussehen, beruflich erfolgreich und finanziell unabhängig sind. Dennoch wird die Jahreszeit ihres Liebeslebens mehr als letzter Herbst denn als zweiter Frühling präsentiert, frei nach Rilke: Wer jetzt keinen Mann hat, angelt sich keinen mehr.
Zugute kommt das im "Tatort" — natürlich — den Männern. Sie nutzen die verzweifelte Suche der liebeshungrigen Frauen aus, die sich auf Ü-40-Partys abschleppen lassen, solange sie noch einer will. Damit greifen Drehbuchautorin Katrin Bühlig und Regisseurin Claudia Garde die häufig wiederholte These auf, dass Frauen ab einem gewissen Alter für Männer "verschwinden", unsichtbar werden. Zuletzt setzte sich Bascha Mika, ehemals Chefredakteurin der "taz", in ihrem neuen Buch "Mutprobe" damit auseinander. "Alt werden ist nichts für Feiglinge", sagte schon die US-amerikanische Schauspielerin Mae West.
"Eure Körper verrotten von Geburt an. Investiert in eure Hirne."
Hat die Endzwanzigerin mit den ersten grauen Strähnen unterm Deckhaar also noch gut oder höchstens zehn Jahre, in denen sie in Sachen Liebe alles erreichen und am besten festnageln muss, bis dass der Tod sie scheide? Sollte sie gar die ausfallenden — noch nicht grauen! — Haupthaare akribisch sammeln, um mit Anfang vierzig zumindest mit einer farblich passenden und maßgeschneiderten Echthaar-Perücke aufwarten zu können?
Nein! Denn erstens kann man Haare färben, wenn man mit dem Ergrauen nicht klar kommt. Und zweitens sollte man sich in Sachen Geschlechterrolle, egal ob weiblich oder männlich, vielleicht nicht am "Tatort" orientieren; das sollte auch der Til-Schweiger-Tatort "Kopfgeld" in der vorletzten Woche überdeutlich gezeigt haben, dessen 50-jähriger Hauptdarsteller trotz fortgeschrittenen Alters den Super-Macho gab.
"Weiblich", "alt" und "grau" kann sehr wohl auch "attraktiv" bedeuten. Man muss nur die Werbung eines Unternehmens ansehen, das sonst mit oft sehr jungen, freizügigen Amateur-Modells für Aufsehen und auch Kritik sorgt: Das amerikanische Mode-Label "American Apparel". "Sexy kennt kein Verfallsdatum", proklamierte es Anfang des Jahres und zeigte die 62-jährige Jacky O'Shaugnessy in sportlicher Spitzen-Unterwäsche, die lange, grauweiße Mähne sanft gewellt. Und, was soll man sagen. Gut sieht sie aus.
Nun kann man zurecht entgegenhalten, dass die Frau vermutlich auch in jungen Jahren bildschön war, was ehrlicherweise nicht jede Frau von sich sagen kann. Dann tröstet immer noch ein Blick auf die jüngste Kolumne der Autorin Sibylle Berg auf "Spiegel Online", "Fragen Sie Frau Sibylle". In der kontert sie Bascha Mika: "Eure Körper verrotten von Geburt an. Investiert in eure Hirne, sucht euch Dinge, für die ihr brennt." Ein Tipp für Frauen und Männer.
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