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PFAS und TFA

Gift im Wasser und das Schweigen der Ämter

PFAS und TFA: Gift im Wasser und das Schweigen der Ämter
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In Bad Wimpfen und Untereisesheim werden in Quellen, die für das Trinkwasser genutzt werden, seit Wochen extrem überhöhte Werte der gesundheitsschädlichen PFAS-Ewigkeitschemikalie Trifluoracetat (TFA) nachgewiesen. Und die Bürger:innen wissen von nichts.

Bis zu 320 Mikrogramm pro Liter (μg/l) wurden bei einer Trinkwasserkontrolle im Heilbronner Land gemessen: Eine Konzentration, die den gesetzlichen Grenzwert um mehr als das fünffache übersteigt – den vom deutschen Umweltbundesamt empfohlenen Zielwert von (höchstens!)10 μg/l sogar um das 32-fache! Unfassbar! Noch unfassbarer: Diese alarmierenden Erkenntnisse halten die Trinkwasserversorger und die Rathäuser bislang unter der Decke. Die Einwohner der beiden betroffenen Gemeinden, die das Wasser auch trinken, sind schlichtweg nicht informiert worden.

Es war bei einer Routine-Kontrolle der Landesanstalt für Umwelt (LUBW) Mitte des vergangenen Jahres auf dem Gelände des Fluorprodukteherstellers Solvay bei Bad Wimpfen, einem der wenigen PFAS-Produzenten in Deutschland. Dort gibt es die Messstelle "BBR 3 Solvay Fluor GmbH (0079/507-6)". Sie ist Teil des landesweiten Wassermessnetzes und das aus guten Gründen: Denn Solvay produziert nicht nur Fluorprodukte: Bei der Herstellung bleibt am Ende auch die hochproblematische Ewigkeitschemikalie TFA zurück, die von Solvay jahrelang als unverwertbares Abfallprodukt unkontrolliert tagtäglich in einer Größenordnung von bis zu zwölf Kilogramm pro Stunde in den Neckar eingeleitet worden ist – und noch immer wird. Nur geschieht dies mittlerweile unter Aufsicht des Regierungspräsidiums Stuttgart, das der Firma im Jahr 2021 die Erlaubnis erteilt hat, "nur noch" ein Kilogramm pro Stunde (kg/h) in den Neckar zu entsorgen. Eine Tatsache, die bei Gesundheitsmedizinern, Umweltexperten und Trinkwasseranalysten für heftigstes Kopfschütteln sorgt. Aber nun denn: Genehmigung ist nun mal Genehmigung. Und außerdem sind seitdem schließlich die TFA-Werte da, wo die Brühe durchläuft, im Grundwasser und in den Trinkwasserbrunnen neckarabwärts wieder gesunken.

Man dachte behördlicherseits also, man habe die Chose bei Solvay einigermaßen im Griff, bis sich plötzlich wieder etwas getan hat im Brunnen "BBR 3 Solvay Fluor GmbH". Schon seit dem Jahr 2022 stiegen die TFA-Werte wieder langsam an – auf bis zu 18 μg/l (Mikrogramm pro Liter). Na ja, lag irgendwie noch im Bereich des Nicht-Aufregens. Aber dann, Mitte 2024, sind die Wasserkontrolleure beinahe aus ihren Gummistiefeln gekippt: Plötzlich sprudelten da 50 μg/l ans Tageslicht! Und das alles, nachdem man mittlerweile doch zuversichtlichst der Meinung war, Solvay und die Ämter hätten die Problemchemikalie einigermaßen unter Kontrolle. Pustekuchen!

Wer war's: Feldmarschall Tilly, Bauern, die Luft?

Woher also kam das Zeug, wenn nicht direkt von der Produktion? Es begann – unter Ausschluss der Öffentlichkeit – eine hektische Suche nach der Quelle allen Übels, denn von irgendwoher musste die Chemikalie ja in den Brunnen gespült worden sein. Und der Brunnen liegt unten im Tal. Wasser hat bekanntlich die Eigenschaft, den Berg hinunterzufließen, und das Grundwasser von neckaraufwärts konnte es eigentlich nicht sein. Also musste der Verursacher weiter oben am Hang gesucht werden, dort, wo zahlreiche Quellen in Richtung Neckartal hinuntersprudeln.

Und siehe da: Man wurde fündig. Es war die Waldwasserquelle, auf halber Höhe im steilen Waldhang gelegen – und deren TFA-Konzentration sorgte dann endgültig für ungläubiges Staunen: 320 μg/l – ein Wert, der zigfach durch die Decke geht! Alarmstufe Rot also, der gleich darauf wieder eine gewisse Entwarnung folgte, denn das Wasser der Waldwasserquelle wird nicht für die Trinkwasserversorgung genutzt, sondern "nur" als Brauchwasser für die Industrie. Soweit, so ungut. Denn sofort gesellten sich zwei neue Fragen hinzu. Erstens: Gibt es in diesem Bereich auch Quellen, die für die Trinkwassserversorgung genutzt werden? Und zweitens: Woher kommt das Zeug, das die Waldwasserquelle vergiftet?

Klar ist, es muss von noch weiter oben kommen. Dort oben befinden sich die Flurstücke Altenberg/Schanze. Die ganze Fläche wird seit Jahrzehnten landwirtschaftlich genutzt und es sieht aus, als habe man dort ordentlich Boden aufgefüllt. Was den historischen Tatsachen entspricht, denn während des 30-jährigen Krieges wurde dort auf Befehl des Kaiserlichen Feldmarschalls Tilly eine Schanzanlage gebaut. Deshalb der Name. Aber dass der berüchtigte Kriegsherr vor 400 Jahren bereits TFA verwendet hat? Eher unwahrscheinlich. Vielleicht also doch die Landwirtschaft und deren Herbizide, die zu TFA abgebaut werden? Vielleicht eine illegale Auffüllung oder Entsorgung, von der heute niemand mehr etwas wissen will? Fragen über Fragen, an deren Aufklärung mittlerweile zahlreiche Behörden beteiligt sind: das Regierungspräsidium Stuttgart, das Landratsamt Heilbronn, die LUBW, das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau, das Landwirtschaftsamt und das Gesundheitsamt. Doch soviel umwelttechnischer Sachverstand sich da bisher im Krisenmodus zusammengefunden hat – des Rätsels Lösung ist nach wie vor nicht gefunden. Klar ist nur, dass sich auch TFA nicht freiwillig den Berg hinauf begibt – Einträge aus der Luft, das wäre möglich. Aber in dieser irrwitzigen Konzentration? Da scheidet höchstwahrscheinlich sogar der Pestizideinsatz aus der Landwirtschaft aus. Also bleiben wieder zwei Fragen: Wo liegt die Quelle allen Übels und wie ist das TFA dorthin gekommen?

Schweigen in Bad Wimpfen und Untereisesheim

Und dann natürlich – siehe oben – die Frage aller Fragen: Ist die Trinkwasserversorgung auch betroffen? Eindeutige Antwort: Ja, sie ist es, und zwar sowohl in Bad Wimpfen mit seinen 7.500 Einwohner:innen, als auch in der südlich gelegenen 4.000-Seelen-Gemeinde Untereisesheim.

Vor gut zwei Monaten, genau am 3. Februar diesen Jahres, hat das Gesundheitsamt Proben von verschiedenen Trinkwasserquellen in der Umgebung der Waldwasserquelle gezogen und bei einer dieser Quellen, die zur Trinkwasserversorgung eines Hauses diente, eine Konzentration von 319 μg/l gemessen. Das Fünffache des höchstzulässigen Wertes! Die Nutzung des Wassers zum Trinken wurde darauf sofort untersagt. Zum Duschen und Waschen geht's noch.

Auch bei einer weiteren Quelle zur Eigenwassernutzung gab es mit 14 μg/l einen überhöhten Wert (wenn man von der Empfehlung des Umweltbundesamtes von 10 μg/l ausgeht). Und ebenso bei zwei Quellen, die der Trinkwasserversorgung von Untereisesheim dienen. Es handelt sich dabei um die Quellen Schleckenbrunnen 1 und 2, deren Werte betragen 19 μg/l bzw. 14 μg/l. Da die Gemeinde Untereisesheim aber glücklicherweise auch Bodenseewasser bezieht, sieht man sich in der komfortablen Lage, den nach wie vor uninformierten Wasserbezieher:innen von Untereisesheim eine frische Mixtur mit 9 μg TFA pro Liter anbieten zu können. Ganz aktuelle Werte gibt es übrigens momentan nicht, da das Gesundheitsamt erst wieder im Mai neue Proben ziehen will. Man kann schließlich nicht überall sein. Aber sei's drum: Die Retterin vom Bodensee kann wieder mal mit ihrem schönen sauberen Bodenseewasser aushelfen. Das kostet ein bisschen mehr, deswegen wollte der - damals noch ahnungslose Untereisesheimer Gemeinderat in seiner Sitzung vom Oktober 2024 Bodenseewasser gerne durch mehr eigenes Grundwasser ersetzen. Mittlerweile kann er froh sein, das nicht getan zu haben. Und so meint der Untereisesheimer Bürgermeister Christian Tretow (SPD), eine Information der Bevölkerung über die besorgniserregenden Wasserwerte in den Trinkwasserquellen sei nicht notwendig gewesen.

In der Nachbarschaft hat sich sein Bürgermeisterkollege Andreas Zaffran (CDU) vom Solvay-Standort Bad Wimpfen eine ganz eigene Taktik zurechtgelegt: Auf die Kontext-Frage zum TFA-Themenkomplex hieß es zunächst, er könne da nicht so rasch antworten, sondern müsse erst seine Mitarbeiter befragen. Was einigermaßen seltsam klingt: Denn eine der Fragen lautete, wann er denn eine Bürgerinformation zu der Trinkwasserverunreinigung plane. Welche Mitarbeiter muss er denn da vorher fragen, ob er selbst dieses tun will oder nicht? Anmerkung am Rande: Der Gemeinderat ist, wie aus zuverlässiger Quelle bekannt, in nichtöffentlicher Sitzung über die TFAS-Kontimination informiert worden. Aber aus so einer Sitzung darf ja nichts nach außen dringen. Deshalb wissen es die Bürgerinnen und Bürger von Bad Wimpfen nicht. Und eine Bürgerinformation dazu ist nicht geplant. Man muss ja nicht unbedingt schlafende Hunde wecken.

Weitere Frage, jetzt an das Gesundheitsamt Heilbronn: Ob man denn bei den betroffenen Nutzern der Eigenwasserversorgung eine Blutuntersuchung vorgenommen habe? Schließlich handelt es sich ja um eine "Ewigkeitschemikalie", die höchstwahrscheinlich für immer im Körper bleibt. Also wäre es doch schon wichtig, in welcher Konzentration diese zurück geblieben ist. Antwort: Das habe man nicht gemacht. Ende der Mitteilung.

Ist Gesundheit egal?

Was bleibt, sind weitere Fragen – auch zum Umgang der Behörden mit diesem hochgefährlichen Stoff. Angefangen beim Grenzwert: Welcher gilt denn nun? Ursprünglich waren es 3 Mikrogramm TFA pro Liter, dann kam 2016 der Solvay-Schock in Edingen-Neckarhausen, bei dem ein Doktorand 20 μg/l feststellte (Kontext berichtete). Als klar wurde, dass die Einleitungen der Firma Solvay chemie verantwortlich waren, wurde der Grenzwert hochgesetzt. Erst auf 6, dann auf 10 μg/l. Aber das reichte immer noch nicht, also 30, nein, noch zu niedrig, gut dann eben 60 μg/l. Da war's dann endlich ok. Und das, obwohl das Umweltbundesamt, das zu dem 60er Wert mehr oder minder verdonnert worden war, in all seinen Publikationen klar fordert: höchstens 10 μg/l, besser aber deutlich weniger. Die Niederländer übrigens haben sogar 2,2 μg/l als absolute Grenze – alles darüber sei gesundheitsschädlich, sagen sie. Wie die Holländer halt so sind, konnte man da und dort hören – solange bis die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA nach neuesten Erkenntnissen über die Schädlichkeit von TFA plötzlich einen Grenzwert von 0,1 μg/l gefordert hat. Und dies wohlgemerkt Mitte des Jahres 2024. Also ganz aktuell. Trotzdem knallen bei den Trinkwasserversorgern in Bad Wimpfen und Untereisesheim die Sektkorken, weil man das Wasser dank Bodensee-Beimischungen mit 10 μg/l TFA (also dem 100-fachen) durch die Rohre zum Endverbraucher jagen kann.

Kein Wunder, dass die Regionalgeschäftsführerin Andrea Hohlweck vom BUND Heilbronn Franken klar und deutlich fordert: "Politik und Behörden müssen ihrer Verantwortung schnellstens gerecht werden, Menschen und Umwelt vor Schäden zu schützen. Es kann nicht sein, dass von den 10.000 Stoffen der PFAS-Produktgruppe nur knapp 20 gesetzlich reguliert werden, noch dazu mit Grenzwerten, die deutlich auf den Prüfstand gehören. Diese Entscheidungen von der wirtschaftlichen Lage abhängig zu machen oder auf die EU zu warten, ist falsch."

Eine solch engagierte Hinwendung zu Verbraucherschutz und Bürgernähe wäre dringlichst auch dem Landratsamt Heilbronn zu empfehlen. Denn während das in Sachen Solvay/TFA bislang eher fragwürdig operierende Regierungspräsidium nunmehr jede (wirklich jede!) Nachfrage von Kontext prompt beantwortet hat, war das beim Landratsamt nicht der Fall. Alle weiteren Erkundigungen, die dort aufliefen, gingen einen zähen Weg. Beispielsweise die Frage, ob denn inzwischen Bodenproben gezogen worden seien? Antwort: Das bedürfe aufgrund der Komplexität der Sachlage und der Zuständigkeiten noch der Absprache der beteiligten Ämter im Hause. "Eine Rückmeldung (...) kann ich Ihnen daher leider erst im Laufe des kommenden Mittwoch zusagen." Soso: "am Mittwoch", da wird es wohl klappen. Mittwoch? Nachtigall, ick hör dir trapsen! Der Pressesprecher des Landratsamts hat seine Hausaufgaben offenbar gemacht und recherchiert, dass Kontext ja immer mittwochs erscheint. Zu spät also fürs Einflechten in den Artikel. Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt. Aber sei's drum: Denn Kontext wird ja auch am darauffolgenden Mittwoch erscheinen. Und am überübernächsten auch. Wir bleiben am Ball.

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4 Kommentare verfügbar

  • Joachim Kappert
    vor 2 Wochen
    Antworten
    Ein paar werden sicher von skandinavischen Weinbergen träumen und ihre Millionen dementsprechend anlegen, der Großteil wird irgendwann verhungern oder von der Natur eliminiert werden.
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