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Mauschelei in Trossingen

Kein Amazon

Mauschelei in Trossingen: Kein Amazon
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Es war eine echte Frechheit: Die Ansiedlung eines Amazon-Verteilzentrums in Trossingen war über lange Zeit Geheimsache der Lokalpolitik. Und als die BürgerInnen dann letztlich informiert wurden, war alles schon beschlossen. Und jetzt? Hat es sich erledigt.

Es war der letzte Text, den Karin Burger für uns geschrieben hat, bevor sie aus dem Leben ging. Karin Burger, Betreiberin des Blogs Satire-Senf und unsere freie Mitarbeiterin aus dem Kreis Sigmaringen, gestorben an Hartz IV im Sommer dieses Jahres. In ihrem Text ging es um die Ansiedlung eines Amazon-Verteilzentrums in Trossingen. Ein Mega-Teil sollte es werden, fünf Hektar im Gewerbegebiet Greut, wir waren vor ihrem Tod noch gemeinsam vor Ort und haben es uns angesehen.

Die Planungen für das Zentrum seien "ein neuer Höhepunkt an Demokratieferne und Regelwidrigkeit im Gemeinderat der Stadt Trossingen", schrieb Karin Burger im Januar 2021. "Denn erst jetzt und nachdem alle relevanten Beschlüsse schon in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen worden waren, erfahren die Trossinger: Ihr Gemeinderat hat hinter verschlossenen Türen und in grober Verletzung des Öffentlichkeitsgebots der Gemeindeordnung Baden-Württemberg beschlossen, dass sich eines der asozialsten Unternehmen der Welt, die Firma Amazon, in Trossingen ansiedeln darf." Anderthalb Jahre war das Projekt Geheimsache, bis das Grundstück dann verkauft war. Es sei ein "vergiftetes Erbe" das der ehemalige Trossinger Bürgermeister Clemens Maier hinterlassen habe, bevor er sein Amt im Dezember 2020 an Susanne Irion übergab und in Stuttgart Bürgermeister für Sicherheit, Ordnung und Sport wurde.

Hinter verschlossenen Türen

Maier hatte lange bevor der Gemeinderat und sehr lange bevor die BürgerInnen von den Plänen erfuhren, Gespräche mit dem Investor geführt und sich dann erfolgreich weggeduckt. Er selbst könne zum Gesamtvorgang nichts mehr sagen, weil nicht mehr im Amt, fand aber, eine Grundsatzkritik am Geschäftsgebaren des Versandriesen solle nicht mit der konkreten Ansiedlung vor Ort vermischt werden. Außerdem kaufe ja eh jeder bei Amazon. Kann man so sehen, muss man aber nicht. Empört hatte sich auch der CDU-Stadtverbandsvorsitzende, in Konsequenz hat er seiner Partei den Rücken gekehrt und sich der Bürgerinitiative angeschlossen, die sich gegen Amazon am Ort einsetzte.

Ausgabe 511, 13.1.2021

Hintenrum

Von Karin Burger

Unter der Ägide von Clemens Maier, mittlerweile Stuttgarts neuer Ordnungsbürgermeister, hat die Stadt Trossingen fünf Hektar Land an Amazon verkauft. Komplett an der Öffentlichkeit vorbei.

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Und die verzeichnet jetzt einen gewaltigen Erfolg. Amazon hat seine Trossingen-Pläne am 8. Dezember beerdigt. Kein Verteilzentrum. Eine "interne Gesamtevaluierung aller Verteilstandorte" habe ergeben, dass der Standort Trossingen entbehrlich sei, heißt es offiziell. Im Gemeinderat geht man davon aus, so berichtete die örtliche Zeitung, "dass Amazon die Auflagen und die damit verbundenen Kosten zu hoch wurden" – Auflagen in Sachen Verkehrs- und Lärmbelastung beispielsweise.

"Schade" findet das Bürgermeisterin Irion. Im Gemeinderat, so schreibt die "Neckarquelle", habe sich die Enttäuschung allerdings in Grenzen gehalten, außerdem scheint der Rat gelernt zu haben: "Die ganze Angelegenheit habe gezeigt, dass es letztlich gar nichts bringe, so lange hinter verschlossenen Türen zu tagen", zitiert die Zeitung den CDU-Fraktionschef. Ob sich da womöglich ein Lerneffekt eingestellt hat?

Sei's drum. Karin Burger, die auch auf ihrem eigenen Blog mit Leidenschaft versucht hat, Amazon aus Trossingen wegzuschreiben, würde einen Sekt aufmachen. Traurig, dass sie das nicht mehr erlebt.


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