Besonderes Gewicht erhält das Urteil durch seine Betonung der schon genannten demokratischen Grundsätze für die Arbeit in den Gemeinderäten. Breiten Raum in der Urteilsbegründung nimmt deshalb vielleicht nicht zufällig ein längliches Zitat aus einem Ummendorfer Gemeinderatsprotokoll 2018 ein. Da es sich um eine nichtöffentliche Sitzung handelte, ist dies ein besonders kostbares und der Öffentlichkeit sonst nicht zugängliches Dokument. Es illustriert anschaulich das Grundproblem. Zum Thema Bauplatz-Vergabekriterien warnte Reichert seine Räte: "Alles was wir an der jetzigen Fassung verändern und in der öffentlichen Sitzung diskutieren, [könne] die Presse aufgreifen". Ihm persönlich sei es wichtig, "dass wir am kommenden Montag gemeinsam als ein Gemeinderat, sprich als eine Einheit auftreten, wenn es an die Vergabe geht. Zerrissenheit wäre jetzt ein völlig falsches Signal nach außen…" (zitiert nach Urteil Verwaltungsgericht Sigmaringen Az.: 3 K 3574/19, S. 7). Und weiter: "Ich habe auch ehrlich keine Lust, jede Kleinigkeit nochmals zu besprechen."
Das mit der defizitären Lust scheint ein durchgehendes Problem dieses Bürgermeisters zu sein, denn die mangelnde Verfügbarkeit dieses Antriebs für seine Amtsausführung wird in demselben Protokoll noch einmal ausgeführt und mit einer Drohung versehen: "Ich habe jedenfalls keine Lust mich am kommenden Montag in öffentlicher Sitzung lächerlich zu machen. Wenn wir in der Sitzung nicht als geschlossene Einheit auftreten, wenn es Kampfabstimmungen gibt, dann wird der Tagesordnungspunkt am Montag von der Sitzung abgesetzt" (ibid., S. 7).
Die Heimatvertriebenen von der Feuerwehr
Nach dem Sitzungsende der mündlichen Verhandlung in Sigmaringen wurde an alle Zuschauer im Saal ein "Schriftsatz" verteilt. Unterzeichnet war der eine Seite umfassende Appell an das Gericht von Funktionären der Ummendorfer Feuerwehr. Inhalt: Die Spritzenmänner in Reicherts Reich sehen durch die Vorgaben der EU zum Thema Bauplatzvergabe "die Arbeit der Feuerwehr torpediert". Sie erleben das Funktionieren des Gemeinwesens als gefährdet, wenn Bauplätze an Personen ohne Ortsbezug vergeben werden. Furchterregend ist dabei die verwendete Sprache und Metaphorik: "Wir mussten unsere Heimat verlassen und wohnen nun in anderen Gemeinden. Für unsere Kameraden ist ein Unding, was sich hier abspielt." Zum Verständnis sei darauf hingewiesen, dass diese Form der Heimatvertreibung im Fluchtpunkt Ochsenhausen endet, etwa zwölf Kilometer von Ummendorf entfernt. Das sind Vertreibungsmodalitäten, welche die Heimatvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg und die Flüchtenden der Jetztzeit tief neidisch machen müssen.
Das Sigmaringer Urteil ist eins der ersten in Deutschland zu diesem Thema. Konsequenzen daraus aber sind bisher weder für den "Einzelfall" Ummendorf und die Verantwortlichen dort noch bundesweit erkennbar. Auf Anfrage an Reicherts Dienstherrn, das Landratsamt Biberach, ob die gerichtlich festgestellten Rechtsverletzungen irgendwelche Folgen für den Ummendorfer Bürgermeister haben werden, erklärt die Behörde: "Als Kommunalaufsicht verweisen wir auf das noch laufende Gerichtsverfahren. Bei einem laufenden Verfahren nehmen wir keine Stellung, zumal die abschließende Überprüfung und Beurteilung dieser Sache der Gerichtsbarkeit vorbehalten ist." Das ist so nicht mehr zutreffend. Das Verfahren ist abgeschlossen, die Rechtsmittelfrist abgelaufen. Überdies hat die Gemeinde Ummendorf schon vor Wochen öffentlich erklärt, keine Rechtsmittel einlegen zu wollen; Gleiches ist dieser Redaktion vom Kläger bekannt. Der Bürgermeister selbst beantwortet unsere Anfrage nicht.
Und die Ummendorfer Nachbargemeinden backen sich offensichtlich ein Ei auf dem Sigmaringer Gerichtsurteil. So etwa hat Schemmerhofen seine Bauplatzvergabekriterien just an dem Tag der mündlichen Verhandlung in Sigmaringen beschlossen. Das passt zu der jüngst in Kontext veröffentlichten Geschichte über die Gschmäckle-Firma Baupilot, welche Grundstücke unter Bedingungen vermarktet, die kaum Unterschiede zum gerichtlich verworfenen Kriterienkatalog in Ummendorf aufweisen: Bauplatzbewerber ohne Ortsbezug haben so gut wie keine Chance. Funfact am Rande: Der hauptamtliche Bürgermeister und Baupilot-Geschäftsführer Stephan Mantz hat früher im Schemmerhofer Bauamt gearbeitet.
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Emilia
am 08.06.2020