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Eine Dose ist nicht immer eine Dose

Eine Dose ist nicht immer eine Dose
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Im Wald bei Schramberg oberhalb der St. Mariakirche liegen zwei Getränkedosen. Aufgehoben sind sie schnell, entsorgt sind sie bald – doch es entwickelt sich eine Recherche und eine aufschlussreiche Geschichte über das Aufstöbern von Gesetzeslücken.

Beim genaueren Betrachten der beiden gleichgeformten Dosen fällt mir ein Unterschied auf, den ich zu Hause in einem Brief zusammenfasse:

"Sehr geehrte Damen und Herren, dieser Tage fand ich beim Spazierengehen wenige Meter voneinander entfernt zwei Energy-Drink-Dosen im Wald. Eine von Red Bull, die andere von Action. Die eine ist pfandpflichtig, die andere pfandfrei. Beide enthalten Kohlensäure, Taurin, Koffein (...) Beide sind gleich groß, beide aus Aluminium. Beide wurden in oder für Deutschland hergestellt und hier verkauft. Meine Frage: Weshalb werden die beiden Dosen beim Pfand nicht gleich behandelt?"

Diesen Brief maile ich an etliche Empfänger, von der Industrie- und Handelskammer, den Verbraucherzentralen im Bund und Land, dem Bundesumweltamt, den Umwelt-Ministerien in Bund und Land, den städtischen Umweltbeauftragten über die Edeka-Zentrale, das Landratsamt, den Handelsverband bis hin zum Verband für Metallverpackungen, dem deutschen Verpackungsinstitut oder den Bundesverband Sekundärrohstoffe. Auch Jürgen Trittin bekommt die Mail. Der hatte als grüner Umweltminister das Dosenpfand 2003 durchgesetzt.

Erstes Ergebnis: Es antwortet die große Mehrheit. Manche innerhalb ganz kurzer Zeit, andere brauchen drei, vier Tage. Die Handelsverbände, das Landesumweltamt und die Sekundärrohstoffler melden sich nicht. Sibylle Vollmer vom Verband Metallverpackungen schreibt: "Leider sind die Hersteller von Getränkedosen nicht in unserem Verband organisiert." Deshalb könne sie die Frage nicht beantworten. Edeka-Südwest teilt mit, man führe den Artikel nicht im Sortiment. "Ich möchte Sie daher bitten, sich direkt an den Hersteller zu wenden", so die stellvertretende Pressesprecherin von Edeka-Südwest, Nina Schneider.

Als sportliche Herausforderung sieht das "Deutsches Verpackungsinstitut e.V. (dvi)" meinen Brief: "Hallo Herr Himmelheber, das Rätsel lösen wir. Ich melde mich spätestens morgen mit der Lösung", mailt der Pressesprecher. Tags drauf nochmal: "Ich bitte noch um diesen Tag Geduld. Morgen Vormittag haben Sie Ihre Antwort (und Lösung)."

Erst mal wird gerätselt

Sehr schnell ist die Industrie- und Handelskammer. Deren Sprecher Christian Beck ruft an: "Ich habe den Herrn Trogisch bei mir, der sagt es Ihnen." Doch Marcel Trogisch schaut die Fotos an – und muss passen. "Ich dachte, er kennt die Verpackungsverordnung aus dem ff.", bedauert Beck. "Wir werden nochmal nachforschen und melden uns dann."

Just in der Viertelstunde kommt eine Mail der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. "Nach den in Deutschland geltenden Regelungen fällt die 'Action'-Dose selbstverständlich ebenfalls unter die Pfandpflicht", schreibt Christiane Manthey, Abteilungsleiterin Lebensmittel und Ernährung. "Das sie bzw. das Getränk in Deutschland hergestellt wurde, spielt keine Rolle (es kann ja für den Verkauf im deutschsprachigen Ausland – Schweiz oder Österreich – hergestellt und von dort von einem Touristen oder Fernfahrer mitgebracht worden sein), entscheidend ist, ob sie hier verkauft wurde." Und damit liegt Christiane Manthey leider daneben. Die "Action"-Dose ist in Deutschland tatsächlich bisher ganz legal pfandfrei, denn: Wichtig ist, was drin ist.

Auf den Inhalt kommt es an

Das hat Marcel Trogisch von der IHK inzwischen herausgefunden. Er hat sich die Zutatenliste in "Action" angeschaut. Und da steht als Hauptbestandteil: "51 Prozent Molkenerzeugnis". Damit sei Action ein Milchprodukt – und diese seien von der Pfandpflicht ausgeschlossen. IHK-Sprecher Beck wundert sich: "Wer hat sich sowas ausgedacht?"

Die Antwort gibt Gerhard Kotschik vom Bundesumweltamt. Tatsächlich seien Milch, Milchmischgetränke und Milchprodukte laut Paragraf 9 der Verpackungsverordnung von der Pfandpflicht ausgenommen. Dafür hatte sich die Milchwirtschaft vor Inkrafttreten der Verordnung 2003 massiv eingesetzt. Die Milchverarbeiter sahen hygienische Probleme und gesundheitliche Risiken, wenn diese Verpackungen zurückgenommen werden müssten.

Nun nutzten einzelne Hersteller diese Regel als "Schlupfloch", so Kotschik. Per Umkehrosmose wandelten sie die Molke in Wasser um, machen ihren Energydrink draus und umgehen die Pfandpflicht. Denn das Ausgangsprodukt war schließlich die Molke. "Das war natürlich nie so intendiert", sagt Kotschik.

Ein Urteil des Landgerichts Düsseldorf bestätigt diese Auffassung. Die Richter haben in einem Verfahren gegen einen Vertreiber von molkehaltigen Energy-Drinks im Jahr 2010 entschieden, "dass ein aus Molkewasser hergestelltes und in Einweggetränkeverpackungen vertriebenes Getränk der Pfandpflicht unterliegt", berichtet Silke John von der Pressestelle des baden-württembergischen Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft. Aber der Hersteller habe gegen dieses Urteil Berufung eingelegt und das Verfahren sei "noch immer anhängig. Wie wir erfahren haben, hat das Berufungsgericht ein Gutachten angefordert."

Brigitte Stein vom Landratsamt Rottweil hat sich ebenfalls schlau gemacht. Auch sie ist auf den Molketrick gestoßen und schreibt: "Die pfandfreie Aludose mit dem Energy Drink des Unternehmens TSI fällt vermutlich darunter. Eine Internet-Recherche ergibt, dass häufiger Grundstoff für diese Drinks Molkereierzeugnisse sind."

Zweiter Versuch: ein neues Verpackungsgesetz

Geschäftsführerin Kim Cheng vom "Deutschen Verpackungsinstitut" in Berlin lässt mitteilen, dass der Gesetzgeber bestimmte Getränke von der Pfandpflicht befreit habe. "Dazu gehören zum Beispiel Getränke, die zu mehr als 50 Prozent aus Molkeprodukten bestehen. Der 'Action'-Energydrink fällt offensichtlich unter diese Regelung." Als die Abgeordneten die Gesetzeslücke erkannt hätten, hätten sie 2010 die Regelung geändert und verfügt, dass Pfand zu zahlen ist, "wenn das Produkt sich geschmacklich nicht von ähnlichen Erfrischungsgetränken unterscheidet". Außerdem müssten die Bestandteile eines Milchproduktes "weiterhin in relevanten Mengen enthalten und damit nachweisbar sein", wenn es als Milchprodukt pfandfrei bleiben solle, so Kim Cheng vom Deutschen Verpackungsinstitut. Wie gesagt, auch das Landgericht Düsseldorf hat das so gesehen – aber bis heute, bald sieben Jahre später, ist das Urteil immer noch nicht rechtskräftig. Ende März hat der Bundestag ein neues Verpackungsgesetz verabschiedet. Darin, so ein Sprecher des Bundesumweltministeriums, werde die Ausnahmeregelung zu Milchprodukten aus der geltenden Verpackungsverordnung "beendet".

So sicher ist da das Landesumweltministerium nicht. Sprecherin John schreibt, ihr Ministerium habe sich seit Jahren dafür eingesetzt, dass "die Pfandpflicht künftig nicht mehr am Inhalt der Getränkeverpackung, sondern an der Art des Materials der Verpackung" festgemacht werden sollte. "Leider fand dieser Vorstoß im nun vom Bund verabschiedeten Gesetz keinen Eingang." Bleibt zu befürchten, dass ein findiger Getränkehersteller auch im neuen Gesetz die Lücke findet und den Dreh, wie er seine Dosen weiterhin pfandfrei verkaufen kann.

Und was sagt Jürgen Trittin, der Schöpfer des Dosenpfands, zu den Energydrinkdosen im Wald? Nix. Sein Mitarbeiter Lars Kreiseler schreibt: "Herr Trittin ist seit zwölf Jahren nicht mehr Bundesumweltminister, insoweit können wir Ihnen zur Pfandfrage leider keine fachlich fundierte Antwort geben."

 

Der Text erschien zuerst in der <link https: www.nrwz.de external-link-new-window>"Neuen Rottweiler Zeitung".


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1 Kommentar verfügbar

  • Matthias K
    am 17.06.2017
    Antworten
    Grundlage für die Einführung des Pfandes auf Einweg-Getränkeverpackungen ist die Verpackungsverordnung, die 1991 von der Bundesregierung unter dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Klaus Töpfer (CDU) beschlossen wurde. Die Verordnung wurde 1998 von der damaligen…
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