Der 12. August 1944 war ein schöner Sommertag. Weil die alliierte Front näher rückte, war Carla Kurz mit ihrer Familie aus dem Seebad Forte dei Marmi nach Valdicastello am Fuße der Apuanischen Alpen evakuiert worden. Von dort machte sie sich am Morgen nach Mulina di Stazzema auf, um bei den Großeltern ihres Mannes Nahrungsmittel zu organisieren. Der Weg führte über Sant'Anna di Stazzema, wo sie im Ortsteil Vaccareccia in ein Inferno geriet: Angehörige der 16. SS-Panzergrenadier-Division "Reichsführer SS" trieben etwa 100 Menschen, darunter die knapp 31-jährige Mutter von drei Kindern, in drei Ställen und auf den Höfen der Ansiedlung zusammen, warfen Handgranaten auf die Eingeschlossenen und erschossen alle noch Lebenden.
Anschließend wurden die Leichen in den Ställen angezündet. Insgesamt wurden bei dem SS-Massaker von Sant'Anna di Stazzema in wenigen Stunden bis zu 560 Menschen – überwiegend Frauen, Kinder und Alte – umgebracht.
Am gleichen Vormittag spielte die damals vierjährige Alessandra Czeczott auf einer Ebene oberhalb von Valdicastello. Auch sie war im Juli 1944 von Forte dei Marmi dorthin evakuiert worden, zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter. "Plötzlich tauchte ein deutscher Soldat auf", erzählt die heute 73-Jährige. "Groß, blond, mit Helm und Maschinengewehr." Vermutlich war es ein SS-Mann derselben Einheit, die für das Massaker verantwortlich war. "Meine Großmutter stand auf und ging ihm ohne zu zögern entgegen; sie sprach kurz mit ihm in seiner Sprache." Dann sah das Mädchen, dass die Großmutter von dem Deutschen barsche Befehle bekam. "Sie holte ihren Ausweis, nahm mich an der Hand, ohne auch nur ein Wort zu sagen, und wir folgten dem Soldaten." Nach wenigen Metern – sie habe noch immer das Bild vor Augen – habe ein anderer junger Soldat von Weitem mit seinem Arm ein deutliches Nein-Zeichen gegeben. "Nein, nein!" habe er geschrien, "weil wir uns außerhalb der Gemeindegrenze von Stazzema befanden, die wenige Meter oberhalb verlief". Sie waren frei und nur durch einen Zufall dem Massaker entkommen. Zwei Frauenschicksale, die unterschiedlicher kaum hätten sein können.
Vorfahre Hermann Kurz aus Reutlingen
Von der Gedenktafel auf der Anhöhe oberhalb von Sant'Anna di Stazzema schweift der Blick hinab auf die Küste der Versilia bei Forte dei Marmi. Dort hatte die Familie Kurz um 1900 eine neue Heimat gefunden.
1 Kommentar verfügbar
Sigrid Klausmann
am 07.08.2013Eigentlich müssten alle Stuttgarter einmal Sant'Anna di Stazzema besuchen, als Zeichen der Solidarität und gegen das empörende Verhalten des Stuttgarter Ex-Oberstaatsanwalts Bernhard Häussler, der das Verfahren "mangels Beweisen", nach 10 Jahren…