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Polizei und KI-Bilder

Das gestiefelte Pferd

Polizei und KI-Bilder: Das gestiefelte Pferd
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Baden-Württembergs Polizei nutzt KI-generierte Symbolbilder. Vorgaben gibt es dazu kaum – und so kann surrealistische Kunst gedeihen.

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Normalerweise deutet es auf eine erhabene Position hin, von einem hohen Ross herabschauen zu können. Ein unbetiteltes Werk der Polizei Freiburg bricht ironisch mit diesem Topos: Zu sehen ist eine uniformierte Reiterin, die als Verkörperung der Staatsgewalt doch eigentlich zur Souveränität verpflichtet wäre. Aber die arme Frau scheint um Fassung zu ringen, was nur allzu verständlich ist. Schließlich wächst dort, wo ihr rechter Fuß sein sollte, ein weiteres Bein. Und das wäre geeignet, selbst der erfahrensten Kriminalhauptkommissarin den Boden unter den Füßen wegzuziehen – wäre da nicht die Standfestigkeit eines Pferdes, das Polizeistiefel trägt. Und so hält sich unsere Heldin irgendwie im Sattel, auch wenn die Ordnungsmacht in Anbetracht derartig surrealer Zustände ein wenig überfordert wirkt.

Ist das hier die Realität? Wo auch die wahre Wirklichkeit zunehmend fiebertraumhafte Züge annimmt, drängt sich diese Frage bei der Zeitungslektüre nahezu täglich auf. Im Schweizerischen Lausanne etwa fuhr vergangene Woche ein 56-Jähriger mit seinem BMW in eine Pro-Palästina-Demo und gab an, er habe im Affekt gehandelt – weil er die Menschenmenge fälschlicherweise für einen Klima-Protest gehalten habe. Und gefühlt schafft es diese tückische Kombination zuletzt immer öfter in die Schlagzeilen: todernste Ereignisse, denen durch absurde Dummheiten ein lächerliches Element anhaftet.

In diesen seltsamen Zeiten soll die Polizei für Ordnung sorgen, doch unter jeder Uniform steckt ein Mensch, der irgendwie weitermachen muss. Jedenfalls in der wirklichen Welt. Bei der Reiterin auf dem gestiefelten Pferd handelt es sich um das Fantasieprodukt einer Künstlichen Intelligenz – dass sie mit ihren drei skeptisch gelupften Augenbrauen ein perfektes Sinnbild der gegenwärtigen Verhältnisse darstellt, ist ein glücklicher Zufall. Wie die Freiburger Polizei auf Facebook mitteilt, wollte sie eigentlich ein Symbolbild ihrer Reiterstaffel generieren, "in hochwertiger Aufmachung, vor schöner Kulisse, sympathisch und bürgernah." Vor allem aber: "EIN BILD, DAS SICH EINPRÄGT – Nun ja, was sollen wir sagen, Letzteres ist uns in jedem Fall gelungen ....... Was sagt Ihr denn zu unserem ersten Gehversuch?"

Gegangen wurden diese ersten Schritte im Juni 2023. Seitdem hat sich die Bilderzeugung per KI nicht nur in Freiburg, sondern in ganz Baden-Württemberg bei der Polizei etabliert. Auf Anfrage erklärt das Innenministerium, die KI-Bilder würden vorwiegend zu präventiven Zwecken genutzt oder um "Polizeiarbeit symbolisch zu veranschaulichen". Dabei müssen alle KI-Inhalte eindeutig gekennzeichnet werden. "Darüber hinaus gibt es weitere Vorgaben für den Einsatz von KI – beispielsweise eine sensible Prüfung bei der Darstellung von realen Lebenssachverhalten und Personen. So dürfen die Darstellungen beispielsweise nicht zu realitätsnah und keinesfalls diskriminierend sein."

Dass die Bilder nicht zu realitätsnah sind, klappt ziemlich gut – etwa wenn ein schielender E-Bike-Dieb das geklaute Gefährt mit einem Griff durch die Speichen des Hinterrads transportiert. Das mit der Diskriminierung hat allerdings schon mal Probleme bereitet. So wurde der Stuttgarter Polizei vergangenen Juli Rassismus vorgeworfen, nachdem sie über Social Media ein KI-Bild verbreitet hatte, auf dem ein gemein aussehender Südländer einem weißen Mann sein Smartphone stibitzt. "Wir lernen auch dazu", erklärte eine Sprecherin gegenüber der Presse. Das KI-Bild habe sich an der Beschreibung des Täters orientiert: "Wir bedauern ausdrücklich, dass das Bild teils missverstanden wurde, und werden in Zukunft bei der Bilderstellung sensibler sein, um solche Missverständnisse zu vermeiden."

Polizeiliche Parallelwelten

Jede Fotografie ist ein subjektiver Ausschnitt der Welt, hat aber zugleich eine dokumentarische Komponente: Egal, wie selektiv das abgelichtete Motiv ins Bild gesetzt wird, und unabhängig davon, ob Belichtung oder Kontraste bei der Nachbearbeitung verändert werden, ist und bleibt die Grundlage eines jeden Fotos die sinnlich erfahrbare Realität. Ein gelungenes KI-Bild dagegen kann zwar realistisch wirken, aber die Darstellung ist immer eine Parallelwelt, die sich neben unserer Wirklichkeit konstruiert. Wie die Bilder am Ende aussehen, ist auch davon abhängig, wie die Systeme trainiert wurden, die bei der Erstellung zum Einsatz kommen.

Zum Thema KI-Bias, also den Vorurteilen nach Werkseinstellung, forscht etwa die Wirtschaftsinformatikerin Eva Gengler, die verschiedene KI-Tools zur Bilderstellung untersucht hat. Im Gespräch mit Kontext fasst sie zusammen: "Ich habe festgestellt, dass Männer mehr repräsentiert sind, insbesondere wenn es um Macht und Erfolg geht. Frauen werden eher jünger dargestellt und sehr viel mehr sexualisiert. Diverse Ethnien, People of Color, waren insgesamt unterrepräsentiert." Als sie etwa "mächtige Menschen" generieren lassen wollte, war das Resultat eine überwältigend männliche Runde von ausschließlich Weißen. Eine "christliche arabische Frau" wurde hingegen mit Kopftuch dargestellt.

Für eine Symbolik der Polizeiarbeit ist es daher eine schwierige Ausgangsgrundlage, wenn die zur Schau gestellten Bilder keinen direkten Realitätsbezug haben und notwendigerweise vorurteilsbehaftet sind. Die Polizeipräsidien Baden-Württembergs scheinen den Konflikt mit diskriminierenden Darstellungen so zu umschiffen, dass People of Color auf den KI-Bildern fast überhaupt nicht mehr auftauchen: weder in den Reihen der Polizei, noch unter den Verbrecher:innen. So sieht der halbnackte Einbrecher, der am helllichten Tag mit Badehose und Sturmmaske bekleidet eine Terrassentür aufschließt, ungefähr so aus, wie man sich einen klassischen Biodeutschen vorstellt. Kennzeichnend bleibt aber, dass auf nahezu allen Bildern die Opfer bedeutend hübscher als die hässlichen, verschlagenen Täter sind.

Das baden-württembergische Innenministerium verweist hinsichtlich der polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit auf die "eigens dafür entwickelten publizistischen Grundsätze", mit denen es offenbar konform geht, wenn der Rückspiegel eines Autos mit eingeschlagener Fensterscheibe zu einer Handtasche mutiert. Viele Bilder erfüllen die Maßgabe, wonach Darstellungen "nicht zu realitätsnah" sein dürfen, indem sie Unmögliches zeigen.

In diese Kategorie fällt zum Beispiel der venezianische Gondelfahrer, der bei Starkregen über eine deutsche Autobahn schippert und der Bildunterschrift zufolge "O sole mio!" singt. Auch für dieses Meisterwerk ist das Freiburger Präsidium verantwortlich, das auf die Gefahren des Aquaplanings aufmerksam macht und vor nassen Fahrbahnen warnt: "Mit der gebotenen Vorsicht und angepasstem Fahrverhalten bleiben Sie sicher auf dem Asphalt und überlassen das Gondelfahren den Profis in Venedig."

Und so eröffnen die KI-Bilder ohne allzu viele Vorgaben und Einschränkungen des Innenministeriums den Beamt:innen in der Öffentlichkeit eine Möglichkeit, sich kreativ auszutoben. Das gilt nicht nur für das Verkehrsschild, das sich bei seiner Therapeutin ausheult, dass es andauernd ignoriert wird.

In Konstanz wird Polizeiarbeit sogar zur Poesie, mutmaßlich unterstützt von ChatGPT. Das Bild eines Rehs mit cartoonartig weit aufgerissenen Augen ist auf Facebook mit Lyrik versehen:

     Und wo das Schild mit Hirschlein prangt,
     wird Wildverkehr sehr hoch gewangt.
     Springt ein Reh dir plötzlich vor den Wagen,
     ruhig bleiben, nicht wild verzagen.

"Geniales Gedicht", kommentiert Userin Anette. "Wunderschön und bewegend", findet Melisande. "Was ein blödes Bild", schreibt einer darunter. Dieser Kommentar ist aber inzwischen gelöscht.

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