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Die Uhlbacher Allmende

Bäume für alle

Die Uhlbacher Allmende: Bäume für alle
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 Fotos: Jens Volle 

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Weil eine Weinbäuerin ihr Grundstück gestiftet hat, bekommt Uhlbach nun eine Allmende. Ein gemeinschaftlich nutzbares Grundstück, auf dem Aktivist:innen kürzlich Feigenbäume, Himbeersträucher und einen Chinesischen Gemüsebaum gepflanzt haben. Das Ziel: ein gesunder Waldgarten.

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Hammerschläge mischen sich in das Geräusch einer Säge, ein rauer Wind weht. Sonne, Wolken und leichtes Schneegestöber wechseln sich ab. Auf der Wiese nahe der Waldwirtschaft "Sieben Linden" im Stuttgarter Stadtteil Uhlbach herrscht geschäftiges Treiben: Pflanzlöcher werden gebohrt, einige Personen pflanzen Bäume, andere sägen und montieren Rankgerüste. Ein Torbogen wird vorbereitet. Eine kleine Gruppe um Valentin Claus, Permakulturexperte und beim "Stadtacker Wagenhallen" angestellt, diskutiert über die Befestigung der Jungbäume, dessen zarte Wurzeln bei heftigem Wind gefährdet sind. Thomas Puls vom Bioladen "Plattsalat West", der heute für die Küche verantwortlich ist, beobachtet das aktive Treiben der Teilnehmenden, schenkt Heißgetränke aus und ist begeistert von der guten Organisation.

Das 1.500 Quadratmeter umfassende Allmendegrundstück, auf dem ein Waldgarten entstehen soll, bietet einen traumhaften Postkartenblick über die umliegenden Weinbauhänge des Rotenbergs und auf Uhlbach. Besucher:innen wähnen sich in ländlicher Idylle, inmitten des dichtbesiedelten und von Industrie gesäumten mittleren Neckarraums. Am unteren Teil des Hanggrundstücks stehen in Dreierreihen alte Zwetschgenbäume, die seit 2003 vom Stuttgarter Netzwerk "Essbare Region Stuttgart" gepflegt werden.

Die Esskastanie hat Tradition

Die ehemalige Besitzerin der Allmendefläche Margrit Hammer, die aus einer alteingesessenen Uhlbacher Wengerterfamilie stammt, stiftete das Grundstück 2022. Vor ein paar Jahren las sie von der "Kleinen Wildnis" in Hedelfingen, einem Ökologie-Projekt, dessen Schöpfer:innen dort vier Grundstücke bewirtschaften, und nahm Kontakt zu den Initiator:innen auf. "Es tat mir in der Seele weh, dass das Grundstück ein bisschen verkommen war", sagt Hammer. Aber es erfülle sie mit Freude, was jetzt damit passiert.

"Seit Mittwoch pflanzen wir täglich Bäume", erzählt die Agrarwissenschaftsstudentin Katharina Frenzel, die sich auch bei den "Vielfaltsgärten" engagierte. Esskastanie zum Beispiel. Diese habe traditionell eine große Rolle als Brotbaum gespielt, auch in Württemberg. Die Esskastanie liefert Kohlenhydrate und Fette, wurde auch zu Mehl verarbeitet und bietet eine klimafreundliche Alternative zum Getreideanbau. Zudem werden unter anderem Mispeln, Haselnuss, Linde, Holunder, Kiwi, Feige, Himbeersträucher, Hundsrose und – eine exotische Besonderheit – ein Erdbeerbaum und ein Chinesischer Gemüsebaum gepflanzt. Aber nicht nur Baum- und Strauchfrüchte sind essbar. Auch Blätter, Wurzeln, Rinde und Knospen, erzählt Frenzel. Baumgemüse sei zwar vornehmlich in Asien bekannt, doch auch hierzulande kennen wir eingelegte Weinblätter, Lindenblätter oder Brombeerblätter, nicht nur als Teeaufguss.

Ein Waldgarten ist nichts anderes als die Nachahmung der verschiedenen Waldschichten (Wurzelschicht, Bodenschicht, Krautschicht, Strauchschicht, Baumschicht). Bislang wachsen auf der Wiese vornehmlich Süßgräser. Die natürliche Sukzession (Veränderung der Artenzusammensetzung) sorge jedoch dafür, dass sich im Laufe der Zeit vielfältige Kräuter durchsetzen, erklärt Frenzel. "Ein bisschen helfen wir auch nach und setzten Impulse mit der Pflanzung von Beinwell oder Bärlauch." Doch auf lange Sicht soll der Pflegeaufwand so gering wie möglich sein. Die frisch gepflanzten Obstbäume allerdings bekommen einen regelmäßigen Schnitt, wie das der Aktivist, Permakulturdesigner und Sachbuchautor Florian Hurtig in einem kurzen Impulsworkshop demonstriert. Momentan ist es noch nötig, die Bäumchen vor Rehverbiss und Wühlmäusen zu schützen. Auch an Igel, Eidechsen, Blindschleichen und Vögel ist mit dem Aufstellen von Totholz-Hecken gedacht, die Unterschlupf bieten und langfristig den Boden versorgen. "Wir laden regelmäßig Expert:innen ein, die unseren Teilnehmenden das nötige Wissen beibringen, und diese legen dann selber Hand an", sagt Carina Hieronymi, die die Aktionstage maßgeblich mitorganisiert hat.

Kooperative Lebensformen in der Klimakrise

Überhaupt spielt das Erlernen von Selbstwirksamkeit, kooperatives Handeln und das Einüben sozialer Intelligenz eine große Rolle in der Gruppe. Und das sei im gemeinsamen Tun am wirksamsten: "Wir müssen in der Klimakrise Lebensformen finden und erfinden, die das Überleben sichern und lebenszerstörerische Praktiken beenden", erklärt Hieronimy. Die Wiederentdeckung von Allmenden und das Konzept der Ernährungssouveränität spiele dabei eine wichtige Rolle: Es fordert die Entwicklung lokaler und regionaler Selbstversorgung durch möglichst enge Beziehungen zwischen Produktion und Verbrauch. Die Grundlagen des Konzeptes wurde zum ersten Mal 1996 beim UN-Welternährungsgipfel von "La Via Campesina", dem weltweiten Bündnis von Kleinbäuer:innen, Landarbeiter:innen, Fischer:innen, Landlosen und Indigenen, vorgestellt. Und bis heute immer wieder auch auf urbane Räume erweitert. Deshalb ist die Uhlbacher Allmende auch eine niederschwellige Einladung an alle, die mit Infotafeln, Hackschnitzelwegen und einem hölzernen Eingangstor willkommen geheißen werden.

Cornelia pflanzte an diesem Tag zum ersten Mal ein Bäumchen, einen Haselnusstrauch: Sie habe zwar erklärt bekommen, wie sie das machen soll, doch es sei ein schönes Erlebnis gewesen, den Baum eigenhändig zu pflanzen, und dabei habe sie über ihr Leben nachgedacht und welche Bäume sie im übertragenen Sinn in ihrem eigen Leben bereits gepflanzt habe. Auch Jasemin berichtet darüber, dass das Pflanzen eines Pflaumenbaums, der zudem ihr Lieblingsbaum ist, zum Spiegel ihrer selbst wurde – "der Baum richtet mich auf", habe sie empfunden.

Die Allmendeforschung hat gezeigt, dass sowohl in den historischen als auch in den indigenen Allmenden Regeln und Zugänge der Gemeinschaftsflächen vornehmlich mündlich tradiert wurden – Gewohnheitsrechte galten. Daran knüpft die Gruppe an: "Bislang legten wir ein paar Grundwerte fest und bestimmte Regeln und Werte werden noch gemeinsam diskutiert und erarbeitet", erklären die beiden Aktivistinnen. "Derzeit ist die Gruppe noch überschaubar, sollte sie größer werden, müssen wir auch weiter an unseren Werten arbeiten und wie wir sie umsetzen", wissen die beiden aus Erfahrung. "Vieles müssen wir nicht neu erfinden, sondern wieder neu entdecken, Orte der tätigen Erfahrung ausprobieren und Kontinuität schaffen, auch um einer schleichenden Vereinsamung, Individualisierung zu begegnen." Das sei nicht ohne Kompromisse, Konflikte, einander Zuhören und sich gegenseitig Zeit geben möglich, sagt Hieronymi. Dazu gehört nicht nur gemeinsam zu schaffen und zu werkeln, sondern auch gut zu essen und in Gemeinschaft zu feiern.

Bedeutungsverlust im 20. Jahrhundert

Allmenden sind heutzutage ein Novum

Uhlbach ist seit 1247 urkundlich erwähnt und erstreckt sich heute über eine Fläche von gut vier Quadratkilometern, zählt 2.916 Einwohner:innen (2020) und ist immer noch von Wein- und Obstanbau geprägt. Es ist also anzunehmen, dass auch auf Uhlbacher Gemarkung Allmenden vorhanden waren. Allmenden bezeichneten in früherer Zeit das Land, das von Bauern eines Dorfes gemeinschaftlich genutzt wurde. Aus einer Karte aus dem Jahr 1953 geht das allerdings nicht hervor, obwohl Allmenden in Baden-Württemberg – vor allem auf der Schwäbischen Alb und im Schwarzwald – in dieser Zeit noch bedeutend waren. Insofern ist die "Uhlbacher Allmende" im 21. Jahrhundert ein Novum. Für die Lokalgeschichte bleibt die Aufgabe, mögliche historische Allmenden im Stuttgarter Raum auszugraben und zu erforschen.  (vh)

Die historischen Allmenden, die im Mittelalter in Europa ihre Hochblüte erlebten, waren Ausdruck eines lokalen sozialen Gefüges, eines gemeinwirtschaftlichen Nutzungssystems von Wald-, Wiesen-, Wasser- und Agrarflächen, die in Europa unterschiedlich lange existierten und im Zuge der Industrialisierung und der großen Transformation im 19. und 20. Jahrhundert einen schleichenden Bedeutungsverlust erfuhren. Der "Diggers Song", den ein Teil der Uhlbacher Gruppe am Lagerfeuer einstudierte, ist der Landbevölkerung gewidmet, die sich gegen die Landnahme und Einhegung der britischen Allmenden auflehnten. Dazu hätten vor allem auch Frauen gehört, die über Wissen und Macht verfügten und im Zuge der kapitalistischen Zurichtung mitunter in die bloße Sphäre der Reproduktion abgedrängt worden seien, wie die Teilnehmenden am Freitagabend in einem Vortrag von Florian Hurtig erfuhren, der sich in seinem bald erscheinenden Buch mit den Bauernkriegen auseinandersetzt.

Wenn man mit Margrit Hammer über ihr Grundstück und dessen neue Bestimmung spricht, hat sie Tränen in den Augen und erzählt vom Engagement der Teilnehmenden in den vergangenen Tagen, die bei Wind und Wetter tatkräftig zu Werke gingen. "Es kostet Kraf, loszulassen, doch es gibt auch Kraft, was hier neu entsteht und wie die vornehmlich jungen Menschen hier Verantwortung übernehmen", sagt Hammer. Sie erhofft sich, dass der Allmende-Waldgarten von der hiesigen Bevölkerung angenommen und mit der Zeit sichtbarer wird. Denn bislang ist aus Uhlbach nur die dreiköpfige Familie Durst mit ihrer Hündin Fala im Projekt engagiert.

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2 Kommentare verfügbar

  • Katrin
    am 13.12.2024
    Antworten
    Was hat das mit Wald zu tun? Ist ja nett, dass die sich dort eine eigene Obstplantage bauen, aber sollte man das nicht korrekt benennen?
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