Lüstern blickt der bärtige Gesell auf die nahezu unbekleidete, schlafende junge Frau in seinem Arm: Ist das nicht ziemlich sexistisch? Aber ja! Und wie! Wie ein Großteil der europäischen Kunst von der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert. Die Adligen – Männer! – delektierten sich an Darstellungen nackter Frauenkörper, die gerne schlafen durften, da konnte man sie in Ruhe ansehen. Die "Schlummernde Venus" des Malers Giorgione in der Dresdner Gemäldegalerie ist das erste und berühmteste Beispiel. Venus: die Göttin der Liebe.
Ein weiteres ist "Jupiter und Antiope". Nach den verschiedenen Überlieferungen, unter anderem bei Homer und Ovid, sieht der Göttervater Jupiter die bildhübsche junge Tochter des Königs von Theben nicht nur lüstern an, sondern vergewaltigt sie. "Verführt", heißt es zumeist in den Beschreibungen, oder auch: "Er überrascht sie im Schlaf". Es gibt zahlreiche Versionen von berühmten Künstlern wie Tizian oder Rembrandt. Das Thema war beliebt.
Auch beim italienischen Bildhauer Francesco Pozzi, der die Szene als Marmorskulptur verewigte. Diese befand sich in der Westgrotte der Villa Berg im Stuttgarter Osten, also der halbrunden Nische im Erdgeschoss, bis sie der SWR 2010 versteigerte. Heute steht sie, bis die Villa renoviert ist, in den Arkaden des Alten Schlosses, denn das Land hat sie zehn Jahre später zum vierfachen Preis zurückgekauft. "Der total beknackte Jupiter-Deal", titelte die "Bild"-Zeitung. Ist das wirklich so beknackt? Es handelt sich um eine der wichtigsten Skulpturen der Villa, die wiederum zu den herausragenden Kulturdenkmälern der Landeshauptstadt gehört. Das Land Bayern hätte sicher nicht zugelassen, dass seine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt ein herausragendes Kunstwerk von einem der wichtigsten Baudenkmale Münchens ins Auktionshaus trägt. Wenn hier etwas beknackt ist, dann dass das Land das nicht verhindert hat.
Ein Landsitz in Stuttgart dank zarischem Geld
Francesco Pozzi war nicht irgendwer. Er leitete eine Bildhauerklasse an der Akademie von Florenz, der ältesten Kunstakademie der Welt. Er war Schüler von Antonio Canova, des bedeutendsten klassizistischen Bildhauers überhaupt, der unter anderem Napoleon porträtiert hat. Pozzis Skulpturengruppe stammt aus dem Jahr 1828. Er behielt sie in seinem Atelier, bis er 1844 verstarb.
Damals war Karl, Kronprinz von Württemberg, gerade mit dem späteren Architekten der Villa Berg, Johann Friedrich Leins, in Italien unterwegs. Dabei reifte sein Wunsch, in Stuttgart eine Villa als Landsitz zu errichten. Zwei Jahre später, 1846, lernte er in Palermo seine spätere Gemahlin, die Zarentochter Olga kennen und heiratete sie noch im selben Jahr in Sankt Petersburg. Ihr Geld machte den Bau der Villa erst möglich, jedenfalls in diesen Dimensionen mit einer opulenten Ausstattung. Zu der wiederum Pozzis Skulpturengruppe gehört, die das königliche Paar für den Landsitz erwarb.
Jupiter als lüsterner Teufel
Glatt ist die Haut der Antiope am Oberschenkel, weiß schimmert der Marmor an den Brüsten. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, um sich vorzustellen, dass der Göttervater gleich zupacken wird. Sie wiederum befindet sich in einem schwer definierbaren Zustand. Schmachtet sie ihn an? Oder hat sie die Augen, im Schlaf oder in Ohnmacht, geschlossen? Jedenfalls hängt sie in seinem Arm. Sie wehrt sich nicht.
Und Jupiter erinnert an den Teufel. Die Figur hat Beine wie ein Ziegenbock und Hörner an der Stirn. Das geläufige Bild des Teufels ist abgeleitet vom antiken Satyr, römisch Faun. Die lateinische Inschrift im Sockel besagt, dass es sich tatsächlich um den Göttervater handelt: "Jupiter sah Antiope", so beginnt der schwer verständliche Text, in dem es weiter heißt, dass sie seiner Liebe freudig nachgibt.
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Stefan Hilbrand
vor 1 Woche